Tod auf dem Nil (1978)

Vier Jahre nach dem erfolgreichen Mord im Orientexpress (1974) brachten die Produzenten John Brabourne und Richard Goodwin einen weiteren Kriminalroman von Agatha Christie auf die große Leinwand. In Tod auf dem Nil ermittelte erstmals Sir Peter Ustinov als belgischer Meisterschnüffler Hercule Poirot, an der Seite eines ausufernden Starensembles.

Tod auf dem Nil (Death on the Nile)
Krimi UK 1978. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 140 Minuten. Kinostart: 13. Oktober 1978.
Mit: Peter Ustinov, Jane Birkin, Lois Chiles, Bette Davis, Mia Farrow, Jon Finch, Olivia Hussey, I.S. Johar, George Kennedy, Angela Lansbury, Simon MacCorkindale, David Niven, Maggie Smith, Jack Warden u.a. Nach dem Roman von Agatha Christie. Drehbuch: Anthony Shaffer. Regie: John Guillermin.



 

Eine Nil-Fahrt, die ist tödlich…

Linnet Ridgeway (Lois Chiles), reiche Erbin des Kaugummi-Imperiums ihres Vaters, schnappt ihrer besten Freunden Jacqueline “Jackie” de Bellefort (Mia Farrow), deren Verlobten, Simon Doyle (Simon MacCorkindale) vor der Nase weg. Nach der Hochzeit wollten Linnet und Simon eigentlich traumhafte Flitterwochen in Ägypten verbringen, doch Jackie folgt dem jungen Ehepaar auf Schritt und Tritt. Auch bei der Nil-Kreuzfahrt auf einem Dampfer sind die Frischvermählten nicht ungestört. Denn nicht nur Jackie und Andrew Pennington (George Kennedy), Linnets amerikanischer Anwalt und Treuhänder, sind auf dem Schiff anwesend, sondern mehrere Personen, die gegen die junge Mrs. Doyle einen Groll hegen: der Schweizer Arzt Dr. Ludwig Bessner (Jack Warden), die Societylady Mrs. Van Schuyler (Bette Davis), deren Dienerin Miss Bowers (Maggie Smith), die Liebesromanautorin Salome Otterbourne (Angela Lansbury) mit ihrer Tochter Rosalie (Olivia Hussey) und der übermäßigen Reichtum verachtende Kommunistin James Ferguson (Jon Finch). Eines Abends wird Simon von seiner Ex-Verlobten Jackie niedergeschossen. Am nächsten Morgen findet Dienstmädchen Louise (Jane Birkin) ihre Chefin Linnet ermordet auf. Meisterdetektiv Hercule Poirot (Peter Ustinov), der eigentlich nur Urlaub machen wollte, nimmt mit seinem alten Freund Colonel Race (David Niven) die Ermittlungen auf…

 Poirot bei den Pharaonen

Die 1978er Verfilmung von Agatha Christies Roman, der 1937 erschien, gehört nicht nur seit Langem zu meinen Lieblingsfilmen, sondern war auch der erste Film dieses Genres, den ich gesehen habe, irgendwann in den 1990ern im Fernsehen. Auch nach der Sichtung einiger weiterer Whodunits und obwohl David Suchet durch seine Hauptrolle in der langjährigen Krimiserie Poirot die definitive Interpretation des belgischen Detektives darstellt so funktioniert Tod auf dem Nil auch heute noch wunderbar.

Nach dem Erfolg der ersten Adaption von Mord im Orientexpress (1974) – 35 Millionen Dollar Einspielergebnis bei nur ca. 1,4 Millionen Dollar Budget – wollten die Produzenten John Brabourne (Schwiegersohn von Lord Louis Mountbatten, dem Onkel von Prinz Philip) und Richard B. Goodwin den Erfolg wiederholen. Der Roman Tod auf dem Nil sollte als Vorlage dienen. Der britische Dramaturg und Autor Anthony Shaffer, der bereits ohne Nennung im Vor- oder Abspann am Skript von “Orientexpress” mitgearbeitet hatte, schrieb das Drehbuch. Ursprünglich sollte Albert Finney als Hercule Poirot zurückkehren. Zwei mögliche Gründe, warum es dazu nicht kam: einerseits hätten die große Hitze und das aufwändige Make-Up eine große Belastung bedeutet. Außerdem war Finney dafür bekannt, dass er immer wieder neue Herausforderungen suchte und deshalb wohl an der “Wiederholung” einer Performance nicht interessiert war. Die Hauptrolle übernahm schließlich Peter Ustinov, der Christies Beschreibungen zwar so überhaupt nicht entsprach, aber der ikonischen Figur gekonnt seinen eigenen Stempel aufdrückte. Wie auch Finney im Vorgängerfilm wurde Ustinov ein massives Starensemble zur Seite gestellt: Jane Birkin (Je t’aime), Lois Chiles (James Bond: Moonraker), Betta Davis (Alles über Eva, Was geschah wirklich mit Baby Jane?), Mia Farrow (Rosemary’s Baby, Verbrechen und andere Kleinigkeiten), Jon Finch (Macbeth [1971], Frenzy), Olivia Hussey (Romeo und Julia [1968], Jesus von Nazareth), George Kennedy (Airport, Die nackte Kanone), Angela Lansbury (Die tollkühne Hexe in ihren fliegenden Bett, Mord ist ihr Hobby [1984-1996]), David Niven (In 80 Tagen um die Welt [1956], Der rosarote Panther), Maggie Smith (Eine Leiche zum Dessert, Harry Potter-Filmreihe) und Jack Warden (Die Unbestechlichen, Die Fälle des Harry Fox [1984-1986]).

 Simon, Jackie und Linnet

Einerseits haben die eigentlich immer nach gleichem Schema ablaufenden Krimis, in welchen ein Detektiv unter einer ganzen Reihe von Verdächtigen schließlich den/die Täter in einem Mordfall ermittelt, etwas Altmodisches und laufen wohlmöglich Gefahr entweder in Behäbigkeit zu verharren oder ihre zahlreichen Figuren wie bloße Abziehbilder wirken zu lassen. Doch Regisseur John Guillermin (Die Brücke von Remagen, King Kong [1976]) schaffte es, diese Fehler zu vermeiden. Gedreht wurde an Originalschauplätzen in Ägypten sowie in den Pinewood-Studios in England, wo eine 1:1-Nachbildung des Nil-Dampfers als Kulisse für die Innenaufnahmen nachgebaut wurde. Kamermann Jack Cardiff (African Queen, Krieg und Frieden [1956]) und seinem Team gelang es nicht nur, die Sehenswürdigkeiten wie die Pyramiden von Gizeh oder den Tempel von Abu Simbel gut ins Szenen zu setzen sondern auch die illustre Besetzung, die in diversen Sequenzen auf kreative Weise ins Licht gerückt werden. Und nicht zu vergessen der gewiefte Monsieur Poirot, der bei entscheidenden Gesprächen immer zufällig an Ort und Stelle ist.

Vor allem bei den mega-prunkvollen Kleidern und Accessoires von Salome Otterbourne übertraf sich Kostümbildner Anthony Powell, der für Tod auf dem Nil einen Oscar gewann, selbst. Äußerst passend, da Angela Lansbury in der Rolle der überkandidelten (und ständig angetrunkenen) Verfasserin von Liebesromanen fortlaufend durch ihren eigenen Film zu torkeln scheint. Lansbury, die Ex-Schwägerin von Peter Ustinov, sollte zwei Jahre später in Mord im Spiegel Agatha Christies andere berühmte Figur, die rüstige Rentnerin miss Marple, verkörpern. Obgleich in der Leinwandversion ein paar Charaktere aus der Romanvorlage gestrichen wurden funktioniert die Geschichte. Dank der pointierten Dialoge und der als Comic Relief eingesetzten Figur des von I.S. Johar gespielten Bord-Managers kommt hier auch der Humor nicht zu kurz. Jeder der Schauspieler bekommt in mindestens einer Szene, wenn nicht in mehreren, die Gelegenheit zu glänzen, egal ob Mia Farrow als emotional aufgewühlte Jackie, Bette Davis als zynische Mrs. Van Schuyler oder die bereits erwähnte Angela Lansbury. Sir Peter Ustinov meisterte seinen ersten Film als Hercule Poirot souverän. Noch insgesamt fünfmal sollte er diese Rolle spielen, darunter dreimal fürs Fernsehen. Vier Jahre später sollten sich Jane Birkin, Magge Smith und Ustinov bei den Dreharbeiten der nächsten von Brabourne und Goodwin produzierten Agatha-Christie-Verfilmung, Das Böse unter der Sonne, wiedersehen. 2004 erschien die Fernseh-Version des Stoffes im Rahmen der Serie Poirot, mit David Suchet.

Sofern sich durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie der Start nicht verschiebt, kommt am 15. Oktober 2020 Kenneth Branaghs Version von Tod auf dem Nil in die Kinos. Wie schon bei der mäßigen 2017er Neuauflage von Mord im Orientexpress übernahm Branagh sowohl Regie als auch Hauptrolle. Außerdem dabei: Gal Gadot als Linnet Ridgeway/Doyle, Armie Hammer als Simon Doyle, Emma Mackey als Jacqueline de Bellefort, Sophie Okonedo als Salome Otterbourne, Letitia Wright als Rosalie Otterbourne, Rose Leslie als Louise sowie die britischen Komiker Dawn French, Jennifer Saunders und Russell Brand.

Tod auf dem Nil ist seit dem 2. November 2017 in einer digital restaurierten Fassung auf DVD und BluRay erhältlich, als Single-Disc oder in der sogenannten “Agatha-Christie-Box” mit Mord im Orientexpress (1974), Mord im Spiegel (1980) und Das Böse unter der Sonne (1982). Neben dem Original-Making-Of von 1978 (23 Min.) sind recht aktuelle Interviews mit Kostümbildner Anthony Powell (20 min.), Schauspielerin Angela Lansbury (6 Min.) und Produzent Richard Goodwin (11 Min.; alle im Original mit deutschen Untertiteln) sowie zwei Fotogalerien als Bonusmaterial enthalten.

Fazit: Ausladend inszenierte und episch besetzte Verfilmung des bekannten Romans von Agatha Christie, für Peter Ustinov das souveräne erste Mal als Kultdetektiv Hercule Poirot. 9 von 10 Punkten.



Colonel Race und Poirot

Köstlich: Angela Lansburg als Salome Otterbourne

Das illustre Darstellerensemble

 

Marius Joa, 18. April 2020. Bilder: Studiocanal.

Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner