Einsame Instagram-Stalkerin schleicht sich in das Leben ihres neuen Opfers, einer hippen Influencerin aus Kalifornien, ein. Doch wie lange hält die „Freundschaft“? Alle Nebenscreens aus, denn hier kommt Ingrid Goes West mit Aubrey Plaza!
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Ingrid Goes West
Drama/Satire USA 2017. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 98 Minuten.
Mit: Aubrey Plaza, Elizabeth Olsen, O’Shea Jackson Jr., Billy Magnussen, Wyatt Russell, Pom Klementieff u.a. Drehbuch: David Branson Smith und Matt Spicer. Regie: Matt Spicer
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Von BFFs, Boho-Chic und Batman
Die psychisch kranke Ingrid Thorburn (Aubrey Plaza) ist eine Social-Media-Stalkerin, die virtuelle Interaktionen für echte Freundschaft hält. Als sie feststellt, dass ihre „Freundin“ Charlotte (Meredith Kathleen Hagner) sie nicht zu deren Hochzeit eingeladen hat, taucht Ingrid auf der Feier auf und attackiert Charlotte mit Pfefferspray. Nach diesem Vorfall verbringt Ingrid einige Zeit in der Psychiatrie. Als sie entlassen wird, muss sich Ingrid um den Nachlass ihrer verstorbenen Mutter, die todkrank war und von ihrer Tochter gepflegt wurde, kümmern. Mit dem Erbe von 60.000 Dollar beschließt Ingrid, in Kalifornien neu anzufangen. In Los Angeles schleicht sie sich allmählich in das Leben der Instagram-Influencerin Taylor Sloane (Elizabeth Olsen) ein. Aber auch ihrem Nachbarn, dem aufstrebenden Drehbuchautoren Dan Pinto (O’Shea Jackson Jr.) kommt Ingrid langsam näher. Doch wie lange hält die „Freundschaft“ zwischen ihr und Taylor?
Seit soziale Netzwerke ein Massenphänomen darstellen, befasst sich auch das Kino mit dieser Thematik. Während David Finchers Oscar-prämiertes Biopic The Social Network die Erfindung von Facebook durch Mark Zuckerburg und andere behandelt, wenden sich andere Produktionen wie Chatroom (2010), Disconnect (2012), Nerve (2016) oder The Circle (2017) den Schattenseiten der „neuen Medien“ zu. Zu diesem Label passt auch Ingrid Goes West, das Langfilm-Regiedebüt von Matt Spicer. Der bisher überwiegend als Regisseur von Kurzfilmen tätige US-Amerikaner nimmt uns mit auf einen Trip durch die sonnige Welt der Instagram-Celebrities und entlarvt dabei gleichermaßen die naive Willigkeit der Fans sowie den hohlen Schein der Social-Media-Stars. Im Zentrum dieser hintergründig-abgründigen Geschichte steht die einsame Stalkerin Ingrid, gespielt von der einmaligen Aubrey Plaza (Journey Of Love, Legion).
Aus meiner Sicht scheint Ingrid Goes West irgendwie falsch promotet. Die auf dem DVD-/BluRay-Cover zitierte Rezension vom Rolling Stone bezeichnet den Film als „eine herrlich rabenschwarze Komödie“. In das gleiche Horn stößt auch der Kurzinhalt („…urkomische schwarze Komödie…“), wobei der deutsche Verleih Universum Film hier einfach den Tenor des amerikanischen Pressetextes übernommen hat. Laut The Wrap sei das Werk „unglaublich lustig“. Natürlich funktioniert er als satirischer Abgesang auf die Social-Media-Welt (wie richtigerweise im Covertext angedeutet), doch halte ich Spicers Film für ein der Thematik völlig angemessenes und eigentlich recht trauriges Drama.
Obwohl die Art und Weise, mit welchen Ingrid ihr Ziel zu erreichen versucht, mehr als fragwürdig erscheint, so fühlt man als Zuschauer mit ihr und hofft, dass ihre Suche nach Gesellschaft Erfolg haben wird. Die junge Frau ist einsam und hat mit ihrer Mutter nicht nur ihre einzige Bezugsperson verloren, sondern diese auch noch vor ihrem Tod gepflegt. Die Freundschaften mit interessanten Personen soll die Leere in Ingrids Leben füllen. Die weitere Vorgeschichte der Protagonistin wird offen gelassen. Ingrids trauriges Schicksal darf als stellvertretend für die zusehende Vereinsamung vieler Menschen in Zeiten sozialer Netzwerke gesehen werden. Man ist über das World Wide Web theoretisch mit der ganzen Welt verbunden, die richtige Nähe zu anderen Menschen geht allerdings abhanden.
Wie bereits angedeutet funktioniert Ingrid Goes West auch als Satire über Social-Media-Stars bzw. im konkreten Fall deren sehr oberflächliches Leben im sonnigen Kalifornien, zwischen inszeniertem Boho-Chic, hippen Parties und Drogenkonsum. Schon allein die Kombination der beiden Genres verleiht dem Werk eine treffende Ambivalenz. Die Titelfigur wird auch zu keiner Zeit als völlig irre abgestempelt oder dämonisiert. Das Ende des Films lässt sich gleichermaßen als positiv und zynisch interpretieren.
Ingrid Goes West lebt zweifelsohne von seiner minimalistisch-intensiven Hauptdarstellerin Aubrey Plaza, die einmal mehr mit ihrer eigenwilligen Mimik und ihren unruhigen Augen beeindruckt. Man kann sich kaum eine andere Schauspielerin vorstellen, die für diesen Part geeigneter gewesen wäre. Dank ihrer entfesselten Performance als dämonische Lenny in der überaus genialen Serie Legion wurde die 34jährige zu meiner aktuellen Lieblingsschauspielerin. Daher finde ich es besonders schade, dass Ingrid Goes West (gleichsam wie der Nunsploitation-Komödie The Little Hours) kein deutscher Kinostart vergönnt war. Aber auch die anderen Akteure überzeugen. Elizabeth Olsen scheint als Taylor eine überzeichnete Version ihrer beiden Schwestern, der Zwillinge Mary-Kate und Ashley Olsen, zu verkörpern. Und O’Shea Jackson Jr., der Sohn des Rappers/Schauspielers Ice Cube, der seinen Vater als jungen Mann in Straight Outta Compton spielte, wurde als Ingrids kiffender Drehbuchautoren-Nachbar Dan, ein glühender Batman-Fan, gegen den Strich besetzt.
Ingrid Goes West feierte seine Premiere auf dem Sundance Film Festival 2017. Regisseur Matt Spicer und Co-Autor David Branson Smith wurden dort für ihr Drehbuch ausgezeichnet. Seit dem 20. April 2018 gibt es den Film auf BluRay und DVD.
Fazit: Ingrid Goes West überzeugt als ausgewogenes Drama über die hohle Instagram-Scheinwelt und eine einsame Stalkerin, die von der erneut sehr starken Aubrey Plaza eindringlich verkörpert wird. 8 von 10 Punkten.
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