Vierzehn Jahre nach der neunten und bis dato letzten Staffel kehrte die einst so innovative Mysteryserie Akte X mit sechs neuen Folgen zurück. Mulder und Scully nehmen ihren alten Tätigkeitsbereich beim FBI wieder auf und stoßen auf eine neue Verschwörung…
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Akte X: Die unheimlichen Fälle des FBI – Staffel 10 (X-Files: Season 10)
Mysteryserie USA/Kanada 2016. 6 Folgen. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Gesamtlänge: ca. 252 Minuten. TV-Erstausstrahlung: 8. Februar 2016.
Mit: David Duchovny, Gillian Anderson, Mitch Pileggi u.v.a. Idee: Chris Carter.
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Zwischen Selbstironie und Selbstzweifeln
14 Jahre nach der Schließung der X-Akten nimmt der für seine Sendungen zu Verschwörungstheorien bekannte, reaktionäre Internet-Moderator Tad O’Malley (Joel McHale) Kontakt zu den früheren FBI-Agenten Fox Mulder (David Duchovny) und Dana Scully (Gillian Anderson) auf. O’Malley behauptet, Beweise für eine fortgesetzte Alien-Verschwörung zu haben. Auf verschiedenen Wegen gehen die Ex-Agenten diesen nach. Die Hinweise verdichten sich, dass 1947 zwar ein UFO in Roswell landete, aber im Gegensatz zu früheren Erkenntnissen keine Alien-Kolonisierung geplant war, sondern außerirdische Technologie nutzbar gemacht wurde. Mulder glaubt, das langfristige Ziel der Konspiration sei die Unterwandung der Demokratie zur Machtergreifung. Scully ist wie gewohnt eher skeptisch. Schließlich werden die X-Akten wieder geöffnet. Mulder und Scully kehren zum FBI zurück und arbeiten wieder für Assistant Director Walter Skinner (Mitch Pileggi)…
Mulder und Scully ermitteln wieder
Nach dem zweiten Kinofilm Jenseits der Wahrheit schien eine Fortsetzung in Filmform trotz des eher schwachen Einspielergebnisses wahrscheinlicher als alles andere. Ab Juni 2013 wurde eine mäßige Comic-Serie unter dem Titel Akte X: Staffel 10 (in Deutschland bei Dani Books) veröffentlicht. Im März 2015 bestätigte der US-Sender Fox schließlich die Fortsetzung der Mysteryshow in Form einer sechsteiligen Miniserie, die von Juni bis September 2015 an alter Wirkungsstätte in und um die kanadische Metropole Vancouver gedreht wurde.
Um es kurz zu machen. Das Wiedersehen mit den beiden Hauptfiguren und ihren persönlichen Eigenheiten macht über weite Strecken großen Spaß. Doch dieser kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die neuen Folgen inhaltlich, vor allem was die fortgesetzte Serienmythologie betrifft, wenig überzeugend wirken.
Immerhin gelingt es Serien-Erfinder, Autor und Showrunner Chris Carter (Millennium, Harsh Realms) den Status Quo der Geschichte ins Jahr 2015/16 zu übertragen. Akte X begann seine Laufzeit im Fernsehen, als Verschwörungstheorien und das Internet als Kommunikationsmittel überwiegend Computerfreaks oder anderen „Nerds“ vorbehalten war. Doch mit der Etablierung des World Wide Web und dem Aufkommen der sozialen Netzwerke sind Verschwörungstheorien (seien sie auch noch so abwegig) salonfähig geworden. Gleich die erste Folge der neuen Staffel wird eindeutig in der Gegenwart zwischen WikiLeaks, Edward Snowden, totaler Überwachung und Droneneinsatz verortet. Der charismatische aber zwielichtige Web-Anchorman O’Malley attackiert die Mainstream-Medien und richtet sich gegen eine von ihm ausgemachte Verschwörung der US-Regierung gegen ihr Volk. Dass er „nebenbei“ noch für eine weitere Lockerung der ohnehin laxen US-Waffengesetze kämpft, zeigt die Gefährlichkeit solcher selbsternannter „Aufklärer“.
Auch in Mulders und Scullys Leben hat sich so einiges getan. Die beiden sind kein Paar mehr und während Dana als Ärztin in einem Krankenhaus mit christlichem Träger arbeitet, hat sich ihr langjähriger Partner (bei welchem sie eine endogene Depression diagnostizierte) ins Privatleben in einem abgelegenen Haus zurück gezogen. Die Theorien von O’Malley bringen beide wieder zu den X-Akten. Immer wieder trauern beide ihrem gemeinsamen Sohn William nach, der zu seinem eigenen Besten (um nicht ständig in Gefahr zu sein) kurz nach seiner Geburt zur Adoption freigegeben wurde. Vor allem bei Mulder hat die jahrzehntelange Suche nach der Wahrheit Spuren hinterlassen. Er will immer noch glauben (siehe das bekannte Poster), aber schwankt ständig zwischen existenziellen Selbstzweifeln und der Versteifung auf mögliche neue „Beweise“, die sich dann als Schwindel oder heiße Luft entpuppen.
Wundervoll ironisiert wird Mulders Dilemma (dem das Internet in seiner heutigen Form laut Scully nicht gut tue) in der dritten Episode Mulder und Scully gegen das Wer-Monster, wie alle besonders skurill-witzigen Stories aus der Feder von Darin Morgan (z.B. Der Zirkus aus Season 2), welche außerdem einen absurd-komischen Abgesang auf die moderne Zivilisation und nicht nur den humorvollen Höhepunkt der 10. Season zu bieten hat. Auch Mulders überinszenierter Drogen-Trip in Babylon (Folge 10×05), inklusive Cameo der Einsamen Schützen, dürfte zu den spaßigen Highlights zählen.
Miller und Einstein
Mit letztgenannter Episode gelingt außerdem die Einbeziehung weiterer brandaktueller Themen (Flüchtlingskrise, Ausländerfeindlichkeit und Terror durch Selbstmordattentäter). Als jüngere Abziehbilder unserer beiden Lieblingsbundesagenten werden die Agents Miller und Einstein (siehe Foto rechts) eingeführt, was im Zuge der Ermittlungen zur Verhinderung eines weiteren Terror-Anschlages in Texas für eine interessante Team-Zusammensetzung sorgt.
Nicht nur die beiden Hauptfiguren kehren für die neuen Fälle zurück. Auch ihr Vorgesetzter Walter Skinner ist wieder mit von der Partie. Seine Rolle wird aber leider wie in beiden Kinofilmen völlig sang- und klanglos verschenkt und er zum Stichwortgeber degradiert. Neben einem Auftritt der ehemaligen FBI-Kollegin Monica Reyes (gespielt von Annabeth Gish) im Finale wird leider der „Cigarette Smoking Man“, auch bekannt als „Der geheimnisvolle Raucher“ oder (wie ihn Mulder nennt) „Der Krebskandidat“ (William B. Davis), zum x-ten Mal von den Toten auferweckt. Als aus seinen eigenen Leichenteilen zusammengeflicktes „Frankensteins Nikotinmonster“ zieht er im Hintergrund immer noch die Strippen, auch wenn er selbst zum gnadenlosen Weiterqualmen fremde Hilfe benötigt. Was man der zehnten Serien-Staffel aber zu gute halten muss: sie erweckt im Gegensatz zur oben erwähnten, gleichnamigen Comic-Reihe nicht alle wichtigen Nebenfiguren, die im Verlauf der ersten neun Seasons verstarben, als „Untote“ wieder.
Leider hinterlässt die Fortsetzung der Alien-Konspiration eher ungläubiges Kopfschütteln. Und falls es zwischenzeitlich vergessen wurde, erinnert man sich als Zuschauer schließlich daran, dass die Serienmythologie in den beiden vorherigen Staffeln (acht und neun) dermaßen abdriftete, dass selbst die Drehbuchautoren nicht einmal mehr zu wissen schienen, wo die (Alien-)Reise hingehen soll. Als aufgesetzt und enttäuschend wirkt daher auch das Staffelfinale (Der Kampf, Teil 2), in dessen Verlauf eine plötzliche Epidemie die Menschheit auszulöschen droht. Das Ende der neuen Folgen mit einem Cliffhanger wirkt auch nicht unbedingt so glücklich gewählt. In einem Interview sagte David Duchovny kürzlich, dass nur sechs Folgen für eine Staffel zu wenig seien, auch wenn 22 definitiv zu viel wären. Hoffen wir, dass für eine mögliche 11. Season (evtl. 2017/18) die Episodenanzahl etwas besser „ausbalanciert“ wird.
Nach der zeitnahen deutschen Free-TV-Premiere vom 8. Februar bis 14. März 2016 auf Pro Sieben ist Staffel 10 am 23. Juni 2016 unter dem Titel Akte X – Die neuen Fälle auf BluRay und DVD erschienen.
Fazit: Die zehnte Staffel von Akte X überzeugt dann, wenn sich ihre beiden Hauptfiguren selbst hinterfragen, und durch tagespolitische Aktualität sowie ironische Brechung. Insgesamt wirkt die Neuausrichtung der Serienmythologie unausgegoren. 7 von 10 Punkten.
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Die UFO-Absturzstelle in Roswell
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Marius Joa, 26. Juni 2016. Bilder: Fox/Pro Sieben.
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