Charlie Chaplin (1889-1977) war nicht nur einer der Pioniere des Stumm- und Tonfilms sondern avancierte im Laufe seiner langen Karriere auch zu einem der größten Kinostars der Geschichte. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges drehte er seinen ersten Tonfilm, die tragikomische Antikriegssatire Der Große Diktator, in welchem er sich über die Nazi-Diktatur und den Führer lustig machte.
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Der Große Diktator (The Great Dictator)
Antikriegsfilm/Satire USA 1940. FSK: Freigegeben ab 6 Jahren. 125 Minuten.
Mit: Charlie Chaplin, Paulette Goddard, Maurice Moscovitch, Reginald Gardiner, Jack Oakie, Henry Daniell, Billy Gilbert, Emma Dunn u.v.a. Drehbuch und Regie: Charlie Chaplin.
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Krieg, Slapstick und Frieden
1918, kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges. Ein jüdischer Friseur (Charlie Chaplin), der für seine Heimat Tomanien kämpft, wird bei der Rettung des Piloten Schultz (Reginald Gardiner) schwer verletzt und verliert sein Gedächtnis. Zwanzig Jahre später wird der Friseur aus dem Krankenhaus entlassen und eröffnet seinen Salon wieder. Doch die politischen Verhältnisse haben sich massiv verändert. Tomanien ist nun eine Diktator unter dem Führer Anton Hynkel (Charlie Chaplin), in welcher der jüdische Teil der Bevölkerung von den Soldaten verfolgt und drangsaliert wird. Auch der Friseur gerät schnell ins Visier der tomanischen Truppen, wird allerdings aus einer heiklen Situation von der jungen Hannah (Paulette Goddard) gerettet, welche mit dem Ehepaar Jaeckel (Maurice Moscovitch und Emma Dunn) das Nachbarhaus bewohnt. Die Jaeckels und andere Juden erwägen es, ins benachbarte Osterlitsch auszuwandern. Diktator Hynkel plant unterdessen weitere Eroberungszüge Tomaniens, muss sich dafür aber mit Benzino Napoloni (Jack Oakie), dem Duce von Bacteria, herumschlagen…
Charles Spencer „Charlie“ Chaplin, geboren am 16. April 1889 und verstorben am 25. Dezember 1977, wuchs mit seinem älteren Halbbruder Sydney (1885-1965) in ärmlichen Verhältnissen in London auf. Sowohl der Vater als auch die Mutter waren Varietee-Künstler. Ersterer verließ die Familie aber bald und starb 1901. Weil Charlies und Sydneys Mutter immer wieder unter psychischen Problemen litt mussten die beiden Jungen den Lebensunterhalt der kleinen Familie mitbestreiten. Bereits als Kind trat Charlie bei unterschiedlichen Theateraufführungen und Musical-Performances auf. Ende der 1900er Jahre erhielt Chaplin sein erstes reguläres Bühnenengagement. Noch vor Beginn des Ersten Weltkrieges ging seine Truppe bereits auf Tournee in die USA, wo Charlie erstmals in Kontakt mit dem jungen Medium Film kam.
Eine spezielle Figur machte Charlie Chaplin weltbekannt: der Tramp. Dieser heruntergekommene Gentleman trägt teils nicht ganz passende Kleidung (wie die Melone) und einen Spazierstock, wirkt dadurch etwas aus der Zeit gefallen. Doch dieser Archetyp des frühen Kinos sorgt nicht nur für Lacher beim Publikum, sondern strahlt auch eine zu Herzen gehende Tragik aus. Chaplin spielte den Tramp in unzähligen Kurz- und Langspielfilmen, etwa in Der Tramp (1915), Goldrausch (1925) und zum eigentlich letzten Mal in Moderne Zeiten (1936). Als Hauptdarsteller, Produzent, Drehbuchautor, Regisseur und Mitkomponist der Filmmusik stemmte der damals 50jährige Der Große Diktator (Originaltitel: The Great Dictator, 1940), dessen Dreharbeiten im September 1939 begannen, kurz nachdem Die Truppen Nazi-Deutschlands in Polen einmarschiert und dadurch der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war.
Chaplin studierte dank der Wochenschauen die Auftritte und den eigenwilligen Redestil Hitlers genau und parodierte diesen als Anton (In der Originalfassung Adenoid) Hynkel aufs Köstlichste, verwendete dabei ein überzogenes Kauderwelsch, wobei dies auch in der Deutschen Synchronfassung im Original belassen wurde. Als der Film im Oktober 1940 erstmals aufgeführt wurde und in der Folge in den Kinos lief, ahnte in Amerika noch niemand vom Ausmaß der Nazi-Vernichtungsmaschinerie. Wie der Filmemacher später in seiner Autobiographie zugab, hätte er den Film bei Kenntnis der unbeschreiblichen Greuel niemals gemacht.
Doch der titelgebende Führer macht nur etwa die Hälfte der Handlung aus. Die andere dreht sich um den ebenfalls von Chaplin verkörperten namenlosen Friseur und das Schicksal der Juden im Ghetto. Durch die 20 Jahre zwischen seiner traumatischen Verletzung als Soldat im Ersten Weltkrieg und seiner Entlassung aus dem Krankenhaus versteht der einfache Gewerbetreibende die Welt nicht mehr, denn sein Land, dem er einst treu gedient hat, ist zur faschistischen Diktatur geworden. Die gutmütige, fast kindliche Naivität und sein tragisches Schicksal lassen diese Figur als konsequente Weiterentwicklung des bereits erwähnten Tramp erkennen. Es ist das Nebeneinander von Komik und Tragik, durch welche man als Zuschauer*in den Friseur und die anderen, überwiegend jüdischen Charaktere ins Herz schließt.
Der große Diktator verkommt allerdings nie komplett zu einer One-Man-Show seines im Zentrum stehenden Stars. Denn Paulette Goddard (Chaplins häufige Spielpartnerin und dritte Ehefrau) als gutmütige, tatkräftige Hannah, Maurice Moscovitch als Herr Jaeckel und weitere Akteur*innen können sich ebenso in den Vordergrund spielen. Absolut köstlich ist das Zusammenspiel von Chaplin als Hynkel mit Jack Oakie als Mussolini-Parodie Napoloni, welche beide Diktatoren als komplette Witzfiguren entlarvt. Die Doppelrolle Chaplins als Diktator und als einfacher Friseur spiegelt auch perfekt die seltsame Dopplung der Lebensumstände des Filmemachers und des deutschen Führers wider. Beide wurde im April 1889 geboren und stammten aus einfachen Verhältnissen. Während aus dem einen der wahrscheinlich schlimmste Massenmörder in der Geschichte wurde, avancierte der andere zu einem der größten Filmstars aller Zeiten.
Nicht nur, dass The Great Dictator die Schrecken einer faschistoiden Diktatur und des Krieges in einer kuriosen Mischung aus Slapstick, Parodie und Tragikomik auf der Leinwand erfahrbar machte, seine Botschaft am Ende des Filmes, als der „falsche Führer“ vor die Mikrofone tritt und Frieden, Mitmenschlichkeit sowie Toleranz einfordert, hat gut achtzig Jahre später kein Bisschen von ihrer zeitlosen Relevanz eingebüßt, auch bedauerlicherweise nicht im Jahre 2024, wo sich immer mehr Hass ausbreitet. Alleine dieses finale Statement genügt als Vermächtnis des großen Charlie Chaplin und als Mahnung dafür, dass Demokratie und Frieden zu keiner Zeit wirklich als etwas Selbstverständliches betrachtet werden dürfen.
Der große Diktator von/mit Charlie Chaplin ist auf DVD und BluRay erschienen sowie als Stream bei diversen Anbietern erhältlich.
Fazit: Charlie Chaplins visionärer, beißender Satire auf Faschismus, Hass und Militarismus gelingt ein meisterhafter Balanceakt zwischen Tragik und Komik, mit einer perfekten Schlussbotschaft. 9 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 19. Januar 2024. Bilder: Arthaus.
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