Am 4. März 1922 feierte Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens seine Uraufführung. Zum Anlass des 100. Geburtstag des bahnbrechenden Filmklassikers von Friedrich Wilhelm Murnau wurde der Film im Rahmen einer Stummfilmmatinee auf dem 48. Internationalen Filmwochenende in Würzburg gezeigt, mit Live-Musik von Küspert & Kollegen.
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Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens
Horror/Stummfilm Deutschland 1922. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 95 Minuten.
Mit: Gustav von Wangenheim, Max Schreck, Greta Schröder, Alexander Granach, John Gottowt, Gustav Botz u.v.a. Nach Motiven des Romans Dracula von Bram Stoker. Drehbuch: Henrik Galeen. Regie: Friedrich Wilhelm Murnau.
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Die Geburt des Vampirs auf der Leinwand
In der norddeutschen Stadt Wisborg, im Jahre 1838. Thomas Hutter (Gustav von Wangenheim) wird von seinem Chef, dem Häusermakler Knock (Alexander Granach), beauftragt den Verkauf eines halbverfallenen Hauses in der Stadt an den geheimnisvollen Grafen Orlok abzuschließen. Trotz der düsteren Vorahnungen seiner Ehefrau Ellen (Greta Schröder) reist Hutter nach Transsylvanien, wo die Erwähnung des Namens Orlok für Angst und Schrecken unter den Einheimischen sorgt. Schließlich trifft er den unheimlichen Grafen in dessen Schloss zu später Stunde. Nach einer merkwürdigen Nacht findet Hutter Bissspuren an seinem Hals, tut diese aber als Mückenstiche ab. Graf Orlok unterzeichnet den Kaufvertrag. Eines Tages findet Hutter Orlok schlafend in einem Sarg vor. In Sorge um ihren Mann verfällt Ellen unterdessen in einen tranceähnlichen Zustand. Hutter erkennt bald, dass er im Schloss gefangen ist. Nachdem Orlok seine Reise angetreten hat gelingt Hutter die Flucht. Im Fieberwahn wird er von Einheimischen aufgegriffen…
Knock beauftragt Hutter
Im vergangenen Horroctober sichtete ich erstmals Dracula (1931) von Tod Browning, mit dem ikonischen Bela Lugosi in der Rolle des Vampirfürsten. Doch fast ein Jahrzehnt vor dem ersten Vampir-Tonfilm gab es den ersten Stummfilm mit dem bekannten Blutsauger, wenngleich unter anderem Namen. Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) von Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau gilt neben Das Kabinett des Dr. Caligari von Robert Wiene und Der Golem, wie er in die Welt kam von Paul Wegener (beide aus dem Jahre 1920) als prägender Beitrag des Horrorfilms und des Kinos generell. Autor Henrik Galeen, der zuvor auch das Skript für den „Golem“ geschrieben hatte, ließ sich für die Geschichte von Bram Stokers Vampirroman Dracula (1897) inspirieren. Da der Film von den Produzenten Enrico Dieckmann und Albin Grau (letzterer auch verantwortlich für Bauten, Kostüme und Masken) ohnehin nur für den deutschsprachigen Markt gedacht war ändert man lediglich die Namen ab und dichtete die Ratten- und Pestplage, die der Vampir mit sich bringt, hinzu. Die Dreharbeiten fanden von Juli bis Dezember 1921 in Wismar, Lübeck, Lauenburg, Rostock, auf Sylt und an diversen Schauplätzen in den Karpaten statt. Die Innenaufnahmen entstanden im JOFA-Studio in Berlin. Für damalige Produktionen gab es ungewöhnlich viele Außendrehorte. Aus Kostengründen hatte Kameramann Fritz Arno Wagner nur eine Kamera zur Verfügung.
Die Premiere des fertigen Films fand am 4. März 1922 im Marmorsaal des Zoologischen Gartens Berlins statt. Im Vorfeld wurde die Produktion aufwändig beworben. Trotz guter Kritiken war Nosferatu nach Veröffentlichung kein großer Erfolg, weil das Werk von der größten Kinokette UFA kaum gezeigt wurde. Der Misserfolg und die anschließenden Urheberrechtsstreitigkeiten brachten der eigens gegründeten Produktionsfirma Prana Film den Bankrott. Florence Stoker, die Witwe des Dracula-Autors, erwirkte vor Gericht, dass wegen Verletzung geistigen Eigentums alle Kopien zerstört werden. Glücklicherweise überlebten ein paar Exemplare, die sich im Ausland befanden. 60 Jahre später wurde der Film erstmals restauriert. Die aktuell digital remasterte Version stammt von 2005/06. Am 30. Januar 2022 wurde Nosferatu auf dem 48. Internationalen Filmwochenende im Central am Bürgerbräu als Stummfilmmatinee gezeigt. Das Quartett von Küspert & Kollegen – Bastian Jütte (Schlagzeug), Till Martin (Klarinette, Saxophon), Dietmar Fuhr (Kontrabass) und Werner Küspert (Komposition, Gitarre) – spielte dazu eigens komponierte Musik live im Kinosaal. Zwar erschien mir die Performance etwas jazziger als ich es mir für einen Stummfilm vorgestellt hatte, doch erwiesen sich vor allem Klarinette und Kontrabass als genau die richtigen Instrumente für die unheimliche Stimmung innerhalb der Handlung.
Ich habe bisher ehrlich gesagt noch nicht viele Stummfilme gesehen. Am ehesten blieb mir Call of Cthulhu, einer 2005 veröffentlichten, aber im Stile der 1920er gedrehten Featurette, welche die gleichnamige Story von H.P. Lovecraft virtuos adaptiert, in Erinnerung. Im Vergleich zur heutigen Kinoatmosphäre bietet Nosferatu ein gänzlich anderes Filmerlebnis. Die Bewegungen der Figuren konnten vor 100 Jahren noch nicht so flüssig wie heute auf Film gebannt werden. In Anlehnung an das Theater setzte man auf lange Takes und große Gesten, letztere vor allem um dem Zuschauer ohne Ton die Gefühle und Stimmungen der handelnden Personan besser vermitteln zu können. Aus heutiger Sicht eher plump und unfreiwillig komisch erscheint das Maskenbild. So wurde der damals 31jährige Alexander Granach den viel älteren Häusermakler Knock mit fast lächerlich aussehendem Bart und Augenbrauen. Das Erscheinungsbild des Grafen Orloks, dessen Herkunft und die mit ihm kommende Pest bzw. Rattenplage lassen sich als rassistisch-antisemtische Stereotype interpretieren. Da Regisseur Murnau sich aber nach einigen Quellen jüdischen Künstlern (wie dem bereits erwähnten Granach) gegenüber sehr wohlwollend verhielt, muss man nicht davon ausgehen, dass diese Darstellung absichtlich geschah.
Seinen Kultstatus erwarb sich Murnaus Gruselklassiker vor allem durch die hinsichtlich dem Spiel mit Licht und Schatten geniale Inszenierung. Das unbekannte Grauen, welches sich in die alltägliche Welt des Deutschland im 19. Jahrhundert einschleicht und dem düstere Vorahnungen sowie Geisteskrankheit vorauseilen, ließe sich kaum besser darstellen. Selbst vielen Filmfans, die Nosferatu von 1922 noch nie gesehen hatten, wird das ikonische Bild vom Schatten Orloks, welcher die Treppe hinaufschleicht, bekannt sein. Die Nachwirkung des Werkes kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ohne Nosferatu gäbe es sicherlich die ebenfalls zu Klassikern avancierten US-Horrorfilme der 1930er und 1940 (wie Dracula oder den ebenfalls 1931 veröffentlichte Frankenstein) sowie auch spätere Adaptionen von Stokers Roman, etwa jene mit Christopher Lee, nicht. Der deutsche Autorenfilmer Werner Herzog drehte mit Nosferatu – Phantom der Nacht (1979) eine Hommage von Murnaus Film, mit dem umstrittenen Akteur Klaus Kinski in der Rolle des Blutsaugers. Francis Ford Coppola meisterhafter Dracula von 1992 darf aufgrund der überaus stimmungsvollen Überblendungseffekte und Schattenspiele ebenfalls als Verbeugung vor Murnaus Leistung verstanden werden. Seit ein paar Jahren sind zwei Neuverfilmungen im Gespräch: von Regisseur David Lee Fisher, mit Kontortionist und Darsteller Doug Jones als Orlok sowie von Robert Eggers, der 2015 mit seinem Folkhorror-Beitrag The Witch für Aufsehen sorgte. Das Original dürfte in seiner eigenwilligen Stimmung aber unerreichbar bleiben.
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens ist in mehreren Versionen auf DVD und BluRay erhältlich sowie bei den Streaminganbietern Pluto TV, Con TV, Classix und Plex abrufbar.
Fazit: Auch 100 Jahre nach der Uraufführung noch ein einmaliger, stilistisch hochwertiger Stummfilm, der Maßstäbe setzte und am Anfang eines Schwarms von Vampir-Filmen steht. 9 von 10 Punkten.
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Nosferatu auf dem Schiff
Geniales Spiel von Licht und Schatten
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Marius Joa, 6. Februar 2022. Bilder: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung.
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