Neben der Ilias gehört die Odyssee, die beide dem antiken Dichter Homer zugeschrieben werden, zu den frühesten literarischen Werken der Geschichte. Besonders gerne wird der Stoff des listigen Helden Odysseus auch für filmische Adaptionen verwendet. Der Kultursender Arte hat seine eigene Version in Form einer Serie produziert. Marius Joa erneuert seine Rezensionsreihe zu klassischen Sagen.
Odysseus
Historienserie Frankreich/Italien/Portugal 2013. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 12 Folgen. Gesamtlänge: ca. 520 Minuten. TV-Erstausstrahlung: 13. Juni 2013.
Mit: Caterina Murino, Niels Schneider, Alessio Boni, Joseph Malerba, Carlo Brandt, Karina Testa, Bruno Todeschini, Vittoria Scognamiglio, Agustin Legrand, Frédéric Quiring u.v.a. Regie: Stéphane Giusti. Idee: Frédéric Azemar.
Macht. Intrigen. Mord. Unsinn.
Vor zwanzig Jahren zog Odysseus (Alessio Boni). König der Insel Ithaka, in den Krieg gegen Troja, um Helena (Julie Gayet), die geraubte Ehefrau des spartanischen Königs Menelaos (Victor Gonçalves), zurück zu holen. Zehn Jahre sind vergangen seit Troja gefallen ist, doch noch immer ist Odysseus nicht zurückgekehrt. Während ihn viele für tot halten, glaubt Odysseus’ Ehefrau Penelope (Caterina Murino) noch an die Rückkehr ihres geliebten Gatten, den sie zwanzig Jahre nicht gesehen hat. Ihr Sohn Telemachos (Niels Schneider) kennt seinen Vater nicht, leidet aber ebenfalls unter dessen Abwesenheit. Denn seit einiger Zeit wird der königliche Palast von Ithaka von aufdringlichen Freiern belagert. Während der besonnene Leokritos (Bruno Todeschini) nur die Königswürde übernehmen will, um das Volk von Ithaka aus den dunklen Zeiten zu führen, sind andere der Bewerber um Penelopes Hand weniger freundlich gesonnen, vor allem der ungestüme und unverschämte Antinoos (Agustin Legrand) beschmutzt immer wieder die Ehre der Königsfamilie, sehr zum Ärger von Penelope, Telemachos und Odysseus’ altem Vater Laertes (Carlo Brandt).
Um die Lage endgültig zu klären, fordert Telemachos Leokritos zum Zweikampf auf, doch der schickt seinen Liebhaber und Bodyguard Liodes (Ugo Venel) vor. Als hätte Telemachos noch nicht genug am Hals, so verliebt er sich auch noch in Clea (Karina Testa), eine gerade aus Sparta eingetroffene Sklavin und Tochter der Palastdienerin Eurynome (Vittoria Scognamiglio), einer ehemaligen trojanischen Prinzessin. Während Mentor (Joseph Malerba), Odysseus’ alter Freund, den jungen Königssohn das Kämpfen lehrt, macht Seher und Heiler Thyoskos (Frédéric Quiring) am Strand eine überraschende Entdeckung…
Bereits vor knapp zehn Jahren hatte Drehbuchautor Frédéric Azemar (Un Village Français) die Idee zu einer TV-Adaption des antiken Heldenepos Die Odyssee über die Heimkehr des listigen Helden Odysseus. Bis zur Produktion der geplanten Serie sollte es allerdings noch etwas dauern. Von Januar bis Juni 2012 fanden schließlich die Dreharbeiten des Zwölfteilers in der Nähe der portugiesischen Hauptstadt Lissabon statt. Regie bei allen Folgen führte Stéphane Giusti, Schöpfer und Autor der französischen Polizeiserie Les Bleus.
Die Marschroute der Serie wird dem Zuschauer schnell klar. Odysseus versteht sich als Historienserie, verzichtet daher auf das Auftreten der antiken Götter und andere übersinnlicher Elemente. Auch die ganzen Irrfahrten des Titelhelden bekommt man nicht zu sehen, sie werden lediglich hier und da erwähnt. Die Handlung der zwölf Folgen spielt ausschließlich auf der Insel Ithaka. Im Zentrum stehen freilich die Vorgänge im Königspalast, wo sich die Lage aufgrund der Anwesenheit der lästigen Freier verschärft hat. Königin Penelope steht unter besonderem Druck, denn einige verlangen von ihr Odysseus’ Tod zu akzeptieren und sich zum Wohle des Not leidenden Volkes einen neuen Gatten und König zu suchen. Als sich die Situation mit den Freiern erneut zuspitzt und Telemachos sich beweisen muss, kehrt Odysseus überraschend zurück.
Ohne jedoch den genauen Handlungsverlauf hier zu verraten, so viel sei gesagt: nach sechs Folgen ist das Problem mit den Freiern aus der Welt geschafft. Bis dahin ist Odysseus eine ordentliche, wenn auch nicht überragende Serie, die im Rahmen ihres entmythologisierten Settings gute und interessante Ansätze bei der Fortführung der Handlung zeigt. So manches wirkt zwar aufgesetzt und überdramatisiert, aber insgesamt wirkt das Szenario bis dahin recht schlüssig. Eigentlich hätte nach sechs Folgen Schluss sein können und wohl auch müssen. Denn nach einem ordentlichen Start verliert sich Odysseus vor allem in den letzten paar Folgen immer wieder in unsinnigen oder beliebigen Wendungen, die in ihrer Häufung auch redundant wirken. Da werden Nebenfiguren eingeführt, die bevor sie eine entscheidende Rolle spielen können, abgemurkst werden. Natürlich ist es äußerst plausibel, dass Heimkehrer Odysseus von zwanzig Jahren Krieg und Irrfahrten dermaßen traumatisiert ist, dass er überall potenzielle Verräter sieht. Nur treiben es Frédéric Azemar und ein Dutzend weiterer Co-Autoren mit der Zeit zu bunt. Odysseus ist gegen Ende wie ein paranoider Eigenbrötler, den selbst die eigene Familie nicht mehr versteht.
Von der Werkuntreue abgesehen erweist es sich auch als kontraproduktiv und unlogisch, Menelaos noch schnell als großen Endgegner zu etablieren. Mal ehrlich: welches glaubhafte Interesse könnte der König von Sparta an einer vergleichsweise bedeutungslosen, kleinen Insel wie Ithaka haben? Die wohl aus Budgetgründen holprig inszenierte Schlacht hätte man sich auch sparen können.
Schauspielerisch ist das Ganze auch leider durchwachsen. Während Niels Schneider nicht nur durch seinen muskulösen Adoniskörper beeindruckt, sondern auch die Entwicklung seines Charakters Telemachos relativ authentisch verkörpert, bleibt Caterina Murino (James Bond: Casino Royale) als Penelope meist nicht mehr als besorgt ihre Bedenken zu äußern sowie den Göttern zu opfern, um Beistand zu erhalten. Titeldarsteller Alessio Boni, hierzulande bekannt durch den ZDF-Vierteiler Krieg und Frieden, kann aus seiner am Ende zu verrückten Rolle irgendwann auch nicht mehr viel herausholen. Ansonsten tummeln sich diverse französische, schweizerische, italienische und portugiesische Darsteller im großen Ensemble.
Was die Härte und bisweilen kompromisslose Konsequenz angeht, möchte sich die Produktion an mit der schillernden HBO-Historiendrama Rom messen, spielt aber leider nur in der Liga von Empire (auf DVD und BluRay auch unter den Titeln Imperium: Schlacht der Gladiatoren sowie Rom: Blut und Spiele erhältlich). Was Ausstattung, Kostüme und andere äußerliche Produktionsmerkmale angeht, muss sich Odysseus aber vor keiner Historienserie verstecken, vor allem wenn man bedenkt, dass die ganze Serie mit 14 Millionen Euro in etwa so viel gekostet hat wie die Pilotfolge von Rom. Dennoch hätte man von einer Eigenproduktion des deutsch-französischen Kultursenders inhaltlich mehr erwarten dürfen. Zum Thema empfiehlt es sich eher den naturalistischen Mehrteiler Die Odyssee (1968) anzusehen oder die zweiteilige Miniserie Die Abenteuer des Odysseus (1997), die Ende August 2013 nach langer Zeit wieder auf DVD erscheint.
Fazit: Odysseus bietet in den ersten sechs Folgen ordentliche Historienkost mit guten Ansätzen, verspielt diesen Kredit aber in der zweiten Hälfte aufgrund zu vieler unsinniger Wendungen. 5 von 10 Punkten.
Telemachos liebt Clea
Königin Penelope
Was führt Leokritos im Schilde?
DVD-Features
Sprachen: Deutsch, Französisch
Untertitel: Fehlanzeige
Bonusmaterial
Trailershow (8 Min.)
Die DVD-Box (4 Discs) ist seit 2. August 2013 erhältlich. Die Laufzeitangabe von 624 Minuten ist unkorrekt. Die Gesamtlänge beträgt ca. 520 Minuten.
Marius Joa, 3. August 2013. Bilder: Arte/Studio Hamburg.
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