Suspiria (2018)

In meiner Horroctober-Reihe darf natürlich das Remake von Suspiria aus dem letzten Jahr auf keinen Fall fehlen.

Suspiria
Horrordrama Italien, USA 2018. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 152 Minuten. Kinostart: 15. November 2018.
Mit: Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth, Angela Winkler, Ingrid Caven u.v.a. Regie: Luca Guadagnino. Drehbuch: David Kajganich. Basierend auf dem Originaldrehbuch von Dario Argento und Daria Nicolodi.

Verstörender Arthouse-Horror

1977, im geteilten Berlin. Patricia Hingle (Chloë Grace Moretz), eine Studentin der Markos Tanzakademie, wendet sich hilfesuchend an den alten Psychotherapeuten Dr. Josef Klemperer (Tilda Swinton alias Lutz Eberdorf). Verzweifelt erzählt sie ihm von merkwürdigen Vorgängen in der Tanzschule, deren Lehrerinnen dunkle Geheimnisse hüten. Kurz darauf ist Patricia verschwunden. Die junge Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) bewirbt sich an der Akademie und erhält den freigewordenen Platz. Von Anfang an beeindruckt Susie die erfahrenen Tanzlehrerinnen Madame Blanc (Tilda Swinton) und Miss Tanner (Angela Winkler). Nach einer körperlich erschöpfenden Performance verschwindet mit Olga (Elena Fokina) eine weitere Studentin. Klemperer, der seine Frau in den Wirren des Zweiten Weltkrieges verlor, stellt Nachforschungen an. Auch Susies Zimmernachbarin Sara (Mia Goth) versucht Hinweise über Patricias Verschwinden zu finden…

Bei meiner ersten Sichtung vor ziemlich genau einem Jahr konnte mich Dario Argentos Klassiker Suspiria (1977) in ästhetischer Hinsicht beeindrucken obgleich hinsichtlich der Story eher wenig geboten wurde. Eigentlich war der Plan, das wenige Wochen später im Kino startende Remake von Regisseur Luca Guadagnino (I Am Love, A Bigger Splash, Call Me by Your Name) auf der großen Leinwand zu erleben. Daraus wurde nichts, weil sämtliche Kinos hier in der hintersten Provinz den Film natürlich nicht zeigten. Somit hob ich mir die Erstsichtung der 2018er Version für den diesjährigen Horroctober auf.

Argentos Original von 1977 gefiel mir (um mich kurz selbst zu zitieren) in „ästhetischer Hinsicht als audiovisuell hochdosierter Psychedelik-Alptraum“, der „inhaltlich aber Einiges schuldig“ blieb. Ein guter Freund von mir, dessen Verständnis von Kino, Musik und Literatur mich in den letzten zehn Jahren maßgeblich geprägt hat, meinte zum Film scherzhaft, dieser sei kein „giallo“ (italienisches Subgenre des Thrillers, welches sich meist um eine Mordserie dreht, wörtlich „gelb“), sondern wegen der grellen Farbgebung ein „rosso“ (zu deutsch: „rot“). Guadagninos Ansatz dagegen könnte gegensätzlicher nicht sein. Zwar verzichtet er nicht völlig auf Primärfarben gestaltet aber den Look hinsichtlich der Farbpalette sehr kalt, erdig und eher trist.

Dafür unterfüttert das Drehbuch von David Kajganich (Invasion [2007], A Bigger Splash; Schöpfer der Serie The Terror) die ganze Szenerie massiv mit zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Themen. Als immer wieder aufgegriffenes Leitmotiv dienen die in Radiosendungen und Fernsehbeiträgen ständig präsenten Verbrechen der Roten Armee Fraktion (RAF), jener Terrorgruppierung, welche vor allem im Jahr 1977 (in welchem der Originalfilm erschien und das Remake spielt) durch Anschläge sowie Entführungen und Morde Westdeutschland bis ins Mark erschütterte. Unter der Bezeichnung „Deutscher Herbst“ fand diese Zeit ihren Platz in den Geschichtsbüchern. Möglicherweise verantwortlich für das Verschwinden Patricias (so wird von einigen Figuren gemutmaßt): die junge Frau habe sich der „Baader-Meinhoff-Gruppe“ angeschlossen. Aber auch die Teilung Deutschlands, stimmungsvoll in grauen Berlin-Panoramen umgesetzt, wird thematisiert. Psychotherapeut Dr. Klemperer reist mehrmals über die Grenze, um in seiner Datscha in Erinnerungen zu schwelgen. Seine jüdische Frau verlor er durch den Holocaust. Allein durch diese virtuos eingewobene Vergangenheitsbewältigung steht „Suspiria 2018“ auf eigenen Füßen. Da lässt es sich auch ganz gut verschmerzen, dass die Filmmusik von Radiohead-Sänger Thom Yorke mit ihrer etwas kruden Kombination aus Krautrock und poppigen Songs eher negativ auffällt und vor allem den Vergleich zum Originalscore von Goblin verliert.

Bei gleichbleibender Grundstruktur werden einzelne Elemente der Geschichte des Vorläufers neu angeordnet. Das Remake nutzt seine gut 50 Minuten längere Laufzeit, um die Handlung etwas mehr auszuarbeiten (Susie stammt hier aus einer Mennoniten-Familie). Dennoch sollte man nicht erwarten, dass hier alles komplett erklärt wird. Fans des schlichten, leicht goutierbaren Horrors dürften beim mitunter sperrigen Werk eher nicht auf ihre Kosten kommen. Dafür wird der offene, geduldige Zuschauer mit einem kuriosen, teils verstörenden Reigen aus Mystery, Tanzhorror und Psychodrama inklusive eines kräftigen Schrittes in Richtung Gesellschaftsstudie belohnt.

Regisseur Luca Guadagnino und Schauspielikone Tilda Swinton lernten sich vor etwa 25 Jahren kennen, drehten gemeinsam vier Filme (The Protagonists [1999], Tilda Swinton: The Love Factory [2002], I Am Love [2009], A Bigger Splash [2015]) und planten schon lange ein Remake (oder wie Swinton es ausdrückt „a cover version“) des Klassikers von Giallo-Papst Dario Argento. Die schottische Oscar-Preisträgerin (für Michael Clayton) spielt aber nicht nur die zweite Hauptrolle der enigmatischen Tanzlehrerin Madame Blanc, sondern auch noch die monströse Helena Markos und unter dem Pseudonym „Lutz Ebersdorf“ den gebrechlichen Therapeuten Dr. Klemperer. Dabei verblüfft die heute 58jährige nicht nur wie fast schon „gewohnt“ mit ihrer unglaublichen Wandlungsfähigkeit, sondern meistert auch ihre Szenen auf Deutsch.

Neben Dakota Johnson (Tochter von Melanie Griffith und Enkelin von Tippi Hedren) als Protagonistin Susie, der kindlich-lolitahaften Mia Goth als Sara und Chloë Grace Moretz als Patricia glänzt die 2018er Fassung mit den deutschen Schauspielgrößen Angela Winkler (Deutschland im Herbst [1978], Die Blechtrommel [1979]) und Ingrid Caven (Ehefrau des deutschen Jahrhundertregisseurs Rainer Werner Fassbinder und Akteurin in vielen seiner Werke), eine klare Verneigung vor dem deutschen Kino der 1970er Jahre. Der ausschließlich weibliche Hauptcast unterstreicht die feministische Grundhaltung dieses eigenwilligen Trips in die Abgründe utrümlicher Kräfte.

Das Remake von Suspiria ist seit dem 4. April 2019 auf DVD und BluRay erhältlich sowie außerdem bei diversen Streaminganbietern abrufbar.

Fazit: Luca Guadagninos starbesetzte Version von Suspiria bildet mit seinen über weite Strecken eher farbarmen Bildern, geheimnisvollen, surrealen Sequenzen und der
historischen Verortung im Deutschen Herbst beinahe das krasse Gegenteil des Originals. 8 von 10 Punkten.

Tilda Swinton als Madame Blanc…

…und Dr. Klemperer

 

Marius Joa, 26. Oktober 2019. Bilder: Amazon Studios/Koch Films/Capelight Pictures.

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Kommentare

Eine Antwort zu „Suspiria (2018)“

  1. Avatar von afictionesse

    Die Szenen mit dem alten Mann waren sehr langatmig. Ansonsten fand ich den Film okay, auch etwas zu abstrakt, aber es passte. Ich finde ihn hundert Mal besser als das Original. Empfehlen kann man ihn aber vermutlich nur für Filmbegeisterte.

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