Moulin Rouge!

Seit einem Monat läuft Baz Luhrmanns Musiker-Biopic Elvis in den Kinos. Doch widmen wir uns heute dem absoluten Höhepunkt in der Karriere des Australiers, nämlich seinem überwältigenden Filmmusical Moulin Rouge! (2001).

Moulin Rouge!
Musical/Komödie/Drama Australien, USA 2001. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 128 Minuten (BluRay). Kinostart: 18. Oktober 2001.
Mit: Nicole Kidman, Ewan McGregor, John Leguizamo, Jim Broadbent, Richard Roxburgh, Jacek Koman, Caroline O’Connor, Kerry Walker, Matt Whittet, Garry McDonald u.v.a. Drehbuch: Baz Luhrmann und Craig Pearce. Regie: Baz Luhrmann.

Freedom, beauty, truth and love!

Paris, 1899. Der junge Engländer Christian (Ewan McGregor) zieht von London nach Paris, um sich seinen Traum vom Leben als Schriftsteller zu erfüllen. In seinem kleinen Apartment in Montmartre trifft er sobald auf eine Gruppe Bohemians angeführt vom kleinwüchsigen Toulouse-Lautrec (John Leguizamo). Die Künstlertruppe proben gerade ein Stück, welches sie im Moulin Rouge, einem nebenan liegenden Nachtclub vorstellen. Christian springt für eines ihrer Mitglieder, den an Narkolepsie leidenden Argentinier (Jacek Koman), ein und kann die Gruppe von seinen Fähigkeiten als Poet überzeugen. Gemeinsam gelingt es, direkt an Harold Zidler (Jim Broadbent), dem Direktor des Moulin Rouge, vorbei das Gehör von Satine (Nicole Kidman), der berümten Kurtisane, zu finden. Christian begeistert sie mit seiner Poesie. Doch ein anderer Mann sucht ebenfalls die Nähe zu Satine: der Duke (Richard Roxburgh). Der schmierige Adelige will Zidler die finanziellen Mittel, das Moulin Rouge in eine Theater zu verwandeln, geben, verlangt dafür aber eine Gegenleistung, nämlich Satine für sich alleine zu haben. Satine und Christian verlieben sich ineinander doch im Verlauf der Proben für das geplante, in Indien spielende Theaterstück „Spectacular, Spectacular“ schöpft der Duke Verdacht. Außerdem hat eine heimtückische Krankheit von Satine Besitz ergriffen…

Meine Kinobegeisterung als Erwachsener wurde im Dezember 2001 durch die Erstsichtung von Der Herr der Ringe: Die Gefährten, dem ersten Teil der dreiteiligen Verfilmung von J.R.R. Tolkiens Fantasy-Epos durch Peter Jackson, erweckt. Daraus entstand auch meine erste Filmkritik, die Anfang Januar 2002 veröffentlicht wurde, nachzulesen an dieser Stelle. Filmrezension Nummer zwei widmete sich Baz Luhrmann schillerndem Filmmusical Moulin Rouge! (2001), welches ich im Kino leider verpasst hatte und in dessen Genuss ich erst durch die DVD-Veröffentlichung im Frühjahr 2002 kam. Und was für ein Genuss das damals war. In den folgenden Wochen und Monate sichtete sich den Film sicherlich ein Dutzend Mal, einzelne Szenen vermutlich dreißigmal. Leider überlebte die dazugehörige, recht kurze Filmkritik einen der mehreren Umzüge/Redesigns des Vieraugen-Networks oder der erst 2003 ins Leben gerufenen, separaten Vieraugen-Kino-Website, doch konnte ich das Review vom 5. April 2002 in meinem Fundus gesammlter Texte wiederfinden und letztes Jahr für einen Beitrag auf meinem Blog wieder aus der Versenkung holen. Das alles ist nun 20 Jahre her und ein Rewatch von Moulin Rouge!, den ich ehrlich gesagt über 15 Jahre lang nicht gesehen hatte, war äußerst überfällig. Doch wie würde das Filmmusical zwei Jahrzehnte später auf mich wirken?

Moulin Rouge (französisch für „rote Mühle“) ist ein real existierendes Varieté im Pariser Stadtteil Montmartre, welches 1889 (im gleichen Jahr wie der Eiffelturm) eröffnet wurde und bis heute Bestand hat. Auch durch die gemalten Werbeplakate des Künstlers Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901), der etwa die wilden Tänze ins Bild rückte, wurde das Etablissement weltweit bekannt. Diesen illustren Schauplatz suchte sich der australische Filmemacher Baz Luhrmann (geb. 1962) für seine dritte Regie-Arbeit nach dem Tanzfilm Strictly Ballroom (1992) und der modernen Shakespeare-Adaption Romeo + Julia (1996) aus. Gemeinsam mit seinem langjährigen Weggefährten und Freund seit der Schulzeit Craig Pearce (Will [Serie]) schrieb Luhrmann das Drehbuch. Die Dreharbeiten fanden (bis auf wenige Nachdrehs) ausschließlich in den Fox Studius in Sydney statt. Als inhaltliche Inspirationsquellen dienten die griechische Sage von Orpheus und Eurydike, die darauf basierende Operette Orpheus in der Unterwelt (Orphée aus enfers, 1858) mit Musik von Jacques Offenbach, und mit La Bohème (1896) von Giacomo Puccini sowie La Traviata von Giuseppe Verdi (1848) zwei bekannte Opern. Einen bleibenden Eindruck bei Meister Luhrmann hinterließ auch die Kinovorstellung eines dreieinhalbstündigen Bollywood-Films während einer Indienreise.

Was Moulin Rouge unter anderem auszeichnet ist die anachronistisch-eklektische musikalische Untermalung, welche verdeutlichen soll, dass Christian und seine Bohemian-Freunde ihrer Zeit weit voraus sind. Zwar wurde auch ein Satz aus Offenbachs „Orpheus“, nämlich der weltbekannte Cancan, als instrumentale Vorlage genutzt, die mit Lyrics und Gesang ausgestattet wurde (Spectacular, Spectacular!), doch ansonsten bestehen die Gesangseinlagen aus überaus bekannten Rock- und Pop-Klassikern des 20. Jahrhunderts wie Diamonds Are a Girl’s Best Friend (1949; siehe die Interpretation von Marilyn Monroe im Film Blondinen bevorzugt [1953]), Your Song (1970) von Elton John oder The Show Must Go On (1991) von Queen. Beim Elephant Love Medley, einem musikalischen Hin- und Her zwischen Christian und Satine, werden unzählige Songs verarbeitet und referenziert, von All You Need is Love (1967) von den Beatles über I Was Made for Lovin‘ You (1979) von Kiss zu Up Where We Belong (1982) von Joe Cocker und Jennifer Warnes sowie David Bowies Heroes (1977). Die Dialoge spielen immer wieder auf die Lieder an, was allein schon den Grund liefert, sich das vorliegende Kunstwerk in der englischen Originalfassung anzusehen.

Nach meiner persönlichen Meinung werden zwei bekannte Original-Lieder durch ihre „Moulin-Rouge-Version“ sogar noch etwas aufgewertet. Roxanne (1978) von The Police mutiert hier zum feurig-dramatischen Eifersuchtsreigen El Tango de Roxanne (mit Jacek „The Unconscious Argentinean“ Koman und Ewan „Christian“ McGregor als Leadsänger) während Madonnas Like A Virgin (1984) hier als herrlich albern-abgründiges Duett zwischen Jim Broadbent (respektive seinem Gesangsdouble Anthony Weigh) als Zidler und Richard Roxburgh als Duke inklusive einem tanzenden Butler-Chor für Lacher sorgt. Den musikalischen und emotionalen Höhepunkt liefert allerdings die von David Baerwald (ursprünglich für Romeo + Julia) komponierte, intensive Ballade Come What May, die mich im großen Finale vor 20 Jahren mehrmals zu Tränen gerührt hat.

Doch Handlung und die unterschiedlichen musikalischen Adaptionen sind nur ein Teil des Gesamtwerkes, welches Baz Luhrmann mit seiner dritten Arbeit als Regisseur geschaffen hat. Die Inszenierung sucht ihresgleichen. Die Kamera von Donald McAlpine zeigt sich mit plötzlichen Schwenks und rasanten Fahrten immer wieder von der Energie und Spielfreude der Akteure angesteckt. Das opulente Kostüm (von Luhrmansn Gattin Catherine Martin und Angus Strathie)- und Szenenbild (von Martin) kommt durch die BluRay noch etwas besser zur Geltung. Und was Jill Bilcock hierbeim Schnitt veranstaltet hat, schlicht und ergreifend atemberaubend. Die Mixtur aus Studiokulissen, Miniaturen und digitalen Effekten verleiht dem hier gezeigten Paris eine verzauberte und gleichzeitig hyperreale Note. Komik und Tragik gehen hier eine perfekt funktionierende Verbindung ein. In der ersten Hälfte überwiegt der Humor, in der zweiten die dramatischen Wendungen.

Ein glänzendes Händchen bewiesen Luhrmann und Co beim Casting der wichtigsten Rollen. Nicole Kidman als todkranke, von einem besseren Leben träumende Kurtisane Satine und Ewan McGregor als hoffnungslos romantischer Schriftsteller Christian überzeugen nicht nur schauspielerisch, sondern vor allem auch gesanglich. Kidman kann zudem auch in einigen witzigen Szenen glänzen. Jim Broadbent (Oscar als bester Nebendarsteller für Iris [2001]) gibt den scheinbar gutmütigen, aber im Endeffekt doch manipulativ-skrupellosen Impressario Harold Zidler. Richard Roxburgh gelingt als Duke gekonnt der Spagat zwischen Witzfigur und besitzergreifendem Bösewicht. John Leguizamo (der schon bei Romeo + Julia mit dem Regisseur zusammengearbeitet hatte) spielt den schelmischen Künstler Toulouse-Lautrec mit putzigem Sprachfehler. Weil Leguizamo im Gegensatz zu historischen Figur nicht kleinwüchsig ist, musste er sich meistens auf den Knien bewegen. Einen besonderen Narren gefressen hatte ich früher an Jacek Koman als dem unter Narkolepsie leidenden Argentinier, der immer wieder umfällt und einschläft, gefressen. Der polnischstämmige Koman war auch in Baz Luhrmanns folgenden Filmen Australia (2008) und Der Große Gatsby (2013) zu sehen.

Moulin Rouge! eröffnete im Mai 2001 die Filmfestspiele in Cannes und erhielt in der Folge gute Kritiken sowie einige Filmpreise (u.a. Oscars für Ausstattung und Kostüme sowie drei Golden Globes). Eine erste Bühnenshow tourte unter dem Titel La Bella Bizarre du Moulin Rouge 2008 durch Deutschland bevor die offizielle Bühnenmusical-Adaption von John Logan ihre Premiere 2018 feierte und im Oktober 2022 auch in einer deutschsprachigen Version in Köln starten soll. Für mich funktioniert dieses besondere Werk nichtsdestotrotz nur als Film. Die Wiederholungssichtung nach langer Zeit war zwar nicht so tränenreich wie vermutet, aber Moulin Rouge vermochte mich wieder in seinen Bann zu ziehen und einige Ohrwürmer aus ihrem Schlummer zu erwecken.

Moulin Rouge von Baz Luhrmann ist auf DVD und BluRay erhältlich sowie als Stream bei diversen Anbietern abrufbar.

Fazit: Kinomagier Baz Luhrmann gelang mit Moulin Rouge ein intensive, mitreißend-geniale Musical-Phantasie über eine tragische Liebe im bekanntesten Nachtclub von Paris während der Jahrhundertwende, mit gekonnt anachronistischer Songauswahl und einem durchgehend starken, von Nicole Kidman und Ewan McGregor angeführten Ensemble. 10 von 10 funkelnden Diamanten!

 

Satine, Christian und die Bohemian-Truppe
 

Harold Zidler und die Tänzerinnen des Moulin Rouge
 

Der Duke will Satine für sich
 

Farbenfrohes Spektakel

 

Marius Joa, 24. Juli 2022. Bilder: Fox.

 


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