Weiter geht es im diesjährigen Horroctober, heute mit einem stilprägenden Streifen aus der Frühzeit des Tonfilms: Dracula von 1931, mit Bela Lugosi in seiner bekanntesten Rolle.
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Dracula
Horrorfilm USA 1931. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 74 Minuten (BluRay).
Mit: Bela Lugosi, Helen Chandler, Dwight Frye, David Manners, Edward Van Sloan, Herbert Bunston, Charles K. Gerrard, Frances Dade, Joan Standing u.a. Nach dem Roman von Bram Stoker und dem Theaterstück von Hamilton Deane und John L. Balderston. Drehbuch: Garrett Fort. Regie: Tod Browning, Karl Freund.
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Als der Vampir sprechen lernte
Der Londoner Anwalt Renfield (Dwight Frye) reist nach Transsylvanien, um den Verkauf von Cairfax Abbey an den geheimnisvollen Grafen Dracula (Bela Lugosi) zu vollziehen. Die Warnungen der dortigen Bevölkerung in den Wind schlagend gerät Renfield schon bald in den Bann Draculas, der sich als blutsaugender Vampir entpuppt. Mit einem Schiff, auf welchem der Graf nach und nach die Besatzung tötet erreichen sie England. Renfield landet bald in der Psychiatrie von Dr. Seward (Herbert Bunston), dessen Gelände an Cairfax Abbey grenzt. Dracula lernt kurz darauf Seward, dessen Tochter Mina (Helen Chandler), deren Verlobten Jonathan Harker (David Manners) und Minas Freundin Lucy (Frances Dade) kennen. Wenig später stirbt Lucy an einer mysteriösen Krankheit. Mit Professor Van Helsing (Edward Van Sloan) wird ein erfahrener und versierter Mediziner zu Rate gezogen, der schon bald die wahren Hintergründe aufzudecken vermag…
Eigentlich wollte das damals noch junge Hollywoodstudio Universal unter der Ägide von Carl Laemmle Jr (dem Sohn des gleichnamigen, aus Deutschland stammenden Studiogründers) den Roman Dracula (1897) des irischen Autors Bram Stoker (1847-1912) als aufwändige Großproduktion für die Leinwand adaptieren. Daher verhandelte man erfolgreich mit Stokers Witwe und sicherte sich die Rechte am Buch, auch um eine Situation wie bei Friedrich Wilhelm Murnaus expressionistischem Stummfilm Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) zu vermeiden. Weil die deutsche Verfilmung ohne Autorisierung erfolgt war hatte Mrs. Stoker die Filmemacher verklagt. Doch nicht etwa juristische Streitfragen standen einer teuren Leinwandübertragung im Weg sondern die Weltwirtschaftskrise ab 1929. Es reichte schließlich nur zu einem Budget von etwa 340 000 US-Dollar. Das Skript von Garrett Fort basierte auch nicht direkt auf dem Roman, sondern auf Bühnenfassungen der Story, welche in London und am Broadway aufgeführt wurden, wo auch ein gewisser Bela Lugosi in der Titelrolle zu sehen war. Auch wenn ursprünglich andere Darsteller angedacht waren so konnte Lugosi den Part des Vampirfürsten ergattern. Dafür akzeptierte er eine vergleichsweise schmale Gage von 500 Dollar pro Woche. Regie führte Tod Browning, der ein Jahr später mit Freaks einen weiteren Horror-Klassiker drehen sollte. Wobei man hier und da liest, dass die Dreharbeiten eher wenig organisiert über die Bühne gingen und Browning das Interesse verloren haben soll weswegen er Kameramann Karl Freund zum großen Teil die Inszenierung überließ. Jedenfalls war der Spuk nach 36 Drehtagen im Kasten, der Vampirfürst erstmals in einem Tonfilm zu sehen UND zu hören.
Anlässlich des diesjährigen Gruselmonats habe ich mir diesen mittweile 90 Jahre alten Klassiker das erste Mal zu Gemüte geführt. Am meisten fällt auf, dass während fast der gesamten Laufzeit von 74 Minuten keine Musik zu hören ist. Im Vorspann erklingt eine bekannte Melodie aus Piotr Tschaikovkys Ballett Schwanensee und in der Oper hören die Figuren sich die Ouvertüre aus Richard Wagners Oper Die Meistersinger an. Ansonsten wurde aus zwei Gründen auf einen Score verzichtet. Einerseits um Geld zu sparen, andererseits weil man im sehr neuen Medium des Tonfilms die Zuschauer nicht durch musikalische Untermalung ablenken oder verwirren wollte. Allerdings kommt dadurch leider eher wenig Atmosphäre auf. Auf der BluRay kann man sich den Film auch mit einem 1999 von Philip Glass komponierten und vom Kronos Quartet eingespielten Score anhören, doch dieser überlagert das Geschehen für meinen Geschmack zu sehr.
Man kann sicherlich vielen Horror-Streifen vorwerfen, dass diese auf zu plumpe Schockeffekte oder ähnliches setzen. Die erste “Talkie-Version” von Bram Stokers Vampir-Roman gehört definitiv nicht dazu. Im Gegenteil, an so einigen Stellen würde man sich eine spektakulärere Inszenierung wünschen, zumindest nach heutigen Maßstäben. Wie im frühen Kino üblich orientierte man sich sehr beim Theater, im konkreten Fall nicht nur durch recht lange Kameraeinstellungen, sondern im fast völligen Verzicht auf praktische Effekte (mit Ausnahme der eher albernen Fledermausattrappen). Daher wirkt der Film auch über weite Strecken wie ein in Studiokulissen gefilmtes Bühnenstück, mit teils ausladenden Gesten der Akteure. Und dennoch erscheint mir der 90 Jahre alte Streifen nicht wie ein lahmes Werk aus der Schwarzweiß-Klamottenkiste. Dank einiger stimmungsvoller Szenerien und ordentlicher bis starker schauspielerischer Leistungen hat Brownings Dracula für Fans des gepflegten Grusels und Filmfans mit Interesse an historisch prägenden Werken durchaus etwas zu bieten.
Der aus Ungarn stammende Bela Lugosi (1882-1956) spielte hier freilich die Rolle seines Lebens, mit welcher er Jahre später noch untrennbar verbunden war, auch wenn er selbst nur noch einmal Dracula verkörperte (in der Komödie Abbott und Costello treffen Frankenstein von 1948) und nach Lugosis Tod ein gewisser Christopher Lee sich den Vampirfürsten zu Eigen machen sollte. Die unheimliche Aura des Hauptdarstellers wurde dadurch verstärkt, dass seine Augen in einigen Einstellungen von Lampen angestrahlt wurden. Aus heutiger Sicht mag seine Performance nicht mehr ganz so gut wirken, aber eine gewissen Präsenz kann man Lugosi nicht absprechen. Dwight Frye verkörpert den anfangs ahnungslosen und schließlich von Dracula bessessenen Renfield voller Inbrunst. Sowohl er als auch Edward Van Sloan alias Professor Van Helsing sollten im gleichen Jahr in einem weiteren Gruselklassiker, nämlich Frankenstein (nach dem Roman von Mary Shelley), zu sehen sein. Helen Chandler verleiht Mina soviel Charakter, wie es das Drehbuch zu lässt. Als Comic Relief fungiert Charles K. Gerrard in der Rolle des Pflegers Martin.
Nach heutigen Sehgewohnheiten mag die 1931er Verfilmung von Dracula kein großer Brüller sein, aber steht der Film doch am Anfang einer ganzen Reihe von Kino- und TV-Produktionen mit Stokers ikonischem Blutsauger. Kuriosum am Rande: damals war es üblich, Filme in unterschiedlichen Sprachfassungen für andere Länder zu produzieren. Während tagsüber die vorliegende englische Adaption gefilmt wurde drehte Regisseur George Melford mit anderen Schauspielern (u.a. Carlos Villarías als Dracula) und Crew eine spanischsprachige Version in den gleichen Kulissen, die ebeno 1931 ihre Veröffentlichung fand. Diese spanische “Alternativfassung” dauert etwa eine halbe Stunde länger und ist Teil des Bonusmaterials der BluRay.
Dracula von 1931 ist in diversen Ausführungen auf DVD und BluRay erschienen sowie als kostenpflichtiger Stream bei Amazon, Apple TV, Google Play, Microsoft und Youtube verfügbar.
Fazit: Ikonischer, filmhistorisch wichtiger Gruselstreifen mit einem unheimlichen Bela Lugosi in der Titelrolle. Aus heutiger Sicht leider etwas zu behäbig und brav inszeniert. 6 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 15. Oktober 2021: Bilder: Universal
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Weitere Filme/Serien mit Dracula:
Bram Stoker’s Dracula (1992)
Van Helsing (2004)
Dracula (2013/14)
Dracula Untold (2014)
Penny Dreadful (2014-2016)
Dracula (2020)
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