Im vergangenen Jahr wurde viel diskutiert über Drachenflieger, den Erstling des in Amerika lebenden Afghanen Khaled Housseini. Die Geschichte zweier Freunde in Kabul, die durch den Krieg und eine alte Schuld getrennt werden, wurde nun von Marc Foster verfilmt.
Drachenläufer (The Kite Runner)
Drama, USA 2007. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 122 Minuten. Kinostart: 17. Januar 2008.
Mit: Zekeria Ebrahimi, Ahmad Khan Mahmidzada, Shaun Toub, Khalid Abdalla, Saïd Taghmaoui, Atossa Leoni u.v.a. Regie: Marc Foster. Drehbuch: David Benioff. Nach dem Roman von Khaled Housseini.
Schuld und Sühne
Kabul, 1975: Der zwölfjährige Amir (Zekeria Ebrahimi) ist der einzige Sohn des wohlhabenden Intellektuellen (Homayoun Ershadi). Sein bester Freund und treuer Beschützer ist der gleichaltrige Hassan (Ahmad Khan Mahmidzada), der Sohn des Hausangestellten Ali. Die Freundschaft ist ein paar älteren Jungen ein Dorn im Auge. Am Tag eines großen Drachenflieger-Turniers lauern sie Hassan auf, der Anführer verprügelt und vergewaltigt ihn. Amir beobachtet die Szene, traut sich jedoch nicht, seinem Freund zu helfen. Er kann sich sein Verhalten nicht verzeihen und zerstört dadurch die Freundschaft. Als die Russen in Kabul einmarschieren, flieht Amirs Vater mit ihm nach Pakistan, später bauen sich die beiden in Amerika eine neue, ärmere Existenz auf. Währenddessen verschlimmert sich die Lage in Afganistan von Jahr zu Jahr, bis schließlich mit den Taliban der religiöse Fanatismus die Kontrolle übernimmt.
2000 erhält Amir (jetzt gespielt von Khalid Abdalla) einen Anruf, der ihn nach Pakistan ruft. Dort erfährt Amir eine schreckliche Nachricht und ein lange gehütetes Geheimnis. Und er erhält die Möglichkeit, die Schuld zu begleichen, die ihn seit Jahrzehnten belastet. Doch dafür muss er zurück ins Kabul der Tailban, wo mittlerweile kaum noch etwas an die blühende Stadt seiner Kindheit erinnert.
Drachenläufer erzählt vordergründig die Geschichte Amirs und der Schuld, die ihn lebenslang prägt. Dahinter aber entfaltet sich die Geschichte des Vorkriegs- Afghanistans, wie sie vor dem internationalen Erfolg von Khaled Housseinis Roman kaum im Gedächtnis der Weltöffentlichkeit präsent war. Die erste Hälfte des Films spielt 1976, wo trotz beginnender politischer Unruhe und ethnischer Ausgrenzung Frieden und Wohlstand herrscht, Kabul wird als schöne und lebensfrohe Stadt gezeigt. Besonders eindrucksvoll sind die Szenen des Drachenturniers, bei der hunderte von bunten Drachen über der sandfarbenen Stadt fliegen. Die Szenen im Jahr 2000 dagegen zeigen ein Bild der Zerstörung („Sie haben sogar die Drachen verboten.“), des Terrors und der Unmenschlichkeit, hier beschönigt der Film nicht. Amir und sein Begleiter wohnen einem Fußballspiel im Stadion von Kabul bei, in dessen Anschluss eine von den Taliban verurteilte Ehebrecherin auf dem Spielfeld öffentlich gesteinigt wird.
Hassan: „I dream that lawla flowers will bloom in the streets of Kabul again and rubab misic will play in the samovar houses and kites will fly in the sky.”
Die Schlüsselszene von Drachenläufer schneidet ein sensibles Thema an: Ein zwölfjähriger Junge wird vergewaltigt. Marc Foster übernimmt die Szene, so wie sie im Buch vorkommt, musste dafür aber einige Probleme in Kauf nehmen. Der Kinostart musste verschoben werden, weil man Angst vor der Reaktion der Afghanen auf die Szene hatte. Man sah eine konkrete Gefahr für die Kinderdarsteller, die aus Afghanistan stammen. Die filmische Auseinandersetzung bleibt eine sehr vorsichtige: In der Romanvorlage wird die Vergewaltigung Hassans nicht konkret beschrieben, der Ich-Erzähler Amir sieht eine eindeutig darauf hinauslaufende Situation, rennt aber weg, ohne etwas zu sehen. Der Film ging mit dieser Szene ebenfalls sehr behutsam um, auch hier folgt die Kamera dem flüchtenden Amir.
Marc Foster nahm sich bereits in Monster’s Ball mit einer gefühlvollen Hand eines schwierigen Themas an, der Film wurde mit zwei Oscars ausgezeichnet (Drehbuch, Halle Berry als Beste Hauptdarstellerin). Aber auch mit den eher leichten Verfilmungen Wenn Träume fliegen lernen und Schräger als Fiktion bewies der Regisseur großes Talent und Publikumstauglichkeit. Vielleicht seiner Vielseitigkeit wegen wurde Foster die Regie für den 22. Bond Film (wieder mit Daniel Craig) anvertraut, obwohl er sich auf dem Feld des Actionfilms noch keinen Namen gemacht hat. Drachenläufer jedenfalls gibt den Bond-Produzenten in ihrer Entscheidung recht: Ein bemerkenswert umgesetzter Film, der entsetzlich traurig und trotz der ernsten Thematik noch sehr hoffnungsvoll ist.
Und obwohl unbedingt eine gut gefüllte Packung Taschentücher mit ins Kino zu nehmen ist, rutscht Foster nie ins Kitischige ab. Sollte man unbedingt gesehen, oder besser noch: gesehen und gelesen haben. Die Filmrechte für den zweiten Roman Housseinis,Tausend strahlende Sonne, sind übrigens auch bereits verkauft. Darin erzählt er eine ganz ähnliche Geschichte, nur aus der Sicht zweier afghanischer Frauen.
Fazit: Ein einfach wichtiger Film: filmisch, politisch, historisch, menschlich. 9 von 10 Punkten.
Beste Freunde: Hassan und Amir.
Fühlt sich immer noch schuldig: Amir.
Sarah Böhlau, 20. Januar 2008, Bilder: UIP.
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