Vor 20 Jahren veröffentlichte die amerikanische Multimediakünstlerin und Filmemacherin Lynn Hershman Leeson ihren Spielfilm Teknolust. Darin spielt Tilda Swinton eine Wissenschaftlerin und deren Trio von Klonen.
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Teknolust
Science-Fiction-Satire USA, UK, Deutschland 2002. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 83 Minuten.
Mit: Tilda Swinton, Jeremy Davies, James Urbaniak, John O’Keefe, Karen Black, Josh Kornbluth, Howard Swain u.v.a. Drehbuch und Regie: Lynn Hershman Leeson.
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Auf der Jagd nach dem Y-Chromosom
Im Geheimen hat die Wissenschaftlerin Dr. Rosetta Stone (Tilda Swinton) drei Klone von sich geschaffen: die drei “Selbst-Replizierenden Automaten” (SRAs) Ruby, Marinne und Olive (alle Tilda Swinton). Doch um zu überleben benötigen die drei Cyborg-Klone die Essenz des Y-Chromosoms, welches sich nur in Spermien befindet. Ruby geht daher immer wieder One-Night-Stands mit diversen Männern ein, um das benötigte Material für sich und ihre Schwestern zu besorgen. Doch mehrere von Rubys auserwählten Kurzzeitpartnern beginnen an einem mysteriösen Virus zu leiden. Schließlich wird das FBI aufmerksam und schickt Agent Edward Hopper (James Urbaniak) los, die Angelegenheit zu untersuchen. Rosettas Geheimnis droht aufzufliegen. Der schüchterne Copyshop-Mitarbeiter Sandy (Jeremy Davies) lernt zufällig eine sozial sehr unbeholfene Frau kennen…
Dr. Rosetta Stone
Die amerikanische Multimediakünstlerin und Filmemacherin Lynn Harshman Leeson (geboren 1941) befasst sich mit ihren interdisziplinären Arbeit vor allem mit feministischen Fragen, Identität, technologischen Innovationen, Konsumismus und künstlicher Intelligenz. Im Januar 2002 feierte ihr Spielfilm Teknolust Premiere auf dem Sundance Film Festival. Darin übernahm Tilda Swinton nicht nur eine, sondern gleich vier Rollen. Die Prämisse klingt verdächtig nach einem Pornofilm, doch erweist sich das vorliegende Werk aus meiner Sicht als ganz und gar nicht plumpe Mixtur aus Multimedia-Installation und augenzwinkernde Near-Future-Science-Fiction, wobei manche technischen Aspekte 20 Jahre später sicherlich etwas überholt wirken.
Eine meiner absoluten Lieblingsschauspielerinnen in einem Film gleich in vier unterschiedlichen Performances zu sehen war für mich alleine die Sichtung wert. Die spaßig choreographierte Tanzszene der drei Klone bildet die Sahne auf der Kirsche. Doch Teknolust hat noch mehr zu bieten. Im Zentrum von Lynn Hershman Leesons Films steht auch die Frage, was wäre wenn sich ein Virus sowohl auf den Menschen als auch auf Computer übertragen könnte. Obwohl die betreffenden Männer Safer Sex mit Ruby haben fangen sie sich eine Geschlechtskrankheit ein, die sich in den Symptomen Impotenz sowie einem allergischen Ausschlag mit Barcode (!) äußern und Auswirkungen auf die Rechner der Infizierten haben. Ruby als “Jägerin” des männlichen Ejakulats, welches von den drei Klonen entweder als Tee oder per Injektion aufgenommen wird, lässt sich als quasi umgekehrte Variante von Blade Runner interpretieren. Ihre Pick-Up-Lines speist die verführerisch-distanzierte Replikantin aus alten Schwarzweiß-Streifen.
Abgesehen vom farbenfroh-stylishen “Cyberspace” in welchem das SRA-Trio lebt, erweist sich die Szenerie eher unspektakulär und karg, was auf das nicht sehr hohe Budget der Produktion zurückzuführen sein dürfte. Man sollte das Werk als Zuschauer*in auf keinen Fall zu ernst nehmen, das wäre dem Funfaktor auf jeden Fall abträglich. Eine besonders ausgefeilte Story sucht man hier vergeblich, was mich persönlich mittlerweile nicht mehr wirklich stört, wenn der Rest stimmt. Und das ist bei Teknolust der Fall, wenn man sich auf die schrägen, teils albernen Ideen und die dezente Überzeichnung des ganzen Szenarios einlassen kann.
Tilda Swinton vereinnahmt mit ihrer Vierfach-Performance einen Großteil des Ensembles. Mit der Hilfe von Doubles und den üblichen Tricks ist sie in einigen Szenen und Einstellungen mehrmals zu sehen. Dazu verleiht sie jeder der Figuren eine eigene Identität: von der biederen Wissenschaftlerin Rosetta, der kühlen Femme Fatale Ruby (die zudem eine erotische Website betreibt), der drolligen Olive (mit absichtlich schlecht sitzender Perücke) zur agilen und modebewussten Marinne. Hierbei taugt Teknolust durchaus als unbewusster Vorreiter zur Biopunk-Serie Orphan Black (2013-2017), in welcher Tatiana Maslany insgesamt gut ein Dutzend Klone meisterhaft verkörperte. Von den übrigen Darstellern können sich Jeremy Davies (Der Soldat James Ryan) als linkischer Nerd Sandy (Markenzeichen: schräge Kopien) und James Urbaniak (Dave Made a Maze) als FBI-Agent Hopper, der irgendwie an Agent Dale Cooper aus Twin Peaks erinnert, etwas in den Vordergrund spielen.
Teknolust ist auf DVD erhältlich sowie aktuell im Angebot des Arthouse-Streamingdienstes MUBI enthalten.
Fazit: Schräge, gekonnt überzeichnete Scifi-Satire mit Tilda Swinton in vier höchst unterschiedlichen Rollen. 8 von 10 Punkten.
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Marinne, Ruby und Olive
Let’s dance!
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Marius Joa, 13. November 2022. Bilder: Sunfilm/MUBI.
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