Years and Years

Die im Vereinigten Königreich bereits 2019 veröffentlichte Miniserie Years and Years von Russel T Davies (Doctor Who, Torchwood) wirft einen Blick auf die mögliche Zukunft aus der Sicht einer britischen Familie, an der Schnittstelle zwischen plausibler Prognose, Dystopie und zu phantastischen Entwicklungen neigender Science-Fiction.

Years and Years
Miniserie/Science-Fiction-Drama UK 2019. 
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 6 Folgen. Gesamtlänge: ca. 345 Minuten.
Mit: Rory Kinnear, Anne Reid, Russell Tovey, Ruth Madeley, Jessica Hynes, T’Nia Miller, Emma Thompson, Max Baldry, Jade Alleyne, Lydia West u.v.a. Idee und Drehbuch: Russell T Davies. Regie: Simon Cellan Jones und Lisa Mulcahy.

 

 

Schöne neue Zukunft

Russel T Davies (geboren 1963) hat sich vor allem als Initiator und Chefautor der Neuauflage der langjährigen britischen Scifi-Kultserie Doctor Who (seit 2005), aber auch als Schöpfer der Drama-Serie Queer as Folk (1999/2000), über drei homosexuelle Männer in Manchester, einen Namen gemacht. Außerdem schuf der Waliser das Doctor Who-Spinoff Torchwood (2006-2011). 2010 gab er die Rolle des Showrunners von Doctor Who an Steven Moffat (Sherlock) ab und wandte sich diversen anderen TV-Projekten zu. In Years and Years begleiten wir die Familie Lyons aus Manchester über einen Zeitraum von 15 Jahren.

 Oma Muriel

Die Mutter der vier Lyons-Kinder Stephen (Rory Kinnear), Edith (Jessica Hynes), Daniel (Russell Tovey) und Rosie (Ruth Madeley) ist verstorben, der Vater hat die Familie lange verlassen und eine neue gegründet. Stephen arbeitet für eine renommierte Bank, seine Ehefrau Celeste (T’Nia Miller) ist Buchhalterin. Die beiden haben zwei Töchter, Bethany (Lydia West) und Ruby (Jade Alleyne). Daniel ist homosexuell, arbeitet im lokalen Wohnungsamt und lebt mit dem Grundschullehrer Ralph (Dino Fetscher) zusammen. Die alleinerziehende Mutter und Köchin Rosie leidet unter Spina bifida und ist daher auf einen Rohlstuhl angewiesen. Edith kämpft als Aktivistin an verschiedenen Fronten. Zusammengehalten wird die illustre Sippe von Großmutter Muriel (Anne Reid), deren Haus immer wieder als Treffpunkt dient. Und da wäre noch Vivienne Rook, eine Geschäftsfrau, die durch eine unflätige Äußerung im Fernsehen für Aufsehen sorgt und die Publicity schließlich ausnutzt, um eine erfolgreiche Karriere als Politikerin zu starten.

Die Handlung setzt 2019 ein. Rosie bringt gerade ihren zweiten Sohn Lincoln zur Welt und man fragt sich, in was für eine Welt der Kleine da hineingeboren ist. Ausgehend davon prognostiziert Davies mögliche Entwicklungen der folgenden eineinhalb Jahrzehnte in politischer, technologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht. Gedreht wurde die Miniserie von Oktober 2018 bis März 2019 in Manchester und Umgebung. Die Premiere erfolgte am 14. Mai 2019 im Vereinigten Königreich. Erst im März 2020 kam es zu einer deutschen „Erstausstrahlung“ beim Starzplay-Channel.

Anstatt wie andere Zukunftsvisionen die möglichen Szenarien aus einem abstrakten und allgemeinen Blickwinkel zu betrachten bleibt Years and Years konsequent bei den Lyons, erforscht dabei, wie sich die überwiegend negativen Entwicklungen auf das Leben der einzelnen Figuren auswirkt. So bekommt die als politische Aktivistin agierende Edith einen Atomschlag der zweiten Trump-Adminstration (ja, Trump wurde hier ein zweites Mal gewählt; eine Horrorvorstellung, die uns in der Realität gnädigerweise erspart blieb) gegen eine als Militärstützpunkt künstlich angelegte, chinesische Insel unmittelbar mit und hat in der Folge mit den persönlichen Konsequenzen zu kämpfen. Auch eine durch den Brexit verursachte Wirtschaftskrise geht nicht spurlos an manchen Mitgliedern der Lyons vorüber. In Person des Ukrainers Viktor (Maxim Baldry), der wegen seiner sexuellen Orientierung aus seiner Heimat, in welcher ein neofaschistoides Regime an die Macht kam, fliehen musste, wird auch die Flüchtlingsthematik als einer der Kernpunkte der Geschichte aufgegriffen.

Die von Dame Emma Thompson (u.a. Sinn und Sinnlichkeit, Wiedersehen in Howards End, Harry Potter-Filme) gespielte Vivienne Rook feiert unterdessen einen politischen Aufstieg bis zum Amt der Premierministerin. Konsequent ist die als Mischung aus Donald Trump und Marine Le Pen angelegte, schamlose Populistin fast ausschließlich auf Bildschirmen zu sehen. Sie spaltet nicht nur die Nation, sondern sorgt auch für unterschiedliche Reaktionen innerhalb der Familie Lyons. Nicht nur in ihren politischen Ansichten präsentiert sich die im Zentrum stehende Sippe als überaus heterogen. Und doch trotz ihr familiäre Zusammenhalt allen Widrigkeiten, von denen es im Lauf der sechs knapp einstündigen Episoden doch so einige gibt.

Gekonnt extrapoliert Years and Years die technologischen Entwicklungen bis in die Mitte der 2030er Jahre und driftet nur gegen Ende in etwas phantastischere Science-Fiction ab. Insgesamt fand ich die Miniserie über weite Strecken überaus bewegend und mitreißend. Dass funktioniert auch deswegen, weil man hier ein wirklich starkes Ensemble gefunden hat, seien es Anne Reid (The Mother, Hot Fuzz) als Oma und Konstante im Leben der Lyons-Geschwister, Rory Kinnear (Tanner aus den Bond-Filmen seit Ein Quantum Trost sowie Frankensteins Kreatur in Penny Dreadful) als Stephen, T’Nia Miller (Sex Education) als dessen Ehefrau Celeste, Russell Tovey (Being Human) in der Rolle von Daniel, Ruth Madeley (The Rook) als Rosie oder die bereits erwähnte Emma Thompson und andere.

Years and Years ist als Stream über den Starzplay Channel bei Amazon und über andere kostenpflichtige Streaminganbieter abrufbar. Am 8. Oktober 2020 erschien die komplette Miniserie auf DVD und BluRay.

Fazit: Bewegender, mitreißender Sechsteiler, der aktuelle Enwicklungen bzw. Themen konsequent weiterdenkt und die nahe Zukunft aus der Sicht einer Großfamilie skizziert. 9 von 10 Punkten.




Vivienne Rook ist nicht aufzuhalten

Viktor und Daniel

Bethany will digital werden

 


Marius Joa, 27. Februar 2021. Bilder: Studiocanal/BBC.

 

 


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Kommentare

Eine Antwort zu „Years and Years“

  1. Avatar von Herba

    Mich hat diese Miniserie auch schwer beschäftigt und teilweise fand ich das Anschauen auch ziemlich schwierig. Aber vielleicht lohnt sie sich gerade deswegen?!

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