Mit Tiger & Dragon schuf Regisseur Ang Lee einen Film, der das chinesische Wuxia-Kino einem westlichen Publikum erfolgreich näher brachte. Vor kurzem wurde das preisgekrönte Werk gut zwanzig Jahre nach Erscheinung erneut im Kino gezeigt.
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Tiger & Dragon (Wo Hu Cang Long)
international: Crouching Tiger, Hidden Dragon
Martial-Arts-Abenteuer/Drama Taiwan, Hong Kong, China, USA 2000. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 115 Minuten (PAL-DVD). Kinostart: 11. Januar 2001.
Mit: Zhang Ziyi, Chow Yun-Fat, Michelle Yeoh, Cheng Pei-Pei, Chang Chen, Lung Sihung, Gao Xi’an u.v.a. Nach dem Roman von Wang Du Lu. Drehbuch: Wang Hui-Ling, James Schamus und Tsai Kuo Jung. Regie: Ang Lee.
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Lauernde Tiger, verborgene Drachen
China, um 1779. Der legendäre Kämpfer Li Mu Bai (Chow Yun-Fat) will sein Leben als großer Krieger beenden und sich zur Ruhe setzen. Seine Waffe, das berühmte „Grüne Schwert der Unterwelt“ vertraut er seiner alten Freundin Yu Xiu Lian (Michelle Yeoh) an, die es in Beijing dem Hohen Rat Tie (Lung Sihung) übergeben soll. In der ersten Nacht wird das Schwert aus dem Haus von Tie gestohlen. Xiu Lian verfolgt den Dieb über die Dächer der Stadt, dieser kann jedoch dank eines Komplizen fliehen. Zur gleichen Zeit wird bekannt gegeben, dass sich der steckbrieflich gesuchte Mörder Jadefuchs in der Stadt aufhalten soll. Mu Bai, nun in Bejing angekommen, will ihn stellen, weil Jadefuchs vor Jahren den Meister des Wudang-Ordens, seinen Lehrer, ermordet hat.
In beiden Fällen führt die Spur ins Haus des Gouverneurs Yu. Dessen junge Tochter Xiao Long (Zhang Ziyi), die bald verheiratet werden soll, freundet sich mit Xiu Lian an. Sie entpuppt sich als der Dieb des Schwertes und ihre Magd als Jadefuchs (Cheng Pei-Pei). Jadefuchs möchte mit ihrer Schülerin Xiao Long fliehen, doch das Mädchen hat seine eigenen Pläne, weil es den Wüstenbanditen Lo (Chang Chen) liebt. Kurz vor der arrangierten Hochzeit mit einem reichen Beamten flieht Xiao Long mit dem Schwert, um fortan als gesetzlose Kämpferin zu leben. Li Mu Bai und Shu Lien versuchen die junge Frau vor einem ziellosen Leben zu bewahren…
Ähnlich wie Der Herr der Ringe: Die Gefährten im Dezember 2001 meine Kinobegeisterung als Erwachsener im Allgemeinen weckte gelang dies Tiger & Dragon (2000) um Einiges früher im gleichen Jahr in Bezug auf Wuxia-Filme. Kürzlich habe ich das Martial-Arts-Drama von Ang Lee gut 21 Jahre nach dem ersten Kinobesuch (und nach unzähligen weiteren Sichtungen auf DVD) wieder im Kino gesehen. Auch nach so langer Zeit hat das eindrucksvolle Werk um Liebe, Freiheit und Kampfkunst nicht von seiner Faszination eingebüßt, obgleich die Warnehmung sich etwas unterscheidet.
Ang Lee (geboren 1954) scheint in fast jedem erdenklichen Genres zuhause zu sein. Nachdem sich seine ersten drei Filme Schiebende Hände (1992), Das Hochzeitsbankett (1993) und Eat Drink Man Woman (1994) um die unterschiedlichen Lebensauffassungen eines alten Familienoberhauptes und seiner erwachsenen Kinder drehten inszenierte Lee als nächstes die Jane Austen-Adaption Sinn und Sinnlichkeit (Sense and Sensibility, 1995). Es folgten das in den USA der 1970ern angesiedelte Gesellschaftsdrama Der Eissturm (1997) und Ride with the Devil (1999), über Guerillakämpfer im amerikanischen Bürgerkrieg. Mit Tiger & Dragon wandte sich Lee erstmals dem Wuxia-Genre zu. Wuxia bedeutet, dass sich das betreffende Werk um Figuren dreht, die in Wushu (einer Zusammenstellung chinesischer Kampfkünste) sehr bewandert sind. Im internationalen Sprachgebrauch wird meistens die Bezeichnung „Martial Arts“ verwendet. Als Vorlage dient ein Buch des chinesischen Autors Wang Dulu (1909-1977), nämlich der vierte Roman seiner Kranich und Eisen-Pentalogie.
Besonders bekannt ist der Film natürlich für seine atemberaubend rasanten, virtuosen und überaus ästhetischen, wie ein traumwandelnder Tanz wirkenden Kampfszenen. Für die Schauspieler um Zhang Ziyi, Michelle Yeoh und Chow Yun-Fat waren diese mit langer Vorbereitung und intensivem Training verbunden. Während etwa Yeoh sich als Actionstar in Hongkong (etwa an der Seite Jackie Chan) bereits einen Namen gemacht hatte und über die entsprechende Erfahrung verfügte war die Kampfkunst für Zhang Ziyi Neuland. Aber auch dank ihrer Ausbildung als Tänzerin seit der Kindheit konnte die junge Darstellerin die Anforderungen meistern. Bei den Actionszenen wurde fast völlig auf Computertricks verzichtet. Lediglich die Drähte und Seile, an welchen die Schauspieler hingen, wurden in der Nachbearbeitung digital entfernt. Alle Akteure führten ihre Stunts komplett selbst aus. Choreographiert und inszeniert wurden die Kampfszenen von Yuen Woo-ping, der zuvor in gleicher Funktion auch beim Science-Fiction-Kracher Matrix (1999) tätig war.
Doch Tiger & Dragon auf eine Aneinanderreihung überaus ansprechend inszenierter Fights zu reduzieren wäre ein Trugschluss. Vielmehr sind die Kampfszenen wichtiges Mittel, um die Geschichte zu erzählen. Im Zentrum der Handlung stehen Widersprüche und Konflikte durch unterschiedliche Lebensweisen. Li Mu Bai und Xiu Lian haben das klassische Familienleben hinter sich gelassen und führen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben als Kämpfer bzw. reisende Händler. Dem gegenüber steht das Leben welches der jungen Xiao Long als brave Ehefrau eines wichtigen Mannes bevorsteht, wobei die Verbindung ihrer Familie auch Einfluss bringen soll. Gegen diese ihr von der Gesellschaft vorgezeichnete Rolle rebelliert die junge Frau und sehnt sich nach einem freien Leben. Dabei gibt es in Person von Jadefuchs als Gesetzlose (die wiederum gegen den misogynen Wudang-Orden vorging, weil ihr als Frau die Unterweisung in der Kampfkunst verwehrt blieb) sowie von Li Mu Bai und Xu Lian als Individuen, die zwar frei teils außerhalb der regulären Gesellschaft existieren, aber dieser dennoch auf ihre Weise dienen, zwei mögliche Wege, dem „normalen“ Leben zu entkommen. Irgendwo dazwischen liegt die Option, mit dem Wüstenbanditen Lo zurückgezogen in der Einöde zu leben.
Die verschiedenen Eigenschaften der Figuren spiegeln sich auch deutlich in ihren Kampfstilen wieder. Li Mu Bai ruht die meiste Zeit über in sich und absolviert die kompliziertesten Fights fast mühelos. Xu Lian wirkt beim Kämpfen ebenfalls eher ruhig, gleichzeitig aber auch tatkräftig und energisch. Xiao Long vereint ihr großes, teils noch ungeschliffenes Talent mit allerlei Ruhelosigkeit. Von Rache und roher Gewalt gekennzeichnet sind wiederum die Moves von Jadefuchs. Ganz bodenständig geht hingegen Wüstenbandit Lo zu Werke. Das passt alles wunderbar in das stimmige Gesamtbild welches Story, Figuren, Locations und Inszenierung erzeugen. Perfekt untermalt wird die Szenerie durch die Musik von Tan Dun, welche dieser in nur zwei Wochen komponierte und mit dem Shanghai Symphony Orchestra, dem Shanghai National Orchestra und dem Shanghai Percussion Ensemble aufnahm. Der Score überzeugt vor allem durch die präzise-treibenden Percussions und den vom chinesisch-amerikanischen Star-Cellisten Yo-Yo Ma angeführten Streichern.
Die internationale Co-Produktion von Taiwan, Hongkong, China und den USA trat ab Dezember 2000 ihren Siegeszug durch die Kinos an und spielte weltweit 213 Millionen Dollar ein (bei einem Budget von geschätzten 17 Millionen Dollar). Kritiker und Publikum in Ost und West zeigten sich begeistert. Tiger & Dragon gewann unter anderem zwei Golden Globes (bester fremdsprachiger Film, beste Regie), vier Oscars (bester fremdsprachiger Film, beste Ausstattung, beste Kamera und beste Musik) und acht Hongkong Film Awards (als bester Film sowie für Regie, Cheng Pei-Pei als beste Nebendarstellerin, Kamera, Action-Choreografie, Musik, Filmsong und Sounddesign). Außerdem ebnete Ang Lees den Weg für weitere Wuxia-Filme im Westen, wie Hero (2002) und House of Flying Daggers (2004), beide von Zhang Yimou und mit Zhang Ziyi in zentralen Rollen. Für die damals 20jährige Schauspielerin bedeutete Tiger & Dragon den internationalen Durchbruch woraufhin sie auch in Wong Kar-wais Liebesdrama 2046 (2004), Rob Marshalls Historiendrama Die Geisha (2005) und später im Martial-Arts-Biopic The Grandmaster (2013), erneut unter Regie von Wong, zu sehen war. Unter Regie von Yuen Woo-ping entstand die auf Englisch gedrehte und bei Netflix veröffentlichte Fortsetzung Crouching Tiger, Hidden Dragon: Sword Destiny (2016), für welche Michelle Yeoh als Hauptdarstellerin zurückkehrte. Abseits der sehenswert inszenierten Actionszenen konnte das Sequel (welches auf dem Folgeband der Romanreihe von Wang Dulu basierte) allerdings nicht überzeugen.
Tiger & Dragon ist auf DVD und BluRay erhältlich.
Fazit: Virtuos inszenierte, überaus stimmige Mischung aus Martial-Arts-Action, Abenteuerfilm und Coming-of-Age-Drama. Ein Meilenstein des Wuxia-Kinos. 9 von 10 Punkten.
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Duell der Frauen
In der Wüste
Im Bambuswald
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Marius Joa, 21. August 2022. Bilder: Arthaus/Studiocanal.
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