Der schweigende Stern

Vor fast genau 60 Jahren erschien mit Der schweigende Stern der erste DDR-Science-Fiction-Film, mit großem Aufwand vorbereitet und inszeniert. Auch heute noch ein beeindruckendes Werk.

Der schweigende Stern
alternativ: Raumschiff Venus antwortet nicht /
Milcząca Gwiazda
Science-Fiction-Film DDR, Polen 1960. FSK: Freigegeben ab 6 Jahren. 90 Minuten (PAL-DVD). Kinostart: 26. Februar 1960 (DDR); 9. September 1960 (BRD).
Mit: Michail Postnikow, Yoko Tani, Oldrich Lukes, Ignacy Machowski, Günther Simon, Julius Ongewe, Kurt Rackelmann, Tang Hua-Ta u.a. Regie: Kurt Maetzig. Drehbuch: Jan Fethke, Wolfgang Kohlhaase, Günter Reisch, Günther Rücker, Alexander Graf Stenbock-Fermor. Nach dem Roman
Die Astronauten von Stanislaw Lem.

 

Düster nachdenkliche Utopie

Bei Ausgrabungen in der Wüste Gobi finden Wissenschaftler 1970 eine geheimnisvolle Spule, die eine verschlüsselte Botschaft enthält. Untersuchungen ergeben, dass die Spule mit dem Asteroidenabsturz in Tunguska von 1908 zusammenhängt. Nur stürzte damals ein Raumschiff vom Planeten Venus und kein Asteroid ab. Kontaktversuche mit dem Planeten scheitern. Daher wird eine Gruppe der renommiertesten Wissenschaftler und fähigsten Astronauten mit dem Flug zur Venus beauftragt: der sowjetische Kosmonaut Arsenjew (Michail Postnikow), die japanische Ärztin Sumiko Ogimura (Yoko Tani), der amerikanische Physiker Hawling (Oldrich Lukes), der polnische Ingenieur und Kybernetiker Soltyk (Ignacy Machowski), der deutsche Pilot Brinkmann (Günther Simon), der afrikanische Techniker Talua (Julius Ongewe) sowie der chinesische Linguist/Biologie Tschen Yü (Tang Hua-Ta) und der indische Mathematiker Sikarna (Kurt Rackelmann). Auf dem Raumschiff Kosmokrator fliegen die acht Personen zur Venus. Während des einmonatigen Fluges gelingt es die Botschaft komplett zu dechiffrieren. Sie besagt, dass die Venus-Bewohner einen Angriff auf die Erde planen. Auf der Venus angekommen findet die Besatzung der Kosmokrator keinerlei Lebewesen aber noch aktive technische Einrichtungen vor. Doch was ist mit den Bewohnern passiert?

Die Gelegenheit einen 60 Jahre alten Science-Fiction-Film aus der DDR im hiesigen Programmkino auf der großen Leinwand zu sehen ließ ich mir nicht nehmen. Gezeigt wurde am vergangenen Sonntag nicht irgendein Genre-Beitrag sondern DER ERSTE Scifi-Beitrag aus der Deutschen Demokratischen Republik. Wer hier allerdings ein billig zusammengezimmertes Propagandafilmchen vermutet, der irrt. Denn Der schweigende Stern von Regisseur Kurt Maetzig (1911-2012) wurde nicht nur höchst aufwändig produziert, sondern liefert auch eine neutrale Botschaft.

Auf Basis des Romans Die Astronauten (1951; OT Astronauci; in Deutschland auch unter dem Titel Planet des Todes veröffentlicht) vom polnischen Autor Stanislaw Lem machte sich Maetzig nach der erfolgreichen Sputnik-Mission der UdSSR und damit dem Beginn des Zeitalters der Raumfahrt 1957 daran, einen Weltraum-Film zu drehen. Nach der Bearbeitung des Skrips durch mehrere Drehbuchteams gab die Zensurbehörde ihr Einverständnis. Die gleiche Pionier-Rolle wie der Sputnik für die Raumfahrt sollte die Produktion als erster Scifi-Streifen der DDR spielen. 80 Prozent des damals hohen Budgets von 5,75 Millionen Ostmark stemmte die DEFA, die restlichen 20 Prozent kamen von polnischer Seite. Hinsichtlich Ausstattung und Spezialeffekte wirkt Der schweigende Stern aus heutiger Sicht durchaus noch beeindruckend. Diesbezüglich musste man sich vor den erst sechs Jahre später erschienenen Kultserien Star Trek – Raumschiff Enterprise oder Raumpatrouille Orion keineswegs verstecken. Vor allem die ästhetisch ansprechenden Szenen auf der Venus sorgen gekonnt für eine unheilschwangere, surreale Atmosphäre, die ihresgleichen sucht. Die Technik im Film wirkt aus heutiger Sicht natürlich antiquitiert, besitzt dafür aber retrofuturistischen Charme.

In der ersten Hälfte gestaltet sich die Handlung noch recht behäbig, doch insgesamt habe ich mich in den 90 Minuten nicht gelangweilt. Das Drehbuch nutzt die Präliminarien und den Raumflug geschickt, um die einzelnen Charaktere der internationalen Crew vorzustellen und manchen auch eine etwas tiefer gehende Rolle zu geben. Gnädigerweise verzichtete man hier auf den Versuch, die Zuschauer mit sozialistischer Propaganda beeinflussen zu wollen. Die Botschaft wird dennoch mit aller Klarheit dargeboten. Um die Erde zu retten und den Weltraum zu erforschen müssen alle Nationen friedlich miteinander zusammenarbeiten. Eine pazifistische Utopie mit antikapitalistischen Tönen. Der Atombombenabwurf über Hiroshima 1945 und seine verheerenden Auswirkungen wird mehrmals als “Auslöser” genannt. In der englischsprachigen Fassung, in den USA und Großbritannien unter dem Titel First Spaceship on Venus erschienen, wurden sämtliche Verweise auf Hiroshima entfernt und die Laufzeit somit um etwa 10 Minuten gekürzt. Als Raumschiff Venus antwortet nicht kam der Film auch in Westdeutschland in die Kinos. Mit über 4,37 Millionen Zuschauern in Europa gehört Der schweigende Stern zu den erfolgreichsten DEFA-Produktionen. Sechs weitere Science-Fiction-Produktionen aus der DDR folgten.

Fazit: Der erste DDR-SF-Streifen überzeugt auch heute noch als aufwändige Zukunftsvision mit pazifistischer Botschaft. 8 von 10 Punkten.

 


Marius Joa, 21. Februar 2020. Bilder: Icestorm.

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