The Witch (2015)

Jahre vor seinem aktuellen Film, dem brutal-authentischen Wikinger-Rache-Epos The Northman, sorgte der amerikanische Filmemacher Robert Eggers mit seinem Regiedebüt The Witch für Aufsehen. Im puritanischen Neuengland des 17. Jahrhunderts droht eine strenggläubige Familie an ihrem eigenen Weltbild zu zerbrechen und eine Hexe treibt ihr Unwesen.


The Witch (The VVitch: A New-England Folktale)
Horrordrama USA, Kanada 2015. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 92 Minuten. Kinostart: 19. Mai 2016.
Mit: Anya Taylor-Joy, Ralph Ineson, Kate Dickie, Harvey Scrimshaw, Ellie Grainger, Lucas Dawson u.a. Drehbuch und Regie: Robert Eggers.

 

 


Puritanische Hölle

Neuengland, um 1630. William (Ralph Ineson) und seine Ehefrau Katherine (Kate Dickie) werden mit ihrer Familie wegen Unstimmigkeiten bei der Auslegung der Bibel von einer puritanischen Plantage verbannt. Nähe einem abgelegenen Wald baut sich die Sippe mit einer kleinen Farm eine neue Existenz auf. Doch mit der Zeit häufen sich die Unglücksfälle und Katastrophen. Als die älteste Tochter Thomasin (Anya Taylor-Joy) mit ihrem jüngsten Bruder, dem Säugling Samuel, spazieren geht, verschwindet dieser spurlos. Am Boden zerstört verbringt Mutter Katherine ihre Tage fortan mit Weinen und Beten. Die Situation der Familie spitzt sich zu, als die Ernte von Schädlingen heimgesucht wird und auch die Jagd nichts einbringt. Nach einem nächtlichen Ausflug in den Wald verschwindet auch der ältere Sohn Caleb (Harvey Scrimshaw). Die sechsjährigen Zwillinge Mercy (Ellie Grainger) und Jonas (Lucas Dawson) bezichtigen ihre Schwester Thomasin der Hexerei…

 Thomasin und Caleb

Filmemacher Robert Eggers (geboren 1983) wuchs in New Hampshire auf und wurde bereits in seiner Kindheit von der Geschichte der Hexenverfolgung in Amerikas frühen Kolonien geprägt. Er begann seine Karriere als Szenenbildner sowie als Regisseur von Theaterproduktionen und Kurzfilmen, darunter eine Adaption von Edgar Allen Poes The Tell-Tale Heart von 2009. Für sein vorliegendes Langfilmdebüt recherchierte Eggers vier Jahre lang, auch mit der Hilfe von Historikern und Museen (etwa der Plimoth Plantation), über Aberglaube und Hexen im puritanischen Neuengland. Das Drehbuch basiert auf historischen Vorkommenissen. Die Dialoge stammen zum großen Teil aus Tagebüchern und Aufzeichnungen aus dem 17. Jahrhundert. Eggers Vergangenheit als Production Designer und seine ausufernden Recherchen kamen der minutiösen Rekonstruierung der Lebensumstände zugute. The Witch besticht zum Einen durch ganzheitliche Authentizität, zum anderen durch die eigenwillig-konsequente Art des Horrors, die ohne plumpe Effekthascherei auskommt.

Religion ist der komplette Lebensmittelpunkt der hier gezeigten puritanischen Familie. Gemäß ihrem eigenen Weltbild sind alle Menschen unwürdige Sünder, welche sich die Gnade und Liebe Gottes durch ständige Demut und Frömmigkeit verdienen müssen. Ein Mindset, bei welchem man nicht zu Kreuze kriecht, sondern quasi die ganze Zeit davor kniet und sich kaum zu erheben vermag. Diese Einstellung verkörpern die Schauspieler perfekt, vor allem Ralph Ineson und Kate Dickie als verzweifeltes Ehepaar (auch dank ihrer passenden Physiognomie), aber auch die damalige Newcomerin Anya Taylor-Joy als fast erwachsene Tochter Thomasin. Absolut eindringlich stark agieren zudem die Kinderdarsteller Harvey Scrimshaw, Ellie Grainger, und Lucas Dawson.

Das authentische Umfeld und das verwendete Frühneuenglisch (Early Modern English), die Sprache William Shakespeares und der King-James-Bibelübersetzung (1611), tragen zur immersiven Atmosphäre maßgeblich bei. Hier empfiehlt es sich freilich, den Film im Original anzusehen. Die farblose Ästhetik wertet die Intensität der Geschichte noch zusätzlich auf. Kameramann Jarin Blaschke setzt auf lange, meist ruhige Takes und ausschließlich natürliches Licht. Gekonnt rückt er so den furchteinflößenden Wald in den Vordergrund. Dazu liefert Mark Korven einen minimalistischen Score mit unheilvollen Streicher-Passagen und ohne erkennbar wiederkehrende Melodien.

Es wird relativ früh (ohne jetzt große spoilern zu wollen) klar, dass es die titelgebende Hexe in der Realität der Handlung tatsächlich gibt und diese im Wald ihr Unwesen treibt. Doch ist sie zwangsläufig ein Produkt einer von finsterstem Aberglaube und hyperreligiösem Wahn durchzogenen Welt. Ohne Gott kann es nämlich auch keinen Teufel geben. Robert Eggers beim Sundance Festival 2015 uraufgeführtes Langfilmdebüt beweist, dass Horror so viel mehr sein kann als nur Jump Scares und Gewaltspitzen.

The Witch von Robert Eggers ist seit dem 30. September 2016 auf DVD und BluRay erhältlich sowie als kostenpflichtiger Stream bei diversen Anbietern abrufbar.

Fazit: Intensives, authentisches, herausragend gespieltes Drama über eine puritanische Familie vor dem Zusammenbruch. 9 von 10 Punkten.

 

Die Familie
 

Der Wald

 


Marius Joa, 29. Mai 2022. Bilder: Universal.

 

 


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