Die Erlösung der Fanny Lye

Das alljährliche Internationale Filmwochenende in Würzburg wurde für dieses Jahr zur Filmwoche expandiert und findet ausschließlich digital statt. Als ersten Film habe ich Die Erlösung der Fanny Lye, ein reduziertes Historiendrama über Religion und Selbstbestimmung von Regisseur Thomas Clay, gesehen.


Die Erlösung der Fanny Lye (Fanny Lye Deliver’d)
alternativ: The Delivered
Historiendrama UK, Deutschland, Schweden 2019. FSK: keine Jugendfreigabe. 110 Minuten.
Mit: Maxine Peake, Charles Dance, Freddie Fox, Tanya Reynolds, Zak Adams, Peter MacDonald u.a. Drehbuch und Regie: Thomas Clay.

 


Im Puritanischen Purgatorium

England, 1657. Auf einem abgelegenen Bauernhof lebt die frühere Dienstmagd Fanny Lye (Maxine Peake) mit ihrem Ehemann, dem Veteranen John Lye (Charles Dance), sowie dem gemeinsamen Sohn Arthur (Zak Adams). Der Alltag wird von einfacher Arbeit und einer überaus gottesfürchtigen Lebensweise bestimmt. Das Leben der Lyes gerät allerdings aus den Fugen als sie dem flüchtigen Paar Thomas (Freddie Fox) und Rebecca (Tanya Reynolds) Zuflucht in ihrer Scheune gewähren. Das Selbstbewusstsein und die revolutionären Ansichten ihrer Gäste hinterlassen bei Fanny einen tiefen Eindruck. Doch birgt deren Anwesenheit auch große Gefahr…

Dass Fanny Lye Deliver’d überhaupt fertig wurde kam für Regisseur Thomas Clay (Soi Cowboy) sicherlich einer Erlösung gleich, nachdem die Arbeit am Film fast ein Jahrzehnt in Anspruch genommen hatte. Die Produktion musste immer wieder brutale Rückschläge hinnehmen. 2013 verstarb Joseph Lang, einer der Produzenten und Weggefährte Clays, mit nur 33 Jahren. Ihm ist der Film auch gewidmet. Im Februar 2016 sorgten unwirtliche Wetterbedingungen für eine Überschwemmung, welche das als Hauptkulisse dienende, historisch akkurat nachgebaute Farmhaus in Mitleidenschaft zog. Mit der Zeit stieg das benötigte Budget von ursprünglich 1,2 Millionen auf 2,4 Millionen Pfund, so dass neben British Film Institute weitere Finanziers gewonnen werden mussten, darunter ZDF, Arte, die Film- und Medienstiftung NRW, das Medienboard Berlin-Brandenburg und die schwedische Produktionsfirma Film i Väst. Um Geld zu sparen übernahm Autor und Regisseur Clay auch den Schnitt, einen Großteil des Sounddesigns sowie das Colourgrading. „Fanny Lye“ stecke nach Ende der Dreharbeiten noch drei Jahre in der Nachproduktionshölle fest, weil Clay keine Kompromisse bei der Filmmusik machen wollte und über längere Zeit den richtigen Komponisten suchte, bis er den Score schließlich selbst übernahm und ein Jahr für die Komposition benötigte. Für die Musik kamen fast ausschließlich Instrumente aus dem späten 17. Jahrhundert, in welchem die Handlung spielt, zum Einsatz. Im Oktober 2019 konnte endlich die Premiere beim London Film Festival gefeiert werden. Nach einem Gastspiel beim Fantasy Filmfest im September 2020 steht Die Erlösung der Fanny Lye auch im Programm der Internationalen Filmwoche in Würzburg, bevor Ende Februar 2021 eine Heimkinoveröffentlichung folgt.

Die Geschichte spielt in der englischen Grafschaft Shropshire, welche an Wales grenzt, im Jahre 1657. Aus dem englischen Bürgerkrieg (1942-1649) zwischen den Truppen König Karls I. und den Anhängern des Parlaments gingen letztere als Sieger hervor. Der König wurde hingerichtet und Oliver Cromwell zum Lordprotektor einer stark puritanisch geprägten Republik ernannt. Konkret bedeutete das ein an strengen christlichen Vorschriften orientiertes Leben. Titelheldin Fanny ist ihrem viel älteren Ehemann, der zur Bestraung Ehefrau und Sohn mit der Rute schlägt, unterworfen. Frömmigkeit und Gehorsam sind die obersten Gebote, die Bibel selbst lesen können und dürfen Frauen allerdings in dieser Zeit nicht. Einen krassen Gegenentwurf zu dieser strikten Philosophie liefern das von den Lyes aufgenommene junge Paar mit ihren „aufrührerischen“ Ansichten und ihrem „sündhaften“ Verhalten. Das Aufeinandertreffen der Gegensätze geht natürlich nicht reibungslos vonstatten.

„Fanny Lye“ gestaltet sich über weite Strecken recht gemächlich und sperrig, schwelgt in panoramahaften Einstellungen des Farmhauses und der umgebenden, nebelverhangenen Landschaften, die gleichzeitig absolut authentisch und etwas unwirklich erscheinen. Gedreht wurde auf 35mm-Film. Doch mit der Zeit wechselt die Ausrichtung vom authentischen Drama zur einer spannenden Home-Invasion-Story bis zum puritanischen Western mit allerlei Brutalität. Dass dieser Genremix funktioniert liegt zum einen an der von Beginn an latent unheilvollen Stimmungen, welche auch durch den Einsatz einer Erzählerin verstärkt wird. Das Herz dieses ungewöhnlichen Historiendramas bilden allerdings die Darsteller im personell sehr überschaubaren Ensemble. Maxine Peake (Die Entdeckung der Unendlichkeit) scheint perfekt für die Rolle der einfachen, unterdrückten Frau, deren Leben durch schicksalhafte Begegnungen einen entscheidenden Wendepunkt nimmt. Ich kann mir ehrlich gesagt auch keinen anderen Schauspieler als Charles Dance (Game of Thrones) als Fannys gestrengen, respektgebietenden Ehemann vorstellen. Freddie Fox (Die drei Musketiere [2011], Parade’s End) und Tanya Reynolds (Sex Education, Emma.[2020]) als den Lyes gegensätzliches Paar überzeugen.

Die Erlösung der Fanny Lye erscheint am 26. Februar 2021 auf DVD und BluRay.

Fazit: Glänzend gespieltes, mit karger Schönheit bebildertes Befreiungsdrama. 8 von 10 Punkten.

 

 

Marius Joa, 31. Januar 2021. Bilder: Alamode Film.

 

 

 

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