Mary Shelley’s Frankenstein

Was für ein Bild hat man vor Augen, wenn man den Namen „Frankenstein“ hört? Die meisten Menschen assoziieren damit ein dummes, grünhäutiges Monster mit einem eiförmigen Kopf, das von einem verrücktem Wissenschaftler und seinem buckligen Gehilfen in einem Laboratorium gezüchtet wurde. Aber dieses Bild basiert weniger auf dem 1818 erschienenen Roman „Frankenstein“ der Engländerin Mary Shelley, sondern eher auf den Filmen, die den Roman seit den 1920er Jahren adaptierten. 1994 brachte Kenneth Branagh eine Verfilmung des Stoffes in die Kinos, die sich wieder stark an dem Roman orientierte. Sarah Böhlau über Mary Shelley’s Frankenstein.

Mary Shelleys Frankenstein.
Horror, GB 1994. Regie: Kenneth Branagh. Drehbuch: Steph Lady, Frank Darabont. Nach dem Roman von Mary Shelley.
Mit: Robert de Niro, Kenneth Branagh, Tom Hulce, Helena Bonham Carter. 123 Minuten.

„There’s something in my soul I do not understand“

Mary Shelley schrieb mit Frankenstein einen der ersten literarisch anerkannten „Gruselromane“ und wird von vielen als Begründerin des Science Fiction-Genres gefeiert. Der Roman gehört zu den bekanntesten Werken de Weltliteratur und verfügt über eine bemerkenswerte Rezeptionsgeschichte. Die starke Veränderung eines Stoffs durch eine Verfilmung ist an sich nicht ungewöhnlich, aber im Fall Frankenstein überlagert die Rezeption die Vorlage in der öffentlichen Wahrnehmung. Wer nun andere Leute mit seiner Allgemeinbildung langweilen will, kann beispielsweise darauf hinweisen, dass Frankenstein original nicht etwa der Name des Monsters, sondern der seines Schöpfers ist.
Diese Entwicklung baut hauptsächlich auf den Frankenstein von James Whale aus dem Jahr 1931 auf. So ist beispielsweise die berühmte Erweckungsszene („It’s alive! It’s alive“), mit der der Frankenstein-Stoff meist in Verbindung gebracht wird, eine Erfindung von Whales Film.

Durch eine immer freiere Umsetzung des Stoffes im Film geriet jedoch der Kernpunkt der Buchvorlage, nämlich Mary Shelleys Auseinandersetzung mit der Wissenschaftsrevolution ihrer Zeit und die Forderung nach Verantwortung des Forschers aus dem Blickfeld. Das Wissenschaftsmotiv als ein wesentliches Element an Frankenstein wurde zwar in den meisten Adaptionen übernommen, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung. Der Stoff wurde häufig stark auf die bloße Gruselgeschichte reduziert, die Figur des „mad scientist“ blieb jedoch in den meisten Adaptionen erhalten. Neue Elemente des Stoffes wurden durch die Adaptionen hinzugefügt, wie beispielsweise die Figur des buckligen Gehilfen Igor. Neuere Adaptionen, wie der kurze Auftritt Frankensteins und seines Monsters in Van Helsing wenden sich der Wissenschaftskritik wieder stärker zu, ohne sich jedoch an die Romanvorlage anzunähern.

Eine der Ausnahmen dieser von sehr viel freier Umsetzung geprägten Rezeptionsgeschichte bildet die Verfilmung des Romans durch den britischen Regisseur und Schauspieler Kenneth Branagh von 1994. Branagh setzte bereits eine Reihe von Shakespeare-Werken mit sich selbst in der Hauptrolle um (Hamlet, Viel Lärm um Nichts) und wendet sich mit Frankenstein einem weiteren zentralen Werk britischer Literaturgeschichte zu. Branagh geht mit der Vorlage und ihrer Autorin sehr respektvoll um. Bereits mit dem Titel Mary Shelley’s Frankenstein unterstreicht er die Nähe zum Roman und hebt sich bewusst von freieren Verfilmungen ab.

Der ambitionierte Forscher Robert Walton (Aidan Quinn) ist 1794 mit einem Schiff in der Arktis unterwegs, um eine Passage zum Nordpol zu finden. Um sein Ziel zu erreichen und im Namen der Wissenschaft unsterblich zu werden, ist er bereit, sein eigenes Leben und das seiner Seeleute zu opfern. Als das Schiff während eines Sturms an einem Eisberg festfriert und die überlebenden Matrosen mit Meuterei drohen, treffen sie mitten in der Eiswüste auf den völlig erschöpften Reisenden Victor Frankenstein (Kenneth Branagh), der ein unheimliche Kreatur jagt. Der Fremde erkennt in Waltons obsessiven Forscherdrang sich selbst wieder und erzählt Walton warnend die Geschichte seines Lebens:
Schon als Kind spürt der Genfer Arztsohn Victor Frankenstein die Liebe zur Wissenschaft und den Wunsch, ihre Grenzen neu zu definieren. Als seine Mutter bei der Geburt seines Bruders stirbt, schwört er sich sogar, ein Mittel zu finden, um den Tod selbst zu besiegen. Jahre später studiert er in Ingolstadt Medizin und wird zum Schüler des brillianten Professors Waldmann (John Cleese). Als Waldmann ermordet wird, verschafft sich Frankenstein Zugang zu dessen verbotenen Experimenten und will diese zu Ende führen. Weder seine Verlobte Elisabeth (Helena Bonham Carter) noch sein bester Freund Henry (Tom Hulce) verstehen, was ihn antreibt und können ihn nicht aufhalten. Aus Leichenteilen schneidert Frankenstein einen Körper, dem er mit Hilfe von Elektrizität Leben einhaucht. Das Experiment glückt, die Kreatur (Robert de Niro) lebt. Aber im Moment seines Erfolges bricht Frankenstein zusammen. Das neugeborene Wesen entkommt nach draußen und sucht nach Gesellschaft und Liebe, wird aber von den Menschen wegen seines abstoßenden Äußeren abgelehnt. Die Verzweiflung des Monsters treibt es schließlich auf die Spur seines Schöpfers, der mittlerweile sein altes Leben im Kreis seine Familie wieder aufgenommen hat.

Branaghs Film übernimmt die Handlungsstruktur des Films einschließlich der Rahmenhandlung in der Arktis und benutzt mehrfach wörtliche Zitate aus der Romanvorlage. Bereits zu Beginn spricht etwa eine weibliche Erzählstimme einige Sätze aus dem Prolog von Mary Shelley, die die Gruselelemente des Romans herausstellen: „I busied myself to think a story […]. One which would speak to the mysterious fears of our nature and awaken thrilling horror – one to make the reader dread to look round, to curdle the blood, and quicken the beatings of the heart.”

Der Film ist stark geprägt von den gotischen und romantischen Elementen des Stoffes. Setting, Musik, Schauspieler und Dialoge – es wirkt deswegen leider alles etwas übertrieben. Trotz der Nähe zur Vorlage bedient sich Branagh stellenweise auch bei der Filmrezeption, so zum beispiel bei Whales Schöpfungsszene.

Der Cast des Films ist mit durchweg bekannten Gesichtern besetzt, so etwa Helena Bonham Carter als Elisabeth, Tom Hulce (Amadeus) Victors Freund Henry, Aidan Quinn als Robert Walton und Ian Holm (Bilbo Beutlin aus Herr der Ringe) als Victors Vater. Frankensteins Monster wird von Robert de Niro überzeugend dargestellt. Regisseur Kenneth Branagh übernimmt erneut selbst die Titelrolle und ist dabei etwas zu offensichtlich bemüht, die homoerotischen Tendenzen seiner Figur aus der Vorlage möglichst stark zu verneinen.

Obwohl sich Branagh eng an die Vorlage hält, setzt er eine wichtige Akzente neu. So zum Beispiel die Motivation Victor Frankensteins. Während der Frankenstein des Romans primär vom Wunsch nach Erfolg und Ruhm angetrieben wird (wörtliche Zitate dieser Textpassage werden im Film von Walton bei der Beschreibung seiner eigenen Motivation verwendet), kommt im Film der Tod des Mutter dazu und das Versprechen, den Tod zu besiegen.Eng verknüpft mit der Verstärkung der Wiederbelebungsmotivation Frankensteins ist auch die Bedeutung von Erinnerungen der Spenderkörper.

Shelley lässt Victor Frankenstein sein Monster aus den Teilen von nicht weiter bedeutsamen Leichen zusammensetzen. Der Film nimmt an dieser Stelle eine bedeutungsvolle Änderung vor: Das „Material“, das Frankenstein verwendet, stammt größtenteils von Personen, die eine bestimmte Bedeutung für ihn haben oder ihm zumindestens bekannt sind. Er verwendet die Leiche von Waldmanns Mörder (auch gespielt von Robert de Niro) als Grundgerüst. Und es ist pikanterweise das Gehirn Waldmanns, mit dem er seine Kreatur ausstattet, „the very finest brain of all“. Und während das Monster bei Mary Shelley einen Lernprozess durchläuft, den es aufgrund seiner schnellen Lernfähigkeit ungewöhnlich schnell absolviert, kann es im Film auf Spuren des Wissens seiner „Spender“ zurückgreifen.

Eine zentrale Stelle des Romans wie des Films ist die Szene zwischen Frankenstein und dem Monster auf dem Mont Blanc. Auch hier wird sich stark am Buch orientiert, trotzdem aber einige wichtige Schwerpunkte anders gesetzt. Wissenschaftskritik nimmt an dieser Stelle des Films eine bedeutende Stellung ein, da es hier das Monster ist, welches Frankenstein die grundlegenden Fragen nach der Motivation seines Handels aufzwingt: „Did you ever consider the consequences of your actions?“

Mary Shelley’s Frankenstein ist sowohl kunstvoll als auch überladen, leichte Unterhaltung und gleichzeitig bedeutungsschwer, modernisiert und trotzdem eine Hommage an Mary Shelley.

Fazit: Nicht das beste Werk von Kenneth Branagh, aber trotzdem sehenswert. 6 von 10 Punkten.


Victor Frankenstein (Kenneth Branagh) muss teuer bezahlen.

Ehrgeizig: Walton (Aidan Quinn).

Victor Frankenstein (Kenneth Branagh).

Zwiespältig: Das Monster (Robert de Niro).
Sarah Böhlau, 31. Juli 2007. Bilder: Sony.

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Sleepy Hollow (9/10)
Van Helsing (5/10)

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Harry Potter und die Kammer des Schreckens (7/10)


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Kommentare

Eine Antwort zu „Mary Shelley’s Frankenstein“

  1. […] Schwerten aller Zeiten) komplettieren das Team. Ihr Widersacher dagegen wirkt wie eine Mischung aus Frankensteins Monster, Batman-Gegner Bane und Ivan Vanko/Whiplash. Trotz der recht offensichtlichen westlichen Vorbilder […]

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