Zeugin der Anklage

Eine reiche Dame, die ermordet wird. Ein Angeklagter, der seine Unschuld beteuert. Ein begnadeter Anwalt, der aus dem Ruhestand geholt wird. Eine Ehefrau, die mehr weiß, als sie zugibt. „Zeugin der Anklage“ von Billy Wilder noch nie gesehen? Bildungslücke!

Zeugin der Anklage (Witness for the Prosecution). GB/USA 1957. Nach einem Bühnenstück von Agatha Christie. Regie & Drehbuch: Billy Wilder. 111 Minuten. FSK: ab 12.
Mit: Charles Laughton, Tyrone Power, Marlene Dietrich, Elsa Lanchester.

Und der Mörder ist…

London, 1953: Sir Wilfrid Robarts (Charles Laughton), hochangesehenes Mitglied der Londoner Anwaltskammer, hat schlechte Laune. Ein leichter Herzinfarkt zwingt den brillanten Strafverteidiger und Lebemann, beruflich kürzer zu treten („Man hat mir eine Diät leichter Zivilprozesse verordnet“). Und als wäre das nicht schon schlimm genug, hat er jetzt noch eine aufdringliche Pflegerin am Hals, die ihn wie ein Kleinkind behandelt und seine ganze Lebensführung kontrolliert.
Als Sir Wilfrid in einem kniffligen Mordprozess um Rat gefragt wird, kommt ihm das gerade recht. Leonard Vole (Tyrone Power) steht unter Verdacht, seine reiche Gönnerin ermordet zu haben. Sein Alibi ist mehr als schwach, allein gestützt durch die Aussage seiner Frau Christine (Marlene Dietrich). Durch deren eiskaltes Auftreten verunsichert, beschließt Sir Wilfrid widerstrebend, den Prozess ohne ihre Hilfe zu bestreiten. Aber dann taucht Christine Voles Name doch noch auf der Zeugenliste auf – auf Seiten der Anklage …

Perfekte Rolle für Charles Laughton.

Billy Wilders Schwarz-Weiß-Film „Zeugin der Anklage“ ist der Klassiker schlechthin unter den Gerichtsdramen. Der mehrfach preisgekrönte Drehbuchautor („Das Appartment“, „Manche mögen’s heiß“) nahm für diesen Film selbst im Regiestuhl Platz. Mit seiner Umsetzung des gleichnamigen Stückes von Krimi-Queen Agatha Christie staubte er 1957 sechs Oscar-Nominierungen ab.

Wie es sich für einen guten Agatha Christie gehört, wartet auch „Zeugin der Anklage“ mit überraschenden Wendungen und einer erstaunlichen Endauflösung auf. Der Filmliebhaber des 21. Jahrhunderts sieht durch unzählige Filme, die diesem Muster später gefolgt sind, leider die eine oder andere überraschend gemeinte Wendung voraus. Trotzdem wird der Spannungsbogen bis zum Schluss sehr schön gehalten. Die spannende Handlung wird zudem durch ein exzellentes Drehbuch ergänzt.

Schauspiellegende Charles Laughton („Spartacus“) allein würde ausreichen, um den Film sehenswert zu machen. Selbst Marlene Dietrich, die die Rolle der abgebrühten Christine Vole perfekt ausfüllt, wird von Laughton an die Wand gespielt. Der Film räumt der Figur Sir Wilfrid viel Platz ein. Ein übergewichtiger Grießgram, arrogant und triefend vor Sarkasmus, aber auch ein König Salomo, wortgewandt, humorvoll und niemals wirklich unsympathisch.

Der Plot um den Mordprozess wird durch Sir Wilfrids Kampf gegen seine (zuletzt gar nicht so) schreckliche Krankenschwester Miss Plimsill um ein komödiantisches Element erweitert: „Ist Ihnen klar, Miss Plimsill, dass Sie ständig in Lebensgefahr sind? Schon auf dem Krankenbett hatte ich die Absicht, Sie mit der Wärmflasche zu erschlagen! Ich hätte das Verbrechen sofort zugegeben und den besten Verteidiger genommen: Mich selbst.“

Die Vertuschungen, die im Laufe des Prozesses aufgedeckt werden, spiegeln sich in den raffinierten Tricks wider, mit denen Sir Wilfrid die Pflegerin täuscht, um an einen Schluck Cognac oder eine seiner geliebten Zigarren zu kommen.

Interessant auch der Umgang des Films mit der direkten Vergangenheit. Die Handlung spielt in der Nachkriegszeit, eine Rückblende zeigt das zerbombte Deutschland, aus dem Leonard Vole einst seine Ehefrau rettete. Dort benehmen sich die Soldaten der Besatzermächte ziemlich daneben.

Aufgrund seines schon fortgeschrittenen Alters verzeiht man dem Film Mängel bei der Bildqualität und das nicht existente DVD-Zusatzmaterial. Wer aber mit älteren Filmen generell nichts anfangen kann, den wird „Zeugin der Anklage“ wahrscheinlich auch nicht bekehren können. Für alle anderen gilt: Wer den Film noch nicht gesehen hat, dringend nachholen!

Fazit: Spannend und witzig, toll geschrieben und besetzt. 9 von 10 Punkten.


Leonard Vole erlebt vor Gericht eine böse Überraschung.

Sir Wilfrid is not amused.
Sarah Böhlau, 11. Januar 2007. Bilder: MGM.


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