Nosferatu: Phantom der Nacht

Mit Nosferatu: Eine Symphonie des Grauens hatte F.W. Murnau 1922 einen Meilenstein des Stummfilms und Horrorkinos geschaffen. Werner Herzog drehte Ende der 1970er eine Mischung aus Remake und Hommage, mit seinem Lieblingsschauspieler Klaus Kinski in der Rolle des Vampirs.

Nosferatu: Phantom der Nacht
Horrorfilm Deutschland, Frankreich 1979. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 107 Minuten. Kinostart: 12. April 1979.
Mit: Klaus Kinski, Isabelle Adjani, Bruno Ganz, Roland Topor, Walter Ladengast u.v.a. Nach Motiven des Romans Dracula von Bram Stoker. Drehbuch und Regie: Werner Herzog.



Naturalistischer Albtraum

Wismar, im 19. Jahrhundert. Jonathan Harker (Bruno Ganz) wird von seinem Vorgesetzen Renfield (Roland Topor) beauftragt, nach Transsylvanien zu reisen und dort mit einem gewissen Graf Dracula den Kauf eines leerstehenden Hauses in der Stadt zu finalisieren. Doch Jonathans Gattin Lucy (Isabelle Adjani) hat dunkle Vorahnungen und will ihren Ehemann von der Reise abhalten. Gegen ihren Widerstand reist Harker nach Transsylvanien. Dort wiederum raten ihm die Einheimischen dringend davon ab, das Schloss des Grafen zu betreten. Dracula (Klaus Kinski) empfängt Harker zu nächtlicher Stunde. Als der junge Anwalt allmählich bemerkt, was der geheimnisvolle Graf im Schilde führt, ist es schon fast zu spät…

Werner Herzog (geboren 1942) avancierte ab den 1970er Jahren zu einem der prägenden Vertreter des Neuen Deutschen Films und des Autorenkinos. Allein fünf Filme drehte Herzog mit dem wegen seines Temperaments umstrittenen Schauspieler Klaus Kinski (1926-1991). Kennengelernt hatten sich die beiden als Herzog ein Teenager war und Kinski eine Zeitlang im gleichen Haus in München lebte. Zum zweiten Mal arbeitete das Duo bei Nosferatu: Phantom der Nacht zusammen. Herzog entschloss sich, den Stummfilmklassiker von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahre 1922 neu aufzulegen. Murnau und sein Team hatten damals ohne Autorisierung von Bram Stokers Familie den Roman Dracula mit geänderten Namen adaptiert und einen frühen Meilenstein des Horrorkinos geschaffen. Allerdings klagte Stokers Witwe erfolgreich und der Film musste vernichtet werden, wobei ein paar Kopien glücklicherweise überlebten.

Harker auf dem Weg

Für seine Version des Stoffes wählte Werner Herzog einen Mittelweg zwischen Remake und Hommage. Da das Copyright zu Stokers Roman mittlerweile abgelaufen war, konnten die ursprünglichen Namen der Charaktere des Buches übernommen werden. Beibehalten wurde wie bei Murnau der Hauptschauplatz Wismar. Herzog wollte allerdings nicht in der damals noch existierenden Deutschen Demokratischen Republik drehen. Stattdessen fanden die Dreharbeiten der Co-Produktion von Herzogs eigener Firma, dem französischen Studio Gaumont und dem ZDF in den niederländischen Städten Delft und Schiedam, an mehreren Schauplätzen in der damaligen Tschechoslowakei, in der Partnachklamm bei Garmisch-Partenkirchen und in den Salzspeichern von Lübeck statt, die auch schon bei Murnau die Kulissen für das neue Zuhause des Vampirs bilden. Übernommen wurde auch das Aussehen des Grafen sowie einige ikonische Bildeinstellungen.

Nosferatu: Eine Symphonie des Grauens
gilt als wichtiger Vertreter des expressionistischen Kinos, Phantom der Nacht hingegen wirkt sehr naturalistisch, wohl auch aufgrund des nicht zu großen Budgets von 2,5 Millionen D-Mark. Trotz der bodenständigen Machart kann Phantom der Nacht als albtraumhafter Horrorstreifen überzeugen. Dabei konnte sich der Regisseur auch auf sein starkes Hauptdarsteller*innen-Trio Klaus Kinski als Dracula, Isabelle Adjani als Lucy und Bruno Ganz als Jonathan Harker verlassen. Entgegen seinem schwierigen Charakter ließ Kinski die täglich vier Stunden Arbeit der japanischen Maskenbildnerin Reiko Kruk problemlos über sich ergehen. Noch drastischer als im Original gestaltet sich die Situation mit den Ratten, die als „Mitbringsel“ Draculas Wismar allmählich übernehmen und in eine Geisterstadt verwandeln. Dazu kamen ca. 11.000 dieser Tiere zum Einsatz.

Herzog, der auch das Drehbuch schrieb, veränderte die Geschichte in teils entscheidender Hinsicht. So ist Dracula hier seiner unsterblichen Exsitenz überdrüssig. Die aktive Rolle in der zweiten Hälfte des Films übernimmt Lucy, welche im Gegensatz zu Dr. Van Helsing früh die Ursachen für das neuerliche Unheil in der Stadt erkannt hat und als Einzige etwas dagegen zu tun bereit scheint. Doch nicht einmal sie kann verhindern, dass der Vampirismus am Ende weiterlebt. Besonders gelungen empfand ich die musikalische Untermalung, vor allem das Stück Brüder des Schattens, Söhne des Lichts der Krautrockformation Popol Vuh.       

Nosferatu: Phantom der Nacht ist auf DVD und BluRay erhältlich sowie als kostenpflichtiger Stream bei zahlreichen Anbietern.

Fazit: Bodenständig inszenierte, gekonnt albtraumhafte Neuauflage des frühen Horrorklassikers. 8 von 10 Punkten.



Dracula empfängt Harker
Lucy ahnt Schreckliches
Ratten breiten sich aus



Marius Joa, 27. Oktober 2024. Bilder: Arthaus/Studiocanal.        


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