Bei Sleeping Beauty, dem Regiedebüt der australischen Autorin Julia Leigh, handelt es sich nicht um eine moderne Version des bekannten Märchens, sondern um ein denkbar unerotisches Erotik-Drama.
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Sleeping Beauty
Erotik-Drama Australien 2011. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 98 Minuten.
Mit: Emily Browning, Rachael Blake, Ewen Leslie, Eden Falk, Mirrah Foulkes u.a. Drehbuch und Regie: Julia Leigh.
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Unterwerfung bis zum Schlaf
Obwohl Studentin Lucy (Emily Browning) mehrere Jobs ausübt – als Kellnerin, Bürohilfe und Teilnehmerin an Laborversuchen – und gelegentlich gegen Geld mit unbekannten Männern schläft, kommt sie finanziell mehr schlecht als recht über die Runden. Über eine Zeitungsanzeige erfährt sie von einem geheimen exklusiven Club, in welchem Frauen in Dessous reiche, ältere Herren bei Dinnerpartys bedienen. Nach dem Vorstellungsgespräch mit Club-Chefin Clara (Rachael Blake) gibt Lucy ihre Zusage, auch weil sie das Geld gut gebrauchen kann. Doch es gibt eine weitere Verdienstmöglichkeit. Ihren nackten schlafenden Körper überlässt die junge Studentin besonders zahlungskräftigen Clubmitgliedern. Die einzige Bedingung: es darf keine Penetration stattfinden. Mit der Zeit beginnt sich Lucy zu fragen, was denn so mit ihr als “schlafender Schönheit” passiere…
Lucy nimmt das Angebot von Clara an
Nach ihrem Studium arbeitete Autorin Julia Leigh (geboren 1970 in Sydney) ursprünglich als Anwältin, entschied sich aber dann für das Schreiben. Die Australierin veröffentliche zwei Romanen, von denen The Hunter mit Willem Dafoe und Sam Neill verfilmt wurde. Im gleichen Jahr premierte auch Leighs erste Filmarbeit bei den Filmfestspielen von Cannes: Sleeping Beauty. Leigh schrieb nicht nur das Drehbuch (welches einige Zeit auf der Blacklist der interessantesten, unverfilmten Skripts geführt wurde), sie übernahm entgegen ihrer früheren Planung auch die Regie.
Mit seinen statischen Kameraeinstellungen und ungewöhnlichen langen Takes wirkt der Film als wolle er Gemälde oder hochwertige Fotografien in Szene setzen. Die Bilder sind durchaus ästhetisch aufbereitet, aber versprühen aufgrund der kargen Farbgebung eisige Kälte. Damit wird natürlich die emotionale Distanziertheit und Gleichültigkeit der Protagonistin untermauert. Denn Lucy, die Job an Job reiht und sich auch für Sex bezahlen lässt, scheint kaum eigenen Antrieb oder Emotionen zu haben. Nur wenn sie ihren einzigen Freund, den todkranken “Birdmann” (Ewen Leslie), besucht, erlebt man bei ihr Gefühlsregungen. Ansonsten besteht ihr Leben nur aus gelegentlichen Kicks.
Die Beschäftigung als schlafende Schönheit bildet für Lucy nur das Ende einer langen Reihe von Unterwerfungsdiensten, vom Schlucken eines Schlauches für Laborversuche, dem Dasein als “Kopiersklavin” in einem sterilen Hochglanz-Büro oder den nächtlichen Putzdiensten in der Kneipe. Mit den Tätigkeiten im Altherrenclub wird die Trennung zwischen Herren und Sklav(inn)en deutlich. Vermutlich ist Sleeping Beauty der spannendere Film zum Thema Submission als die Fanfiction-Filmverwurstung 50 Shades Of Grey (2015). Und dass obwohl Julia Leighs Filmdebüt gar nicht wirklich spannend ist.
Die kaum ausgearbeitete Geschichte und die fehlende Charakterisierung der Hauptfigur lassen den Zuschauer recht unbefriedigt zurück. In positiven Sinne aber natürlich auch viel Raum für Interpretationen. Handelt es sich bei Lucy um das Produkt/Ziel einer völlig entmenschlichten Arbeitswelt, vor welcher etwa im deutschen Dokumentarfilm Work Hard – Play Hard gewarnt wird? Die Arbeit wird so einnehmend und wichtig, dass man sie quasi im Schlaf weiterführt und selbst die passive Intimsphäre dienstbar gemacht wird.
Fazit: Leider bleibt Sleeping Beauty inhaltlich so einiges schuldig, glänzt aber formal mit seiner eiskalt-präzisen und gleichzeitig irgendwie ästhetischen Inszenierung, die jegliche Erotik dekonstruiert. 6 von 10 Punkten.
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Lucy besucht den “Birdmann”
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Marius Joa, 4. Oktober 2016. Bilder: Capelight.
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