In Electric Girl erhält eine junge Frau den Traumjob als Synchronsprecherin einer Anime-Figur. Doch mit der Zeit verliert sie sich zu sehr in der Rolle…
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Electric Girl
Psycho-Drama/Animation Deutschland, Belgien 2018. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 85 Minuten (PAL-DVD). Kinostart: 11. Juli 2019.
Mit: Victoria Schulz, Hans-Jochen Wagner, Svenja Jung, Björn von der Wellen, Irene Kugler, Oona von Maydell u.a. Drehbuch: Angela Christlieb, Dagmar Gabler, Ziska Riemann, Luci van Org. Regie: Ziska Riemann.
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Völlig überspannt
Mia (Victoria Schulz) ist Poetry-Slammerin und jobbt in einer Bar mit ihrer besten Freundin Lissy (Svenja Jung). Nach erfolgreichem Vorsprechen erhält Mia die Gelegenheit, die Rolle der Kimiko in der gleichnamigen Anime-Serie zu sprechen. Kimiko hat besondere Fähigkeiten: sie kann Strom manipulieren. Mit der Zeit beginnt sich Mia in der Fantasiewelt des Animes immer mehr zu verlieren bis sie sich selbst für Kimiko hält. Als Sidekick hat sich Mia ihren gehbehinderten und menschenscheuen Nachbarn Kristof (Hans-Jochen Wagner) auserkoren…
Ein deutscher Genrefilm mit dem Thema des Verschwimmens von Realität und Fiktion. Das klingt eigentlich nach einem Streifen nach meinem Geschmack. Nachdem ich Electric Girl letztes Jahr schon nicht im Kino sehen konnte hat durch das Ausleihen bei Kino On Demand immerhin das wegen der Corona-Krise geschlossene Central im Bürgerbrau in Würzburg (siehe auch Freddy/Eddy) etwas davon profitiert. Nur konnte der eigenwillige Film von Regisseurin und Comiczeichnerin Ziska Riemann meine Erwartungen nicht erfüllen.
Es kommt selten vor, dass mir eine Figur oder eine Performance auf den Keks geht. Und wenn dann meist nur bei einer für den kompletten Film eher unwichtigen. Bei Electric Girl empfand ich das Spiel von Victoria Schulz (Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern) in der Titelrolle bereits nach einer halben Stunde nervtötend. Die übermäßig betonte und dabei völlige künstliche Sprechweise der Protagonistin wirkte auf mich als hätte man der Darstellerin vergessen mitzuteilen, vom Theater- in den Film-Modus zu wechseln. Natürlich soll durch diese Herangehensweise die Heldin als überdreht und außer Kontrolle geraten dargestellt werden, wie ein Fremdkörper in der eigenen Geschichte. Ob dieser Kniff (und damit das ganze Werk) funktioniert hängt also sehr davon ab, wie gut man als Zuschauer das Auftreten der Hauptfigur aushält oder vielleicht sogar genießen kann. Ich war außerstande, die Heldin Mia zu mögen oder nicht ätzend zu finden.
Natürlich macht es Sinn, dass die ganze Handlung auf die Heldin zugeschnitten ist und es kaum Szenen ohne sie gibt, weswegen die weiteren Charaktere auch eher in den Hintergrund rücken. Nur bleibt Mia eine Fremde. Es wird zwar grob angedeutet, vor was sich die junge Frau da in ihre eigene Comicwelt flüchtet, aber mehr als ein Szenenblock mit der Familie reicht nicht aus, um wirklich Tiefgang zu erzeugen. Doch insgesamt kann man Electric Girl nicht als Reinfall sehen. Regisseurin Ziska Riemann vermeidet es, die „Superhelden-Szenen“ überladen oder übertrieben zu inszenieren, sondern gestaltet diese angenehm bodenständig. Gleichzeitig erhält das Geschehen durch die teils unwirklichen Bilder in Verbindung mit den sehr schönen Animationssequenzen und einem treibenden Elektronik-Score von Ingo Frenzel (Der Medicus) eine hyperrealistische Note, die wiederum zum Thema passt.
Electric Girl ist seit dem 13. Dezember 2019 auf DVD erhältlich sowie bei Kino On Demand und einigen anderen Streaminganbietern verfügbar.
Fazit: Solide und bodenständig inszenierter „Comic-Trip“, bei welchem mir allerdings die Hauptdarstellerin viel zu überspannt agiert. Auch inhaltlich mit Luft nach oben. 5 von 10 Punkten.
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Kimiko, die Anime-Figur
Mia als Kimiko
Kristof und Mia
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Marius Joa, 6. Mai 2020. Bilder: Farbfilm Verleih/Lighthouse Entertainment.
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