Ruben Brandt, Collector

Nach meiner Erfahrung kommen die richtig interessanten Animationsfilme nicht zwingend aus Hollywood. Ein sehr gutes Beispiel liefert der ungarische Beitrag Ruben Brandt, Collector. Das Langfilmdebüt des erfahrenen Künstlers Milorad Krstić handelt vom titelgebenden Therapeuten, welcher in seinen Träumen von bekannten Kunstwerken heimgesucht wird.


Ruben Brandt, Collector (Ruben Brandt, a gyüjtö)
Animationsfilm Ungarn 2018. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 94 Minuten.
Originalsprecher: Iván Kamarás (Ruben Brandt), Csaba Márton (Mike Kowalski), Gabriella Hámori (Mimi), Matt Devere (Bye-Bye-Joe), Henry Grant (Membrano Bruno/Renoir), Christian Nielson Buckholdt (Fernando), Katalin Dombi (Marina), Butch Engle (Vincenzo Delangelo) u.a. Drehbuch: Milorad Krstić und Radmila Roczkov. Regie: Milorad Krstić.


“Kunst ist der Schlüssel zu den Verwirrungen des Geistes.”

Ruben Brandt (Stimme im Original: Iván Kamarás) gilt in Fachkreisen als bester Therapeut für besonders schwierige Fälle. Daher wird er auch von Kunstdiebin Mimi (Gabriella Hámori), deren Kleptomanie ihre Arbeit negativ beeinträchtigt, kontaktiert. In seinem Sanatorium trifft sie auf andere Patienten, die durch Rubens Kunsttherapie geheilt werden sollen: den Bodyguard Bye-Bye-Joe (Matt Devere), den zweidimensionalen Bankmitarbeiter Membrano Bruno (Henry Grant) und Einbrecher Fernando (Christian Nielson Buckholdt). Dr. Brandt leidet seit dem Tod seines Vaters selbst unter psychischen Problemen. In seinen Träumen erscheinen Ruben immer wieder bekannte Kunstwerke, deren abgebildete Personen ihn attackieren. Mimi überredet Ruben schließlich, gemeinsam mit den drei anderen Patienten, die betreffenden Bilder zu stehlen, um ihn so mit seinen Albträumen zu konfrontieren. Schon bald ist dem Quintett nicht nur der Privatdetektiv Kowalski (Csaba Márton), sondern auch Polizei und Mafia dicht auf den Fersen…

1952 wurde Milorad Krstić im slowenischen Dornberk geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften widmete er sich der Malerei. 1990 siedelte er in die ungarische Hauptstadt Budapest über, wo er bis heute lebt und nach einiger Zeit auch Staatsangehöriger Ungarns wurde. Über die Jahrzehnte hat Krstić unzählige Gemälde, Kunstbände, Theaterstücke und andere Multimediawerke geschaffen. Für seinen 1995 auf der Berlinale veröffentlichten, erotischen Kurzfilm My Baby Left Me (9 Minuten) gewann er den Silbernen Bären in der Kurzfilm-Sparte. Nach sechs Jahren Arbeit mit 110 Personen und einem Budget von 4,2 Millionen US-Dollar feiert Krstić 2018 im Alter von 66 Jahren die Premiere seines ersten abendfüllenden Films Ruben Brandt, Collector in Ungarn und international auf dem Filmfestival im schweizerischen Locarno. Drei Jahre später, am 29. Oktober 2020, kommt es eigentlich zum regulären deutschen Kinostart des Animationsfilms, doch wie wir alle wissen, müssen kurze Zeit später alle Kinos wegen eines erneuten Lockdowns schließen. Erst drei weitere Monate später erhält Ruben Brandt seine Heimkinoauswertung.

Es sind Filme wie dieser, die deutlich mehr Aufmerksamkeit verdienen als sie erhalten. Gegen die Giganten aus Hollywood wie Pixar/Disney, Dreamworks & Co kommen kleinere Animationsfilme oder Studios aus anderen Teilen der Welt aber nur schwer an. Ruben Brandt, Collector ist eines dieser im allerbesten Sinne eigenwilligen Werke. Krstićs Langfilmdebüt besticht zum einen durch seinen überaus kubistischen, surrealen Stil, in welchem die Menschen weitgehend verzerrt und schaurig dargestellt werden. Manche haben mehrere Augen, Münder oder gar Gesichter oder sind wie im Falle von Membrano Bruno nur zweidimensional! Noch dazu entpuppt sich der Film relativ frühzeitig als atemlos-wilder Zitatentrip durch bekannte Kunstwerke und Popkultur des 20. Jahrhunderts.

Um die ganzen Anspielungen und Referenzen überhaupt annähernd erfassen zu können müsste man als Zuschauer ständig auf Pause drücken und jede Einstellung genau betrachten/analysieren. Weltberühmte Werke von Botticelli, Gauguin, van Gogh, Magritte, Manet, Picasso, Warhol und mehr treffen auf Versatzstücke bzw. Elemente aus Filmen wie Rambo, Terminator und Pulp Fiction. Altmeister Alfred Hitchcock ist ebenfalls auf kuriose Weise vertreten. Dazu kommt eine eklektische musikalische Untermalung mit ungarischer Folklore, klassischer Musik von Mozart, Schubert, Puccini und Tschaikowski sowie Pop von Britney Spears und Radiohead in herrlichen Jazz-und-Swing-Arrangements des amerikanischen Musiker-Kollektivs Postmodern Jukebox.

Milorad Krstić und seine Ehefrau und Co-Autorin Radmila Roczkov vermischen diese bunten Zutaten mit einem Thriller-Plot, nicht ohne Anleihen beim Film Noir und Heist-Movie, unterfüttert mit Freuds Psychoanalyse. Nur leider endet der Film sobald die Story auf die Zielgerade einbiegt, was das gesamte Werk etwas unfertig wirken lässt und den überaus positiven Gesamteindruck ein bisschen schmälert. Aber Ruben Brandt, Collector wirkt trotz der schier endlosen Inspirationsquellen und der ausufernden Traumsequenzen keinesfalls zu überladen oder verkopft. Vielmehr gehört der Streifen zu den eindrucksvollsten Animationsfilmen der letzten Jahre.

Ruben Brandt, Collector ist seit dem 29. Januar 2021 auf DVD und BluRay erhältlich sowie bei diversen Streaminganbietern abrufbar. Das Limited Edition Mediabook enthält neben den üblichen DVD- und BluRay-Extras (Trailer, Clips, Interviews, Galerie) auch ein 48seitiges Booklet, in welchem auch ein Interview mit de Regisseur abgedruckt ist, sowie den Kurzfilm My Baby Left Me.

Fazit: Milorad Krstić hat mit Ruben Brandt, Collector ein visuell berauschend-surreales und aus dem unendlichen Fundus moderner Kunst schöpfendes Werk der Animationskunst geschaffen. 8 von 10 Punkten.



Ruben wird in seinen Albträumen von Gemälden angegriffen


Detektiv Kowalski ist den Kunstdieben auf der Spur

 

 

Marius Joa, 28. Dezember 2021. Bilder: Indeed Film.

 

 

 

 

 

 


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