Eine mehr als chaotische Familie, ein VW-Bus und eine Miss-Wahl. Das ergibt zwei Tage skurriler Komik und das Regiedebüt von Jonathan Dayton und Valerie Faris, „Little Miss Sunshine“.
Komödie, USA 2006. FSK: ab 6. 101 Minuten.
Mit: Greg Kinnear, Toni Collette, Alan Arkin, Paul Dano, Steve Carell, Abigail Breslin u.a. Regie: Jonathan Dayton und Valerie Faris.
Roadtrip mit Familientherapie
Es gibt wohl kaum Familien mit mehr verkorksten Existenzen als die Hoovers aus Albuquerque, New Mexico: Papa Richard (Greg Kinnear), Motivationstrainer mit unerschütterlichem Optimismus und selbst erarbeitetem Siegerkonzept („Refuse to Lose – in neun Schritten zum Gewinner“), das jedoch auf wenig Interesse stößt und ein Loch in die Familienfinanzen frisst; Opa Edwin (Alan Arkin), der aus dem Seniorenheim geflogen ist, weil er kokst und die Damenwelt auf sehr eigenwillige Art unterhalten hat; Sohn Dwayne (Paul Dano), dessen bester Freund Friedrich Nietzsche ist und der seit neun Monaten kein Wort mehr redet, weil er ein Schweigegelübde abgelegt hat, bis er es geschafft hat Luftwaffenpilot zu werden; Onkel Frank (Steve Carell), der einen Selbstmordversuch hinter sich hat, weil sein Student, in den er sich verliebt hatte, eine Affäre mit Franks Kollegen, dem zweitbesten Proust-Kenner Amerikas nach Frank selbst, begonnen hat und dieser Kollege zu allem Überfluss danach auch noch öffentlich als No.1-Proust-Experte Amerikas deklariert wird; Mama Sheryl (Toni Collette), die versucht, irgendwie die Nerven zu behalten und ihre Familie durchzubringen, ohne dabei zu rauchen; und letztendlich Tochter Olive (Abigail Breslin), siebenjähriger Sonnenschein der Familie, leicht pummelig und mit eigensinnigem Modegeschmack, die unbedingt eine Miss-Wahl gewinnen möchte, für die ihr Opa mit ihr trainiert.
Olive (Abigail Breslin) will unbedingt „Little Miss Sunshine“ werden.
Diese Chance bietet sich, als die Erstplazierte eines lokalen Schönheitswettbewerbs disqualifiziert wird und Olive an ihre Stelle rückt, was ihr ermöglicht, am „Little Miss Sunshine“-Wettbewerb in Kalifornien teilzunehmen. Da ein Flug aufgrund der angespannten Finanzlage ausgeschlossen ist, muss Olive mit dem alten VW-Bus dorthin gebracht werden, den aber wegen dem Schaltgetriebe nur Papa Richard fahren kann. Opa Edwin muss natürlich auch mit, schließlich hat er Olive dafür trainiert, und Mama Sheryl will auf keinen Fall ihren suizid-gefährdeten Bruder mit ihrem von Welthass geprägten Sohn alleine lassen, ergo: die ganze Familie muss mit.
Jonathan Dayton und Valerie Faris ist mit ihrem Regiedebüt ein wunderbar menschlicher, witziger und stellenweise brüllend komischer Film gelungen. Der Film lebt von den völlig überzogenen Figuren, die zu Beginn weniger eine Familie, sondern ein Haufen zusammen gewürfelter Freaks sind. Doch die Charaktere sind nicht eindimensional, sie passen nicht in Schubladen, auch wenn sie zu Beginn stereotyp scheinen: Sie sind keine Typen, sondern Menschen. In mancher Hinsicht entwickeln sie sich auf der Reise weiter, in anderer zeigen sie nur eine andere Seite von sich. Zerstörte Träume, neue Hoffnungen; zwei Tage VW-Bus reichen aus, um das zu schaffen, wofür andere wochenlang zur Familientherapie gehen: Die Familie nähert sich an, entwickelt ein Verständnis füreinander und vor allem für die Macken der anderen, brüllt sich an und versöhnt sich wieder, um schließlich mit einem neuen Zusammengehörigkeitsgefühl in Kalifornien anzukommen. Hier bilden sie eine Einheit gegen die künstlichen Püppchen der „Little Miss Sunshine“-Wahl, die allesamt wie abgehalfterte Hollywoodstars nach Lifting und Solarium aussehen, allerdings im siebenjährigen Miniaturformat. Angesichts deren perfekter Inszenierung erkennt die Familie, dass es wichtig ist, natürlich zu sein, etwas zu wagen und lieber abgedreht als dressiert zu sein.
Der Film vermittelt viele Botschaften, ohne dabei kitschig zu werden, was einerseits am sehr ausgeglichenen Drehbuch liegt und andererseits an den rundum passenden Darstellern, allen voran der bezaubernden kleinen Abigail Breslin, die eine herrliche Situationskomik und viel Herz einbringt, ebenso wie Olive in ihre Familie. „Little Miss Sunshine“ entlässt den Zuschauer mit einem wohligen Gefühl und einem Schmunzeln, das auch außerhalb des Kinosessels anhalten wird.
Fazit: Ein wunderbar warmherziger, witziger Wohlfühl-Film! 9 von 10 Punkten.
Familienbande: Opa, Frank, Dwayne, Olive, Sheryl und Richard.
„Du bist das wunderschönste Mädchen auf der ganzen Welt!“.
Lena Stadelmann, 12. Dezember 2006. Bilder: Fox.
Schreibe einen Kommentar