Kafka (2024)

Franz Kafka (1883-1924) gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller. Zu seinem 100. Todesjahr 2024 erschien nicht nur Die Herrlichkeit des Lebens, ein Kinofilm über die letzten Monate des Autors, sondern auch eine TV-Biographie als Miniserie von Daniel Kehlmann (Drehbuch) und David Schalko (Co-Autor und Regisseur).   

Kafka
Biographie/Miniserie Deutschland, Österreich 2024. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 6 Folgen. Gesamtlänge: ca. 270 Minuten.
Mit: Joel Basman, David Kross, Nicholas Ofczarek, Marie-Lou Sellem, Maresi Riegner, Tobias Bamborschke, Robert Stadlober, Christian Friedel, Liv Lisa Fries u.v.a. Erzähler: Michael Maertens. Nach den Kafka-Biographien von Reiner Stach. Drehbuch: Daniel Kehlmann und David Schalko. Regie: David Schalko.



Geschichten vom Franz

Franz Kafka starb am 3. Juni 1924 im Alter von nur 40 Jahren und elf Monaten an Kehlkopftuberkulose. Ein Großteil der Werke des Prager Schriftstellers wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. 2024 jährte sich sein Todestag zum hundertsten Mal. Zu diesem Anlass erschienen vor einem Jahr, im März 2024, gleich zwei Produktionen über Kafka: der Kinofilm Die Herrlichkeit des Lebens von Georg Maas und Judith Kaufmann, nach dem Roman von Michael Kumpfmüller über die letzten Monate im Leben des Schriftstellers, und die vorliegende Miniserie, eine Co-Produktion von Superfilm, den ARD-Fernsehanstalten und vom ORF. Die von Autor Daniel Kehlmann (u.a. Die Vermessung der Welt) gemeinsam mit Regisseur David Schalko (Braunschlag) verfassten Drehbücher basieren auf der umfangreichen, dreibändigen Kafka-Biographie von Literaturwissenschaftler Reiner Stach.  

Doch Schalko, Kehlmann und ihr Team liefern hier kein herkömmliches TV-Biopic ab, welche das Leben des Porträtierten chronologisch abarbeitet. Stattdessen funktioniert die deutsch-österreichische Produktion als Anthologie, welche sich in jeder der sechs Episoden einem einzelnen Thema aus Kafkas Leben widmet, dadurch dessen facettenreicher Persönlichkeit und unterschiedliche Einflüsse sehr gerecht wird.

Max und Franz sind beste Freunde

Die erste Folge widmet sich dem wohl wichtigsten Menschen in Kafkas Leben, seinem besten Freund und Schriftsteller-Kollegen Max Brod (David Kross), der Franz immer wieder zum Schreiben ermutigte und ohne dessen posthume Veröffentlichung des Großteils von Kafkas Werken die (deutschsprachige) Literatur um ein Vielfaches armer wäre. Eine zentrale Rolle spielt das als „Prager Kreis“ bekannte Quartett um Brod, Kafka, Felix Weltsch (Robert Stadlober) und Oskar Baum (Tobias Bamborschke).

Folge 3 dreht sich um Kafkas Familie, vor allem das schwierige Verhältnis zu seinem herrischen, polternden Vater Hermann (Nicolas Ofczarek), während sich die vierte Episode („Bureau“ oder „Büro“ betitelt) mit dem Berufsleben des Schriftstellers als Jurist bei der Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt im Königreich Böhmen befasst, wo der ansonsten schüchterne Franz als selbstbewusster und kompetenter Experte in Fragen des Arbeitsschutzes auftrat und sich auch um die im Ersten Weltkrieg schwerverletzten, kriegsversehrten Soldaten kümmerte.

In den weiteren drei Teilen stehen Kafkas Beziehungen zu wichtigen Frauen in seinem Leben im Mittelpunkt: seine Verlobte Felice Bauer (Lia von Blarer), mit welcher er überwiegend über Briefe kommunizierte, Milena Jesenská (Liv Lisa Fries), die manche seiner Werke ins Tschechische übersetzte, und Dora Dymant (Tamara Romera Ginés), die Franz in seinen letzten Lebensmonaten begleitete, siehe auch der bereits erwähnte Kinofilm. Folge 5, in welcher sich Kafka mit Milena trifft und einen Tag verbringt, bildete für mich den Höhepunkt der Miniserie. Kafka erlebt hier quasi seine eigene Version von Before Sunrise (1995). Eine dialogstarke und herrlich pointierte Begegnung zwischen zwei Menschen, bei der eigentlich nicht viel passiert und doch viel über die beiden unterschiedlichen Charaktere erzählt wird.

Die Serie bietet trotz der Themen lastigen und eher akademischen Herangehensweise kein trockenes Doku-Drama, sondern eine aufs Wesentliche konzentrierte, fiktionale Adaption von Leben und Werk des porträtierten Schriftstellers. Vor allem besticht Kafka mit seinen metafiktionalen Elementen. Da werden bekannte Werke mit ihrer unheimlichen (kafkaesken) Atmosphäre wie Das Schloss oder Die Verwandlung visualisiert und gekonnt in die Serienhandlung eingeflochten. Zudem fungiert Michael Maertens (Finsterworld) als Erzähler, auf dessen Kommentierung Figuren in einzelnen Szenen direkt reagieren. Dadurch wird hier bisweilen die vierte Wand durchbrochen.   
         
Schalko und Kehlmann schaffen es nicht nur, Biographie und Bibliographie Kafkas auf erfrischende Art und Weise dramaturgisch aufzubereiten, es gelingt ihnen auch meisterhaft, den Menschen hinter den besonderen Werken hervorzuholen, ohne ihn jedoch zu entzaubern oder bloßzustellen. Seine Ängste, Neurosen, Marotten (z.B. das obsessiv-gründliche Kauen nach der Methode von Horace Fletcher) und Ansichten werden hier fassbar gemacht und sorgen gleichzeitig für Humor. Der absolute Glücksgriff gelang mit der Verpflichtung von Joel Basman (Krieg der Träume, KaDeWe) für die zentrale Titelrolle. Ich kann nur mutmaßen, dass der Schweizer Schauspieler mit seiner Performance bzw. Sprechweise irgendwo zwischen Michael „Bully“ Herbig und Franz Rogowski dem historischen Kafka am nächsten kommt. Und wenn nicht, dann liefert er eine absolut passende Interpretation ab.

Auch das restliche Ensemble kann überzeugen, etwa David Kross (Der Vorleser) als Max Brod, Nicolas Ofczarek (Der Pass) als Übervater Hermann, Maresi Riegner (Schachnovelle) als Ottla Kafka und Liv Lisa Fries (Babylon Berlin) als Milena Jesenská. Außerdem sehen wir in kleineren Rollen und Gastauftritten unter anderem Charly Hübner (Polizeiruf 110) als Verleger Ernst Rowohlt, Lars Eidinger (Babylon Berlin) als Rainer Maria Rilke und Katharina Thalbach (Die Blechtrommel) als Kafkas Berliner Vermieterin. Insgesamt zeigt die Miniserie Kafka auf, dass man Leben und Werk eines Schriftstellers auf ganz andere Weise für das Medium Fernsehen adaptieren kann.     

Alle sechs Folgen von Kafka sind noch bis 11. Mai 2025 kostenlos in der ARD-Mediathek abrufbar. Seit 28. Juni 2024 gibt es die Miniserie auch auf DVD.

Fazit: Im besten Sinne eigenwillige Biographie eines eigenwilligen Schriftstellers, als gekonnte, nuancierte Mischung aus Anthologie und Meta-Werk, mit einem großartigen Joel Basman in der Hauptrolle. 9 von 10 Punkten.


Franz und sein herrischer Vater
Franz beeindruckt mit seiner Expertise
Der Prager Kreis
Milena und Franz



Marius Joa, 22. März 2025. Bilder: Superfilm/ARD/ORF.


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