Recherchiert man nach neueren Filmkanons, so findet sich häufig Sofia Coppolas Lost in Translation in diesen Listen. Sarah Böhlau versucht sich an einer Erklärung.
Lost in Translation
Melodrama, USA 2005
Buch und Regie: Sofia Coppola
Mit: Bill Murray, Scarlett Johannson, Giovanni Ribisi, Anna Faris. 97 Minuten
Verloren in der Übersetzung
Bob (Bill Murray) ist ein alternder Hollywoodschauspieler, der seine Familie daheim in Amerika gelassen hat, um in Tokio einen Werbespot für Whiskey zu drehen. Charlotte (Scarlett Johannson) hat gerade die Uni beendet und begleitet ihren Mann (Giovanni Ribisi), der in Japan einen Auftrag als Fotograf erledigt. Beide steigen im selben Hotel ab, fühlen sich einsam in der Millionenstadt, können nachts nicht schlafen und stellen ihr Leben und ihre Ehe in Frage. Eines Abends treffen sich Bob und Charlotte an der Hotelbar und freunden sich an.
Charlotte (Scarlett Johannson).
Sofia Coppolas machte sich bereits 1999 mit der Literaturverfilmung The Virgin Suicides einen Namen als Regisseurin. Auch mit ihrer zweiten großen Regiearbeit gelang ihr ein großer Wurf.
Viel Handlung braucht es nicht in Lost in Translation. Weil oft die sprachliche oder zwischenmenschliche Basis fehlt, werden große Teile des Films stumm bestritten.
Coppola nimmt sich zunächst viel Zeit, um die Verlorenheit ihrer Figuren zu beschreiben. Bob kämpft mit den Tücken der japanischen Gebräuche und den Kommunikationsschwierigkeiten am Set. Seine Frau schickt ihm Teppichproben mit FedEx und Regalvorschläge per Fax, aber wenn er mit ihr ein ernsthaftes Gespräch über seine Eindrücke führen will, würgt sie ihn ab, weil im Hintergrund das Baby schreit. Charlotte unterdessen steift durch die Stadt, besichtigt japanische Tempel oder Spielhöllen, ohne ein Ziel zu haben oder eine sinnvolle Aufgabe. Oft sitzt sie auf dem Fensterbrett des Hotelzimmers und sieht nach draußen auf den Stadtverkehr. Ihr viel beschäftigter Mann sagt ihr ständig, dass er sie liebt, aber reden kann sie mit ihm auch nicht. Die Freundin daheim am Telefon will nur hören, wie es in Japan ist.
Aus der Situation von Fremdheit in der anderen Kultur und Einsamkeit in der eigenen findet man sich. Eine Beziehung, die unter fast allen anderen Umständen so nie entstanden wäre. So muss die Freundschaft auch mit Bobs Abreise aus Tokio enden – den beiden ist klar, dass sich ihre Beziehung nicht auf ihren amerikanischen Alltag übertragen lässt. Als Basis der Freundschaft muss nicht allein die Einsamkeit herhalten, das wäre zu simpel. Auch gegenseitiges Verständnis für die Lebenskrise des jeweils anderen spielt eine große Rolle. Charlotte hilft Bob, der in der Mid-Life-Crisis steckt, sich wieder jünger und lebendiger zu fühlen, während Bob die frisch verheiratete Charlotte an seiner Lebenserfahrung teilhaben lässt. Obwohl sie sich auch körperlich zueinander hingezogen fühlen, kommt es nie zu mehr als ein paar zaghaften Berührungen. So ist es auch nicht Charlotte, mit der Bob schlussendlich seine festgefahrene Ehe bricht, sondern die Sängerin aus der Hotelbar.
Der Film bietet aus der Perspektive seiner Protagonisten einen Einblick auf die japanische Kultur und macht sich bei dieser Gelegenheit auch über die amerikanische Ignoranz und Arroganz lustig.
Was Lost in Translation besonders macht: Es ist ein Film, dessen Optik vom Grau der Großstadt lebt, der aber trotzdem bildgewaltig ist. Ein Film, in dem wenig gesprochen wird und kaum etwas passiert, der aber trotzdem philosophisch ist und zwei Menschen die Möglichkeit einräumt, ihr Leben umzukrempeln (oder auch nicht, der Film lässt es offen).
Die beiden hervorragenden Schauspieler (Bill Murrays beste Rolle seit Und täglich grüßt das Murmeltier) tun ein Übriges, um das Gesamtbild positiv abzurunden.
Fazit: Von unerreichter Bittersüße. 10 von 10 Punkten.
Bob (Bill Murray).
Verloren in der Fremde.
Sarah Böhlau, 23. April 2007. Bilder: Constantin.
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