Wir sind keine Engel

Die Teufelsinsel, Französisch-Guayana, 24. Dezember 1895: Inmitten des bunten Treibens eines kleinen Küstenstädtchens belauschen drei abgerissene Gestalten unauffällig die Unterhaltung zweier Hafenarbeiter. Der Hafen soll durchsucht werden, weil des Nachts aus der benachbarten Strafkolonie drei Häftlinge entkommen sind. „Wissen Sie irgendwas Näheres über die drei Gefangenen? Sind sie sehr gefährlich?“ – „Ja, sie wollten einen Wärter erschlagen.“ Das hört einer der drei Lauscher gar nicht gern: Joseph (Humprey Bogart) verzieht gequält das Gesicht. „Wollten?“ fragt er gedehnt, „Ist er denn nicht tot? Ich glaube, ich werde allmählich alt.“

(We’re No Angels)
Weihnachts-Komödie, USA 1955. Regie: Michael Curtiz. Drehbuch: Ranald MacDougall.
Darsteller: Humphrey Bogart, Aldo Ray, Peter Ustinov, Joan Bennett, Basil Rathbone, Leo G. Carroll.

Von Giftschlangen und Gaunerengeln

Der geniale Fälscher und Betrüger Joseph hat das langweilige Gefängnisleben im heißen Klima satt. Zusammen mit Safeknacker Jules (Peter Ustinov) und Mörder Albert (Aldo Ray) will er sich pünktlich zum Weihnachtsfest einen kleinen Ortswechsel gönnen. Die dazu nötigen Papiere und entsprechende Kleidung sollen im örtlichen Kolonialwarenladen beschafft werden.
Dabei machen sie die Bekanntschaft des herzensguten (und deshalb kurz vor dem Ruin stehenden) Krämers Felix Ducotel (Leo G. Carroll) und seiner bezaubernden Familie. Die Sträflinge bieten sich als Dachdecker an, um einen günstigen Zeitpunkt für ihren Raub abzuwarten. Oben vom Dach herab beobachten sie die Ducotels und erfahren – zunehmend gerührt – alles über deren missliche Finanzlage und den Liebeskummer der Tochter.
Als dann noch ein hartherziger Erbonkel (Basil Rathbone) auftaucht und das Weihnachtsglück der Familie endgültig gefährdet, beschließen die drei, den Ducotels ein ganz spezielles Weihnachtsgeschenk zu hinterlassen. Wie günstig, dass sie zufällig ihr Haustier bei sich haben, die hochgiftige kleine Viper Adolphe.

Tolles Zusammenspiel: Bogart, Ustinov und Ray.

„Wir sind keine Engel“ entstand 1955 als sechster Film der überaus fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Regisseur Michael Curtiz und Hauptdarsteller Humphrey Bogart. Schon mit ihrem ersten gemeinsamen Film „Casablanca“ schrieben sie 1942 bekanntlich Filmgeschichte.

In vieler Hinsicht kann man bei „Wir sind keine Engel“ von einer Gaunerkomödie sprechen. Es handelt sich sicher um einen der ersten Filme seiner Art. Keine unschuldig schuldigen Robin Hoods, sondern echte Verbrecher sind die Sympathieträger und Protagonisten. Der Film beschränkt sich auf Ironie und verzichtet auf eine direkte moralische Verurteilung ihrer Taten. Im Gegenteil, die drei sind dem Gesetz und den Gesetzestreuen immer einen Schritt voraus.

20 Jahre vor „Der Clou“ und 50 Jahre vor „Ocean’s Eleven“ begegnen wir hier bereits drei Gesetzesbrechern aus Leidenschaft, die ihr kriminelles Potenzial als Teil ihrer Persönlichkeit ansehen. Mit einer Mischung aus Stolz und Ironie blickt beispielsweise Joseph auf seine kriminelle Karriere zurück: „Ich hatte eine Luftfabrik. Wir haben Luft in Flaschen an Leute verkauft, denen der Arzt Luftveränderung verschrieben hat. Wir hatten drei Sorten: Seeluft, Gebirgsluft und gewöhnliche Luft zum Atmen … wir hatten sehr wenig Unkosten.“

Trotzdem empfinden die drei Gauner ein gewisses Bedauern über ihr im bürgerlichen Sinn verpasstes Leben, was sie durch die Fürsorge für die Ducotels kompensieren. Die Tochter vergleicht sie dankbar mit den drei ramponierten Weihnachtsengeln, die sie jedes Jahr auf den Christbaum setzt.

Das Zusammenspiel Bogart/Ustinov/Ray ist einfach göttlich. Allein die Szene, wo die drei unter sich eine fingierte Gerichtsverhandlung abhalten, die mit dem Todesurteil für den ungeliebten Erbonkel endet, macht den Film zu einem Meisterstück schwarzen Humors.

Leider rutscht der Film öfters ins Kitschige ab und auch bei der Charakterzeichnung der Nebenfiguren ging den Drehbuchautoren wohl irgendwann das Geld aus. Die Tochter beispielsweise ist ein Stereotyp von derart hölzener Dummheit, dass den Zuschauer hin und wieder das Bedürfnis überkommt, das treudoofe Stück mit ihrem geschmacklosen Strohhut zu erwürgen. Aber das sind nur Kleinigkeiten am Rande, die dem Alter des Films zugeschrieben werden können und das Gesamtbild kaum trüben.

„Wir sind keine Engel“ teilt das traurige Schicksal vieler Klassiker und wurde 1989 Opfer eines Remakes. Der laue Verschnitt mit Robert de Niro und Sean Penn konnte die Brillanz des Originals aber nur sehnsüchtig aus der Ferne bewundern.

Fazit: Immer wieder und wieder sehenswert. 10 von 10 Punkten.


Die Ducotels (Joan Bennett und Leo G. Carroll) haben Probleme.

Kein Todesurteil ohne anständigen „Prozess“.
Sarah Böhlau, 18. Dezember 2006. Bilder: Paramount.


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