Vor allem in Schweden wird das Mittsommerfest um den 21. Juni (der längste Tag und die kürzeste Nacht) groß gefeiert. Der amerikanische Regisseur Ari Aster hat sich dieses Fest als Thema für seinen zweiten Spielfilm ausgesucht. In Midsommar besuchen vier amerikanische Studenten die Heimat-Gemeinschaft ihres schwedischen Kommilitonen und erleben absonderliche Vorgänge.
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Midsommar
Horror/Mystery-Drama USA, Schweden 2019. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 148 Minuten. Kinostart: 26. September 2019.
Mit: Florence Pugh, Jack Reynor, Vilhelm Blomgren, Wiiliam Jackson Harper, Will Poulter, Ellora Torchia, Archie Madekwe, Gunnel Fred, Isabelle Grill, Hampus Hallberg, Mats Blomgren, Julia Ragnarsson u.v.a. Drehbuch und Regie: Ari Aster.
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The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore
Eigentlich wollte Student Christian (Jack Reynor) schon länger mit seiner Freundin Dani (Florence Pugh) Schluss machen, vor allem weil er mit ihrer emotionalen Art nicht zurechtkommt. Doch als Dani von einer katastrophalen Familientragödie erschüttert wird, versucht Christian für sie dazu sein. Schließlich lädt er sie ein, ihn und seine Freunde Mark (Will Poulter), Josh (William Jackson Harper) und Pelle (Vilhelm Blomgren) auf einen Sommerurlaub in Pelles schwedische Heimat zu begleiten. Dani willigt ein. In Schweden angekommen werden die vier Amerikaner in der Siedlung Hårga von Pelle und den Mitgliedern seiner heidnischen Kommune willkommen geheißen. Pelles Bruder Ingemar (Hampus Hallberg) hat mit dem britischen Pärchen Connie (Ellora Torchia) und Simon (Archie Madekwe) ebenfalls zwei Freunde mitgebracht. Anlässlich der Sommersonnenwende veranstalten die Bewohner Hårgas ein neun Tage langes Fest, welches nur alle 90 Jahre stattfindet. Josh hat die Reise auch deswegen angetreten, weil er seine Doktorarbeit über europäische Mittsommerrituale schreiben will. Doch bereits am ersten Tag des Festes werden die Neuankömmlinge durch die Vorkommnisse der Festivitäten geschockt…
Neben vielen anderen Genres habe ich mich in letzter Zeit auch mit Horror beschäftigt. Aber nicht mit klassischen Streifen aus dieser Richtung, sondern eher ungewöhnlichen Werken wie etwa After Midnight von Jeremy Gardner und Christian Stella oder die Blutsauger-Komödie Therapie für einen Vampir. Den vorliegenden Film im Kino erleben zu dürfen hätte letztes Jahr meinen Horroctober wahrlich veredelt. Doch aufgrund bekannter Probleme als Cineast in der Provinz ohne Führerschein (Film läuft gar nicht, nur zu unmöglichen Zeiten oder nur in Kinos die schlecht/gar nicht mit ÖPNV zu erreichen sind) kam es dazu nicht. Dafür habe ich Midsommar passend zur Jahreszeit auf BluRay nachgeholt.
Ari Aster (geboren 1986) sorgte mit seinem Langfilmdebüt Hereditary – Das Vermächtnis 2018 für Aufsehen. Darin kämpft eine traumatisierte Familie mit den Geistern ihrer Vorfahren. Ein Familiendrama ist auch der Ausgangspunkt in Asters zweiter Regie-Arbeit. Dass die schwer angeschlagene Protagonistin in einer idyllisch wirkenden schwedischen Paganisten-Gemeinde zwar einen völligen Tapetenwechsel aber sicherlich keine entspannende Ablenkung findet dürfte nach gut einer Stunde der 148 Minuten Laufzeit klar sein. Bereits vorher gelingt es Aster eine unheilschwangere Atmosphäre aufzubauen. Ursprünglich hatte Aster lediglich einen in Schweden spielenden Slasher geplant, stellte aber dann die scheiternde Beziehung zwischen Dani und Christian ins Zentrum der Geschichte, wofür eigene Erfahrungen mit einer schwerwiegenden Trennung als Inspiration dienten.
Innerhalb der knapp zweieinhalb Stunden gibt es zwar immer wieder brutale und blutige Szenen, der Film verzichtet aber fast völlig auf gängige Schockeffekte oder Jump Scares. Midsommar glänzt vielmehr mit langen Kameraeinstellungen sowie dem gelegentlich auftretenden “Verschwommenheitseffekt”, welcher gekonnt die teils auf Drogen zurückzuführende Desorientierung der Figuren veranschaulicht. Die Szenerie des idyllischen Dorfes mit seinen bunten Häusern (inklusive bunt bemalter Innenwände) wirkt bisweilen fast surreal. Midsommar dürfte auch einer der wenigen Horrorstreifen sein, welcher sich fast ausschließlich bei Tageslicht abspielt. Denn bekanntlich wird es in manchen nördlichen Regionen während der Sommersonnenwende auch nachts fast gar nicht dunkel. Trotz der fortwährenden Helligkeit bleiben die finsteren Absichten der Dorfbewohner irgendwann nicht mehr im Dunkeln.
Obwohl man einigen der Figuren vielleicht etwas mehr Substanz hätte geben können so erscheint mir Asters zweiter Spielfilm keineswegs zu lang. Vielmehr lebt die ganze Geschichte von ihrer langsamen, unheilvollen und fast hypnotischen Erzählweise, deren gemächliches Tempo das Gesamtbild umso schauriger macht. Hauptdarstellerin Florence Pugh (Lady Macbeth) darf hier als traumatisierte Dani, die immer wieder Phasen heftiger Gefühlsausbrüche erleidet, groß und eindringlich aufspielen. Der britische Elektronikmusiker Bobby Krlic, vor allem bekannt durch seinen Künstlernamen The Haxan Cloak, untermalt die ganze Szenerie überwiegend mit eher dissontanten und flirrenden Streicher-Crescendi sowie düsteren Drones. Mit seiner urtümlichen Kraft hat mich Midsommar teilweise (vor allem aber in einer Szene) an Suspiria (das Remake, nicht das Original) erinnert. Wobei natürlich die Parallelen zu The Wicker Man (1973) von Robin Hardy , den ich zugegebenermaßen nicht gesehen habe, stärker sein dürften.
Midsommar ist seit dem 7. Februar 2020 auf DVD und BluRay erschienen, außerdem in einer limitierten 2-Disc-Edition, die neben diversen Extras wie einem Interview mit dem Regisseur als Booklet auch den Director’s Cut (172 Minuten) enthält.
Fazit: Verstörender Arthouse-Horror über brutale heidnische Rituale sowie das Ende einer Liebesbeziehung mit atmosphärischen Bildern und einer starken Hauptdarstellerin. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 21. Juni 2020. Bilder: Weltkino/Zweitausendeins.
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