Seit seine große Liebe plötzlich und ohne große Erklärung verschwunden ist, spukt nachts ein Monster um das Haus von Hank und versucht hinein zu gelangen. Doch bildet sich der alleingelassene Mann die Kreatur vielleicht nur ein? Jeremy Gardner und Christian Stella liefern mit After Midnight einen kuriosen Indie-Streifen, der gekonnt mit Genre-Gesetzen spielt.
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After Midnight
alternativ: Something Else
Drama/Horror USA 2019. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 80 Minuten (PAL-DVD).
Mit: Jeremy Gardner, Brea Grant, Henry Zebrowski, Justin Benson u.a. Drehbuch: Jeremy Gardner. Regie: Jeremy Gardner und Christian Stella.
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Mumblecore und Monster
Bis die Kinos wieder aufmachen dürfen, muss ich mich als Cineast noch zwei Wochen gedulden, am 15. Juni 2020 wird es soweit sein. Doch der Markt an aktuellen Heimkinoveröffentlichungen (egal ob als Stream oder auf haptischem Medium) bietet glücklicherweise den ein oder anderen interessanten Film, wie After Midnight von Regie-Duo Jeremy Gardner und Christian Stella.
Seit Jahren leben Hank (Jeremy Gardner) und Abby (Brea Grant) in einem nicht mehr ganz taufrischen Haus irgendwo in der Wildnis des US-Bundesstaates Florida. Zwar hielt die große Verliebtheit lange Zeit an, doch eines Tages verschwindet Abby und hinterlässt nur eine kurze Notiz am Kühlschrank. Auch per Handy kann Hank seine Freundin nicht erreichen. Als ob das Verlassensein noch nicht schlimm genug wäre wird Hank nachts von einer geheimnisvollen Kreatur heimgesucht, die an die Tür kratzt und sich so Zutritt zum Haus verschaffen will. Weder Abbys Bruder, der Hilfssheriff Shane (Justin Benson), noch Kumpel Wade (Henry Zebrowski) möchten dem zunehmend verwahrlost wirkenden Hank wirklich glauben. Mit Schrotflinte und Kamera verschanzt sich Hank nachts in seinem Haus, um das Monster entweder zu erschießen oder wenigstens einen fotografischen Beweis für dessen Existenz zu erhalten…
Hank allein zu Haus
Schon seit ein paar Monaten hatte ich von After Midnight, der seine Uraufführung beim Tribeca Film Festival im April 2019 noch unter dem ursprünglichen Titel Something Else feierte und im September vergangenen Jahres auch auf dem Fantasy Filmfest in Deutschland gezeigt wurde, gehört. In Erwartung der Heimkinopremiere sichtete ich zuerst einen anderen Film, bei welchem das Filmemacher-Duo Aaron Moorhead und Justin Benson, die Produzenten von After Midnight, Regie führte: Spring – Love is a Monster, eine Urlaubsromanze à la Before Sunrise mit Fantasy- bzw. Horrorelementen. Darin hatte Jeremy Gardner einen kleinen Part, der wiederum gemeinsam mit Christian Stella After Midnight inszeniert hat, zudem für Drehbuch verantwortlich zeichnete und die Hauptrolle spielt während Justin Benson in einer nicht ganz unwichtigen Nebenrolle dabei ist. Somit hätten wir erklärt, dass die junge amerikanische Indie-Filmszene wohl aus einem vergleichsweise kleinen Freundeskreis besteht. 😉
After Midnight hat (vermutlich vom deutschen Verleih) mit Die Liebe ist ein Monster quasi den gleichen Untertitel wie Spring erhalten, doch passt dieser nach Sichtung des Films nicht wirklich. Gardners und Stellas zweite gemeinsame Regie-Arbeit nach Tex Montana Will Survive! (2015) (Gardner schrieb und inszeniert außerdem das Zombie-Apokalypse-Drama Ben & Mickey vs. The Dead [2012]) unterläuft gekonnt die Erwartungen und vermag je nach Vorlieben oder Einstellung seitens des Zuschauers entweder vor den Kopf zu stoßen oder positiv zu überraschen.
Als Kontrastprogramm wechselt die Handlung immer wieder zwischen Hanks trister Gegenwart (wenn er Bier und Gewehr in Griffweite dem Monster auflauert oder sich bisweilen doch mal unter Menschen begibt) und den mit viel mehr Licht eingefangenen Szenen der glücklichen Beziehung mit Abby. Den in anderen Rezensionen mehrfach genannten Vorwurf, dass diese „romantischen“ Einschübe besonders kitschig seien, kann ich nicht bestätigen. Vor allem der fragmentische Charakter der Erinnerungen, geben einen wichtigen Einblick in das Innenleben des verlassenen Protagonisten.
Es ist äußerst schwierig, Gardners und Stellas vorliegendes Werk für seine positiven Besonderheiten zu loben, ohne dabei große zu spoilern und/oder dem interessierten Zuschauer das kuriose Erlebnis der „jungfräulichen“ Erstsichtung zu nehmen. Das reduzierte Setting und die (in der Originalfassung) akustisch überwiegend schwer verständlichen Dialoge erinnern an die naturalistische Machtart von Mumblecore-Streifen. Generell gefällt After Midnight als unwechselhafte Mischung aus Beziehungsdrama und minimalistisch-diffusem Horror-Beitrag, der mit einer knapp 15minütigen Kameraeinstellung ohne Schnitt irgendwie Before Midnight (!), dem dritten Teil der Before…-Trilogie von Richard Linklater, huldigt, um im intensiven Finale zu schocken. Am Ende bleibt diese mit wenig Geld und weitgehend unbekannten Gesichtern (Brea Grant kenne ich aus der dritten Staffel von Heroes und Henry Zebrowski aus der Sequel-Serie Heroes Reborn) gedrehte kleine Genre-Perle aber durchaus interpretationsoffen.
After Midnight ist am 29. Mai 2020 auf DVD, BluRay und als limitiertes Mediabook erschienen. Außerdem kann man den Film bei diversen Streaminganbietern leihen oder kaufen.
Fazit: Pointierter Hybrid aus mumblecoreskem Beziehungsdrama und Creature-Horror, der Genre-Grenzen auf eigentümliche Weise sprengt. 8 von 10 Punkten.
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Hank und Wade auf der Jagd
Glückliche Tage mit Abby
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DVD-Features
Sprachen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial
Deutscher Trailer
Original-Trailer,
Audiokommentar von Jeremy Gardner und Christian Stella (Engl.)
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