Mit seiner Version von Nightmare Alley drehte Oscar-Gewinner Guillermo del Toro bereits die zweite Adaption des gleichnamigen Romans. Darin steigt Bradley Cooper vom einfachen Zirkushelfer zum gefragten Mentalisten auf.
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Nightmare Alley
Psychodrama USA 2021. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 150 Minuten. Kinostart: 20. Januar 2022.
Mit: Bradley Cooper, Cate Blanchett, Toni Collette, Willem Dafoe, Richard Jenkins, Rooney Mara, Ron Perlman, Mark Povinelli, David Strathairn u.v.a. Nach dem Roman von William Lindsay Gresham. Drehbuch: Guillermo del Toro und Kim Morgan. Regie: Guillermo del Toro.
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The Psychic, the Shrink and the Geek
1939. Nach dem Tod seines Vater schließt sich Stanton “Stan” Carlisle (Bradley Cooper) dem Jahrmarkt von Clem (Willem Dafoe) an. Anfangs noch als Helfer beim Auf- und Abbau tätig beginnt Stan sobald der Hellseherin Zeena (Toni Collette) zu assistieren, die früher mit ihrem mittlerweile dem Alkohol zugeneigten Ehemann Pete (David Strathairn) ein berühmtes Mentalistenpaar bildete. Nachdem Stan bei Zeena und Pete in die Lehre gegangen ist verlässt er gemeinsam mit “electric girl” Molly (Rooney Mara) den Jahrmarkt und startet selbst eine erfolgreiche Karriere als Mentalist in der High Society von Buffalo, im Staat New York. Auf einer der Veranstaltungen wird Stan beinahe von der geheimnisvollen Psychiaterin Dr. Lilith Ritter (Cate Blanchett) entlarvt. Die beiden tun sich zusammen und Lilith gewährt Stan Einblick in ihre Patienteninformationen, welche ihm dabei helfen, die betreffenden Personen mit seiner Performance einzuwickeln. Durch den fortschreitenden Erfolg hat Stan sehr zum Missfallen seiner Partnerin Molly irgendwann überhaupt keine Skrupel mehr, die gutgläubigen und wohlhabenden Leute übers Ohr zu hauen. Doch sein kometenhafter Aufstieg findet bald ein jähes Ende…
Bei einem ihrer Gespräche über den Zustand des Kinos kamen US-Schauspieler Ron Perlman (Die Schöne und das Biest [Serie, 1987-1990], Hand of God [Serie]) und der mexikanische Filmemacher Guillermo del Torro (Pans Labyrinth, Crimson Peak, The Shape of Water) die sich beide unter anderem von der gemeinsamen Arbeit an Hellboy (2004) und dessen Fortsetzung kennen, darauf, dass die Häufigkeit von Remakes ein möglicher Grund für den Niedergang von Film als Kunstform sei. Lediglich eine Ausnahme fiel Perlman ein, bei welcher ein Remake Sinn machen würde, nämlich Nightmare Alley (1947), die Verfilmung des gleichnamigen Romans von William Lindsay Gresham von 1946 durch Edmund Goulding, mit dem zuvor als Frauenschwarm und strahlenden Helden bekannten Schauspieler Tyrone Power in der düsteren Hauptrolle. Del Toro kannte den betreffenden Film bisher nicht und sah ihn sich gemeinsam mit Perlman an. Einige Jahre später machte sich der Mexikaner an die Neu-Adaption des Buches über einen Scharlatan (unter diesem Titel kam die erste Verfilmung übrigens 1954 in die deutschen Kinos), der vorgibt, übersinnliche Kräfte zu haben.
Die Dreharbeiten begannen im Januar 2020, mussten aber im März wegen der Covid19-Pandemie unterbrochen werden und konnten erst von September bis Dezember des gleichen Jahres vollendet werden. Den zentralen Part des Stanton Carlisle übernahm Bradley Cooper (Silver Linings, A Star is Born [2018]). An seiner Seite gaben sich eine ganze Reihe hochkarätiger Akteure die Klinke in die Hand: Cate Blanchett (Elizabeth [1998], Der Herr der Ringe) als zwielichtige Therapeutin Lilith Ritter, Toni Collette (Knives Out, I’m Thinking of Ending Things) als Hellseherin Zeena, Willem Dafoe (Spider-Man [2002], The Northman) als Jahrmarkt-Vorsteher Clem, Richard Jenkins (The Shape of Water) als reicher Industrieller Ezra Grindle, Rooney Mara (Verblendung [2011], Carol) als herzensgute Molly, der bereits erwähnte Perlman als Muskelmann Bruno und David Strathairn (Good Night And Good Luck, Nomadland) als vom Alkohol gezeichneter Ex-Mentalist Pete. Mit Ausnahme von Blanchetts Lilith und Maras Molly (der vermutlich einzig wirklich guten Seele im Film) haben die weiteren Figuren eher wenig Screentime, bilden aber unverzichtbare Stationen in der Entwicklung des Protagonisten.
Del Toros letzte Regie-Arbeit fürs Kino, das liebenswerte, für Toleranz werbende, aber auch recht plakative Märchen The Shape of Water (2017) gewann im März 2018 vier Oscars, darunter als bester Film und für die beste Regie. Aus meiner Sicht zwar ein durchaus gelungenes Werk, aber auch hemmungslos überhypt. Viel erwachsener und stimmiger umgesetzt erscheint mir dagegen die Neuverfilmung von Nightmare Alley, welche trotz großer Starpower, guter Kritiken sowie einiger Filmpreis-Nominierungen (etwa für vier Oscars) ähnlich wie der frühere Version an der Kinokasse floppte (nur knapp 40 Millionen Dollar Einspielergebnis bei einem Budget von 60 Millionen Dollar) und daher auch hierzulande nur zwei Monate nach Kinostart im Heimkino landete.
Die Handlung spielt sich in zwei Welten ab. Dem heruntergekommenen und doch irgendwie noch geheimnisvollen Wanderzirkus-/Jahrmarkt-/Schausteller-Millieu (ein kleinwüchsiger Mann und ein Kontortionist dürfen nicht fehlen) steht die stylishe, aber irgendwie auch kalte Welt der High Society New Yorks entgegegen. Der Regisseur, welcher Greshams Roman gemeinsam mit der Filmhistorikerin Kim Morgan adaptierte, verzichtet hier zum ersten Mal bei einem seiner Filme völlig auf übersinnliche Elemente. Somit ist relativ früh klar, dass Protagonist Stan weder das zweite Gesicht noch die Fähigkeit besitzt, mit Toten zu kommunizieren, auch wenn er dies seinem Publikum erfolgreich verkauft. Seine mit der Zeit fast perfektionierten Skills sind Beobachtung und Menschenkenntnis (ähnlich wie bei den bekannten Meisterdetektiven Sherlock Holmes und Hercule Poirot). Er manipuliert seine “Kunden”, sagt ihnen genau das, was sie sich insgeheim erhoffen. Sein Ehrgeiz und seine Gier treiben ihn zu immer gefährlicheren Tricks an. Ein Ritt auf der Rasierklinge, der auf Dauer nicht gutgehen kann und es natürlich auch nicht tut.
Die bittere Konsequenz, mit welcher der Abstieg des Antihelden in die titelgebende “Albtraumgasse” umgesetzt wurde, erweist sich allerdings nicht als alleiniger Pluspunkt. Passend zum zwar immer düsteren, aber gleichzeitig auch geerdeten Tonfall bleibt die Inszenierung fast durchgehend unaufgeregt. Del Toro und sein Team liefern hier einen subtilen Neo-Noir-Beitrag ab, der mit zweieinhalb Stunden viel Sitzfleisch einfordert und es dem Publikum nicht einfach macht, womit die zwei Hauptgründe für den Misserfolg genannt wären. Bradley Cooper gibt hier eine starke Performance ab, in einer sehr nuanciert ausgearbeiteten Rolle, die lange ohne eigenen Text auskommt. Als ebenbürtiges Gegenüber sehen wir Cate Blanchett als “frozen-faced” Femme Fatale mit herrlich-rauchiger Stimme, hart an der Grenze zur Überzeichnung. Lange ärgern über den ausgebliebenen Erfolg des vorliegenden Films dürfte sich Guillermo del Toro nicht. Am 25. Oktober 2022 startet die von ihm geschaffene Horror-Anthologie-Miniserie Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities bei Netflix. Und auch del Toros mit Mark Gustafson gedrehte Stop-Motion-Adaption von Pinocchio soll noch in diesem Jahr beim gleichen Streaminganbieter landen.
Nightmare Alley ist seit dem 31. März 2022 auf DVD und BluRay erhältlich sowie als Stream bei diversen Anbietern abrufbar.
Fazit: Subtiles, wirkungsvoll inszeniertes Neo-Noir-Psychodrama über einen Scharlatan auf dem Weg in den Abgrund, mit illustrer Besetzung, die vom starken Bradley Cooper angeführt wird. 8 von 10 Punkten.
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Molly, das “electric girl”
Major Mosquito und Muskelmann Bruno
Großer Auftritt
Dr. Ritter interessiert sich für Stan
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Marius Joa, 27. August 2022. Bilder: Fox Searchlight.
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