Archiv IV-2003

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Filme im 4. Quartal 2003:

Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen, Kill Bill – Volume 1, Das Medaillon, Das Wunder von Bern, Interstella 5555,
Dogville, L´Auberge Espagnole


DIE LIGA DER AUSSERGEWÖHNLICHEN GENTLEMEN
(THE LEAGUE OF EXTRAORDINARY GENTLEMEN)

Comicverfilmung USA/Großbritannien/Tschechien/Deutschland 2003.
Regie: Stephen Norrington. Musik: Trevor Jones. 110 Minuten. FSK ab 12.
Darsteller:
Allan Quartermain – Sean Connery
Tom Sawyer – Shane West
Mina Harker – Peta Wilson
Captain Nemo – Naseruddin Shah
Dorian Gray – Stuart Townsend
Rodney Skinner – Tony Curran
Dr. Henry Jekyll/
Mr. Edward Hyde – Jason Flemyng
M – Richard Roxburgh u.v.a.

Anno 1899: Die Welt steht vor einem Weltkrieg, da die einzelnen Nationen untereinander um die Wette rüsten. Diese Situation macht sich der größenwahnsinnige Bösewicht „Phantom“ zunutze, um seine hochmodernen Waffen wie Maschinenpistolen und Panzer zu verkaufen. Die Regierung ihrer Majestät beauftragt Abenteurer Allan Quatermain (aus dem Buch von H. Rider Haggard), eine Liga von außergewöhnlichen Gentlemen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten anzuführen. Und – oh Wunder – dieser Liga gehören noch andere berühmte literarische Figuren an: die Vampirin Mina Harker (aus Bram Stokers „Dracula“), Captain Nemo (aus Jules Vernes „20 000 Meilen unter dem Meer“), der unsterbliche Dorian Gray (aus Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“), der unsichtbare Rodney Skinner (aus H. G. Wells’ „Der Unsichtbare“), der Wissenschaftler Dr. Jekyll und sein Alter Ego Mr. Hyde (aus R. L. Stevensons „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“) sowie der Agent Tom Sawyer (aus Mark Twains „Die Abenteuer von Tom Sawyer“). Gemeinsam muss der bunt zusammen gewürfelte Haufen verhindern, dass das Phantom eine wichtige internationale Konferenz in Venedig in die Luft jagt. In Nemos gigantischem U-Boot Nautilus machen sich die Sieben auf den Weg...
Ein Team aus weltbekannten Romanfiguren? Die Idee ist interessant, doch haben sie sich die Filmemacher um „Blade“-Regisseur Stephen Norrington nicht selbst ausgedacht. „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ basiert auf Comics von Alan Moore und Kevin O’Neill. Um dem amerikanischen Kinopublikum eine Identifikationsfigur zu bieten, wurde Tom Sawyer eingebaut. Gebracht hat es aber im Prinzip nichts, denn der Film war in den USA nicht besonders erfolgreich. Etwas verwunderlich, denn es gab schon weit schlechtere Comicverfilmungen, die wesentlich mehr einspielten. Natürlich gibt es auch hier wieder neben historischen Fehlern über die technischen Errungenschaften des Jahres 1899, die klassischen Logikfehler. Wie kann die gewaltige Nautilus sowohl in den Londoner Hafen als auch in die Kanäle von Venedig passen? Wie kann Vampirin Mina Harker die Sonne aushalten? Außerdem schlägt die Story einige Kapriolen und der Bösewicht ist wie gewohnt überzeichnet. Die Charaktere haben nicht mehr viel mit ihren literarischen Vorbildern gemein, z.B. führen Dr. Jekyll und Mr. Hyde eine Zwei-Seelen-in-einer-Brust-Beziehung, die schon fast harmonisch wirkt. Der verwandelte Mr. Hyde sieht aus wie eine lachhafte Mischung aus Hulk und Höhlentroll. Es gibt also mehrere Gründe, sich dieses Potpourri der Weltliteratur nicht anzusehen. Wer’s trotzdem tut und keinen großen Tiefgang erwartet, der wird durch die rasant geschnittenen Kampfszenen, die gewaltige Portion Action, gute Spezialeffekte und die teils zündenden Dialoge mit Anspielungen auf die einzelnen Romane ganz passabel unterhalten. Sean Connery und Stuart Townsend bewegen sich sogar knapp über dem Schauspielerniveau solcher Streifen.
Fazit: Rasantes Popcornkino mit viel Action, das zu unterhalten vermag.

Marius Joa, 06.10.2003

 

"Das Phantom" bedroht die Welt
Gut gemachtes Actionkino weiß durchaus zu unterhalten

In einer Zeit, in der ein Gentleman an sich schon außergewöhnlich ist, sind außergewöhnliche Gentlemen eine noch größere Rarität. „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ bilden sieben literarische Helden, die jeder für sich in der Welt der Bücher Berühmtheit erlangten und nun gemeinsam vor ihrer größten Aufgabe stehen: der Rettung der Welt.
1899, an der Wende zum 20. Jahrhundert, wirft die Ära der Maschinen bereits große Schatten voraus. In guten Händen fasziniert die technische Revolution, in bösen aber terrorisiert sie. Eine finstere, monströs maskierte Gestalt, genannt „Das Phantom“, schürt durch gezielte, perfekt realisierte Überfälle und Sabotageaktionen den Hass unter den Nationen.
Und hier tritt die „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ auf den Plan. Sean Connery führt als Allan Quatermain das vom britischen Geheimdienst zusammengestellte Team an. Dazu gehören einige nicht weniger bekannte Figuren aus der Literatur: Kapitän Nemo, Mina Harker, Rodney Skinner, Dorian Gray, Tom Sawyer und Dr. Henry Jekyll/Mr. Edward Hyde.
Für den Zuschauer bietet sich ein Actionspektakel erster Klasse. Explosionen, tolle Schnitte und gut gemachte Spezialeffekte. Daher ist „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ auch nicht mehr als ein Popcornfilm zur Unterhaltung, aber dafür ein guter. Als besonders gelungen ist die letzte halbe Stunde des Films zu betrachten. Das Finale in einem vom Schnee bedeckten Schloss, die riesigen Maschinen zur Produktion von Kriegsgeräten – die übrigens sehr an „Herr der Ringe“ erinnern – und Mina Harker als eine verschmähte Frau, was kann er Kinobesucher mehr erwarten.
Aber bei vielen positiven Aspekten sollten auch die negativen nicht vergessen werden. Für die Schauspieler bietet der Film wenig Entwicklungs- und Entfaltungspotenzial. Sie spielen routiniert ihre Rolle, mehr aber auch nicht. Sean Connery zeigte sich nach Drehschluss nicht gerade begeistert vom Erreichten. Er hätte sich nach eigener Aussage gerne mehr eingebracht, was teilweise zu offenen Streitigkeiten mit Regisseur Stephen Norrington geführt haben soll.
Auch wenn es sich bei der „Liga“ um eine Comicverfilmung handelt, fehlen etwas gelungenere Anspielungen auf die dahinter stehenden literarischen Figuren. Und wer den bekannten Film „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ kennt, wird von der Umsetzung dieser „beiden Personen in einer“ enttäuscht sein.
Fazit: Ein gelungener unterhaltender Actionfilm, der einen Kinobesuch auf jeden Fall lohnt. Zu hoch sollten die Erwartungen aber nicht gesteckt werden.

Johannes Michel, 13.10.2003


K I L L  B I L L – VOLUME 1

Actionthriller USA/Japan 2003. Regie: Quentin Tarantino. Musik: RZA.
111 Minuten. FSK ab 18.
Mit: Uma Thurman, David Carradine, Lucy Liu, Daryl Hannah, Vivica A. Fox, Michael Madsen, Julie Dreyfus, Sonny Chiba, Chiaki Kuriyama u.v.a.

Nachdem sie über vier Jahre im Koma lag und nur knapp dem Tode entrinnen konnte, will die ehemalige Berufskillerin (Uma Thurman), die während des ganzen Films nur „Die Braut“ genannt wird, nur eines: Rache an ihren ehemaligen Weggefährten, dem Killerkommando „Deadly Viper Assassination Squad“ (DiVAS), bestehend aus der Japanerin O-Ren Ishii (Lucy Liu), der einäugigen Elle Driver (Daryl Hannah), der farbigen Vernita Green (Viveca A. Fox), dem Cowboy Budd (Michael Madsen) sowie deren Oberboss Bill (David Carradine), dessen Geliebter die Braut einst war. Sie alle haben die Hochzeit der Braut in ein schauriges Massaker verwandelt, die Braut fast zu Tode geprügelt und ihr die ungeborene Tochter genommen. Doch selbst den Kopfschuss von Bill hat die Braut überlebt. Nachdem sie sich bei dem großen Schwertschmied Hattori Hanzo (Sonny Chiba) in Japan ein Samuraischwert hat anfertigen lassen, beginnt die Braut ihren blutigen Rachefeldzug. Nacheinander sollen die DiVAS-Mitglieder dran glauben. Bill steht am Ende der Todesliste...
Quentin Tarantinos vierte Regie-Arbeit ist wie ein Buch aufgebaut, siehe auch die Bezeichnung „Volume 1“ („Band 1“) im Titel, und wird in Kapiteln, jedoch nicht linear, erzählt. Ursprünglich sollte „Kill Bill“ nur ein Film werden, aber aufgrund der Überlänge entschloss man sich, ihn in zwei Teilen zu veröffentlichen. „Volume 2“ folgt dann im Februar 2004. Der Film ist eine Hommage an mehrere Genres: Italo-Western, japanische Samurai-Filme und Animes sowie chinesische Martial-Arts-Streifen. Manche Szenen sind in Schwarz-Weiß bzw. in völliger Dunkelheit gefilmt, so dass man nur die Schatten sieht. Die Vorgeschichte von O-Ren Ishii wird in einer Anime-Sequenz erzählt. Trotz der vielen Anleihen ergibt die Tarantino-Mischung ein visuell beeindruckendes Kinoerlebnis der etwas anderen Art. Etwa 1700 Liter (!) Filmblut werden während der 111 Minuten in der Gegend verspritzt und unzählige Körperteile während der Gewalt- bzw. Kampfszenen abgetrennt. Die FSK-18-Freigabe ist deshalb auch vollkommen berechtigt, auch wenn die Kampfszenen überstilisiert blutig sind. Charakteristisch für Tarantino ist außerdem die Filmmusik, bei denen sich der Starregisseur aus den oben genannten Genres bediente, was dem Film eine nostalgische Note verleiht. Eine Prise Galgenhumor würzt das ganze Gemetzel noch ein wenig.
Fazit: Blutiger Bilderrausch und bildgewaltiger Genre-Mix. In wieweit das Ganze sehenswert ist, muss der Kinozuschauer selbst entscheiden. Gespanntes Warten auf Teil 2 ist durchaus angebracht.

Marius Joa, 19.10.2003


Das Medaillon: Actionkino mit Humor

Action/Komödie, Hongkong/USA 2003. FSK: ab 12 Jahren, 88 Min.
Mit: Jackie Chan, Lee Evans, Claire Forlani, Julian Sands, John Rhys-Davies u.a.;
Regie: Gordon Chan

Hongkong-Cop Eddie Yang (Jackie Chan) und sein Interpol-Partner Watson (Lee Evans) jagen den international gesuchten Schmugglerkönig Snakehead (Julian Sands). Der seinerseits hat es auf die zwei Hälften eines magischen Amuletts abgesehen: Einmal wieder zusammengefügt, solle es seinem Träger übernatürliche Kräfte und Unsterblichkeit verleihen. Bei dem Versuch, Snakehead zu stoppen, stirbt Yang. Doch ein jugendlicher Tempeldiener erweckt ihn mit Hilfe des Talismans zu neuem, magisch verstärkten Leben...
Der neue Jackie Chan-Film, der diesen übrigens selbst produziert, reicht nicht an die großen Erfolge der langen Karriere des Multitalents heran. Wie schon oft auf diesen Seiten geschrieben, handelt es sich auch hierbei wieder um einen Film, den man nicht unbedingt gesehen haben muss. Wer aber gerne ins Kino geht, eine Tüte Popcorn gepaart mit einer großen Cola vor sich platziert und einfach abschalten will, ist mit “Das Medaillon“ sicher gut bedient.
Lee Evans als verplanter Interpol-Cop weiß zwar schon nach wenigen Minuten dem Zuschauer auf den Keks zu gehen, dennoch sind seine Comedyeinlagen durchaus sehenswert und sorgen für zahllose Lacher, was für einen Actionfilm doch eher selten zutrifft. Claire Forlani überzeugt als dessen Partnerin und “Geliebte” von Hongkong-Cop Chan.
Bei dem Gedanken, dass Jackie Chan bereits deutlich auf die 50 Lebensjahre zugeht, wirkt dieser Film beeindruckend. Besonders ein im Fernsehen auf VOX gezeigtes Making-Of fürhte den Zuschauer in die harte Arbeit ein, die hinter einem derartigen Actionstreifen steckt. Chan ist und bleibt der Alte.
Fazit: Für Chan-Fans ein Muss, ansonsten gutes Unterhaltungskino ohne tieferen Sinn für nette Kinoabende.

Johannes Michel, 26.10.2003


DAS WUNDER VON BERN

Drama Deutschland 2003. Regie: Sönke Wortmann. 118 Minuten. FSK ab 6.
Darsteller: Louis Klamroth, Peter Lohmeyer, Lucas Gregorowicz, Katharina Wackernagel, Johanna Gastdorf, Mirko Lang, Birthe Wolter, Peter Franke, Sascha Göpel, Knut Hartwig u.a.

Der 11jährige Mattes (Louis Klamroth) träumt davon, seinem großen Idol, dem Nationalstürmer Helmut Rahn (Sascha Göpel), bei der WM als Glücksbringer zum Sieg verhelfen zu können. Sein Vater kommt nach elf Jahren aus der Kriegsgefangenschaft in Russland zurück und findet sich in einer für ihn neuen Welt nicht zurecht. Für die Familie eine echte Zerreißprobe. Während sich die deutsche Mannschaft durch das WM-Turnier in der Schweiz kämpft, versucht Sportjournalist Ackermann, seiner Frau Fußball näher zu bringen.
49 Jahre nach dem ersten WM-Triumph der deutschen Fußball-Nationalmannschaft läuft nun die Verfilmung im Kino. Doch „Das Wunder von Bern“ ist kein reiner Sportfilm, in dem die Spieler vollkommen im Mittelpunkt stehen. Sönke Wortmann, früher selbst Amateur-Fußballer, hat hingegen ein Nachkriegsdrama mit Happy End erschaffen. Das Kriegstrauma wird vor allem durch Peter Lohmeyer in seiner Rolle als verstörter Rückkehrer, der seiner Familie fremd geworden ist, verdeutlicht. Doch neben dieser Ernsthaftigkeit hat der Film auch seine lustigen Seiten, vor allem durch die humorvollen Dialoge sowie den Dialekt von Fritz Walter (Knut Hartwig). Auch der Fußballfan von heute wird diesen Film schätzen, denn er bietet einen augenzwinkernden Blick auf die Fußballwelt von damals. Beim Finale Deutschland gegen Ungarn kommt Gänsehaut-Atmosphäre wie bei einem echten Spiel auf, vor allem durch den guten, dem Original sehr nachempfundenen, Kommentar. Die Darsteller überzeugen alle.
Fazit: Sönke Wortmann ist ein wunderbarer Film über das Fußball-Wunder von Bern gelungen, das zum Nachkriegswunder für ganz Deutschland wurde und den Deutschen aus der Depression half. Einer der besten deutschen Filme der letzten Jahre.

Marius Joa, 26.10.03


I N T E R S T E L L A  5555
(Daft Punk & Leiji Matsumoto’s
INTERSTELLA 5555: THE 5TORY OF THE 5ECRET 5TAR 5YSTEM)

Animations-Musikfilm Japan 2003.
Regie: Kazuhisa Takenouchi. Musik: Daft Punk. 67 Minuten. FSK ab 6.

Ein böser, profitgieriger Plattenboss entführt eine Band, die von einem fremden Planeten in einem anderen Sonnensystem stammt, auf die Erde. Dort werden die vier in menschliche Gestalt transformiert und ihr Gedächtnis verändert. Über Nacht werden sie zu großen Stars der Musikszene. Doch ein einsamer Pilot von ihrem Planeten will die Band aus den Fängen des terrestrischen Kommerzes befreien.
2001 veröffentlichten die beiden französischen Elektronikmusiker von Daft Punk ihr Album „Discovery“. Die Musikvideos zu den vier Single-Auskopplungen „One More Time“, „Aerodynamic“, „Digital Love“ und „Harder, Better, Faster, Stronger“ waren kurze Animes von Zeichner Leiji Matsumoto („Captain Future“), die oben genannte Geschichte erzählen. Zwei Jahre später ist nun ein kompletter Animationsfilm entstanden, der die gesamte Laufzeit von „Discovery“ umfasst und die Geschichte aus den Videos zu Ende erzählt. „Interstella 5555“ ist komplett ohne Dialoge. Stattdessen läuft die Musik von Daft Punk aus den Lautsprechern. Bilder und Musik verschmelzen zu einem neuartigen Kinoerlebnis, einem intergalaktisch Trip. Der poppig-bunte Zeichenstil im 70er-Jahre-Retro-Look erinnert sehr an „Captain Future“, vor allem das Aussehen der Figuren.
Im Prinzip ist der Film eine Satire, nämlich ein Abgesang auf die heutigen seelenlosen Retorten-Popstars hinter denen der aalglatte, profitgeile Plattenboss (Dieter Bohlen & Co lassen grüßen!) steht, der die Zuhörerschaft mit belanglosem Mainstream-Teenie-Pop zudröhnt.
Fazit: Berauschendes Anime-Musical mit Seitenhieb auf die heutige Mainstream-Musik. Wer mit Animes und elektronischer Musik nichts anfangen kann, dem wird der Film weniger gefallen. Für die neugewonnen Daft-Punk-Fans gibt’s die CD „Discovery“ im Handel.

Marius Joa, 26.10.2003, palm_x@vieraugen.com


Dogville: Radikal und einfach

Drama, Dänemark/Schweden/Großbri. 2003, FSK: Freigegeben ab 12 Jahren, 178 Min.
Mit: Nicole Kidman, Harriet Andersson, Lauren Bacall, Jean-Marc Barr, Paul Bettany, Blair Brown u.a.; Regie: Lars von Trier

Auf der Flucht vor einer dunklen Vergangenheit landet Grace (Nicole Kidman) Anfang der 30er Jahre in „Dogville“ einem scheinbar idyllischen, abgelegenen Bergdorf in den Rocky Mountains. Unter den Bewohnern macht sich die schöne, junge Frau nach anfänglichem Misstrauen mit ihrer freundlichen, grenzenlos gütigen Art zunächst einige Freunde, was sich jedoch ändert, als man ihre Notlage erkennt und auszunutzen beginnt. Weil von Gangstern und der Polizei gesucht, muss Grace Schikanen und Übergriffe ertragen, sich ausnutzen und versklaven lassen.
Die Story von „Dogville“ erinnert stark an den „Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt: Ein Dorf schikaniert und verfolgt eine Person zutiefst. Aneinandergereiht werden in insgesamt drei Stunden Film aber auch einige kafkaeske Elemente.
So hat Regisseur Lars von Trier mit einfachsten und zugleich radikalsten Mitteln auf fünfzig Quadratmeter Studiobühne vor aufgemalten Stadt- und Landkulissen ein knallhartes Schuld- und Sühnedrama inszeniert. Gerade diese Minimalkulisse, aber auch die Kombination aus Gewalt, Sex und Unterdrückung machen den absoluten Reiz des Filmes aus. Daneben besticht er durch grandiose Dialoge und eine schauspielerisch erstklassige Hauptdarstellerin Nicole Kidman.
Allerdings sorgte gerade diese nach Drehschluss für Aufsehen. Sie sah sich die schlimmsten Szenen zur Kontrolle gar nicht mehr an, wie es sonst üblich ist. Zuletzt hatte es am Rande der Filmfestspiele von Cannes große Aufregung um „Dogville“ gegeben, weil der Film angeblich antiamerikanisch sei.
Im nächsten Jahr, wenn er auf DVD erscheint, sollte „Dogville“ unbedingt Bestandteil jeder DVD-Sammlung werden. Prädikat: Einmal etwas anderes, vielleicht gerade deshalb top.

Johannes Michel, 29.11.2003

Dogville
Am Ende wird niemand verschont

Drama Dänemark/ Schweden/ Frankreich/ Norwegen/ Niederlande/ Finnland/Deutschland/ Italien/ Japan/ USA/ Groß-Britannien 2003.
Drehbuch und Regie: Lars von Trier. 178 Minuten. FSK ab 12.
Mit Nicole Kidman, Harriet Andersson, Lauren Bacall, Jean-Marc Barr, Paul Bettany Blair Brown, James Caan, Patricia Clarkson, Jeremy Davies, Ben Gazzara, Philip Baker Hall, Siobhan Fallon Hogan, Zeljko Ivanek, Udo Kier, Cleo King, Bill Raymond, Chloë Sevigny, Shauna Shim, Stellan Skarsgård u.v.a.

Auf der Flucht vor einem Gangsterboss (James Caan) landet die schöne Grace (Nicole Kidman) in Dogville, einem abgelegenen 23-Seelen-Ort  in den Rocky Mountains. Tom Edison (Paul Bettany) ist der intellektuelle Führer der Gemeinde. In seinen hochgeistig-philosophischen Anwandlungen sinniert der Möchtegern-Schriftsteller über das Leben und seine Mitbewohner: seinen Vater, einen hypochondrischen Arzt (Philip Baker Hall), Ma Ginger (Lauren Bacall), die mit ihrer Schwester (Harriet Andersson) den einzigsten Laden führt, die Organistin Martha (Siobhan Fallon Hogan), die regelmäßig die Glocken des Missionshauses läutet, der langsame LKW-Fahrer Ben (Zeljko Ivanek), dessen Fahrzeug die einzige Verbindung zur Außenwelt darstellt, der blinde Jack McKay, der glaubt, seine Behinderung geheim halten zu können, der Glasputzer Henson (Bill Raymond), seine asthmakranke Frau (Blair Brown), sein einfältiger Sohn Bill (Jeremy Davies) und seine hübsche Tochter (Chloë Sevigny), auf die Tom ein Auge geworfen zu haben scheint, die schwarze Putzfrau Olivia (Cleo King) und ihre behinderte Tochter June (Shauna Shim), den mürrischen Bauern Chuck (Stellan Skarsgård) und seine ihm ziemlich gegensätzliche Frau, die trotz der großen Armut auf die humanistische Bildung ihrer sieben Kinder sehr großen Wert legt. Um in Dogville Zuflucht zu finden, bietet Grace an, für die Bewohner zu arbeiten. Durch ihre gutmütige und sehr hilfsbereite Art gewinnt sie deren Sympathie. Als jedoch von der Polizei ein Steckbrief angeschlagen wird, laut welchem Grace eine gesuchte Bankräuberin sei, verlangen die Bewohner Dogvilles mehr von ihr. Nun wird Grace schonungslos schikaniert, ausgenutzt und missbraucht. Selbst Tom, mit dem sie eine zarte Liebe verbindet, kann ihr nicht mehr helfen. Am Ende wird niemand verschont.

Von Triers Film ist wie eine gefilmte Theaterprobe. Auf einer großen Bühne spielt sich die ganze Handlung ab. Die Wände der Häuser sind nur mit Kreide angedeutet und auch der Requisiteneinsatz wurde extrem spärlich gehalten. Eine Ähnlichkeit mit Bertolt Brechts epischem Theater, wie z.B. dem Stück Der gute Mensch von Sezuan ist bemerkbar. Und vor allem trägt Dogville die Handschrift seines Regisseurs. Wie in von Triers Musicaldrama Dancer In The Dark holt auch hier die weibliche Hauptfigur die grausame, harte Realität ein. Ihr Schweigen bringt Grace nur noch mehr in Schwierigkeiten. Am Ende ist sie nur noch ein niederes Objekt, einer Sklavin gleich.

Die Hauptbotschaften des Films könnte man wie folgt formulieren: Wen Menschen erkennen, dass es irgendwo etwas zu holen gibt, dann werden sie sich es auch holen, egal mit welchen Mitteln. Außerdem entgeht keiner seiner gerechten Strafe. Am Anfang sind der ungewohnte Schauplatz und die Machart des Film doch ein wenig merkwürdig, doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran und fokussiert sich auf die Charaktere. Dogville besticht vor allem durch eine ausgezeichnete Ensemble-Leistung. Neben Altstars wie Lauren Bacall, James Caan und Ben Gazzara sowie Oscar-Preisträgerin Nicole Kidman ragt vor allem Paul Bettany als Tom heraus, der sich am Ende zwischen seiner Liebe zu Grace und seinen beruflichen Ambitionen entscheiden muss. Der Film wirkt nicht nur wie ein Theaterstück, sondern auch wie ein Roman, denn die Dialogszenen werden immer durch den Erzähler (im Original John Hurt) kommentiert, der vor allem einen Einblick in die Gedankenwelt von Tom und Grace gibt. Außerdem ist der Film in neun Kapitel eingeteilt. Dogville ist also eine filmische Mischung aus Roman und klassisches Drama. Gerade der minimalistische Aspekt macht Dogville sehenswert und verleiht einen zugleich authentischen und surrealen Touch. Von Trier maßt sich im Gegensatz zu anderen Regisseuren keine Schönfärberei an, die Geschichte ist schön und verstörend zugleich.

Fazit: Verstörend-absurdes Meisterwerk von Ausnahme-Regisseur Lars von Trier mit einer ausgezeichneten Ensemble-Leistung. Warum dieser Film, der als großer Favorit in Cannes gehandelt wurde, vollkommen leer ausging, bleibt fraglich.

Marius Joa, 25.01.2004, mariusjoa@vieraugen.com


„Ich bin wie Europa ... ich bin das totale Chaos!“

Komödie, Frankreich 2002, FSK: Freigegeben ab 6 Jahren, 121 Min.
Mit: Romain Duris, Judith Godrèche, Audrey Tautou, Cécile De France, Kelly Reilly, Xavier de Guillebon, Kevin Bishop, Federico D'Anna, Christian Pagh,Cristina Brondo, Barnaby Metschurat. Regie: Cédric Klapisch

Wenn ein Film einen Anspruch darauf erheben dürfte das er die Eurovisisonshymne verwenden darf, dann ist es sicherlich „L´Auberge Espagnole – Barcelona für ein Jahr. Gäbe es das Genre „europäischer Film“ noch nicht, so hätte es Regisseur Cédric Klapisch spätestens mit diesem Film heraufbeschworen.
Trotz allerlei Bedenken seiner Freundin Martine (Audrey "Amelie" Tautou) beschließt der französische Student Xavier (Romain Duris) ein Auslandssemester in Barcelona einzulegen. Nachdem es in einer komplett aus Exilparisern rekrutierten WG zu Reibereien kam, findet Xavier Unterschlupf in einer multinational bunt gemischten Wohngemeinschaft mit der Engländerin Wendy, der Spanierin Soledad, der Belgierin Isabelle, dem Däne Lars, dem Italiener Alessandro und dem Deutschen Tobias (Barnaby Metschurat aus "Anatomie 2").
Vom Leben als Erasmus-Student und spanischen Universitätsgebäuden erfährt der Kinogänger in dieser französischen Komödie wenig bis überhaupt nichts. Der Schwerpunkt liegt auf dem Privatleben der Studenten. Gepflegt wird in sehr hohem Maße das Klischee der faulenzenden, auf Partys gehenden und kiffenden Studenten. Nur zwei der sieben WG-Bewohner verbringen einige Minuten des Films mit wirklichem „Studium“ ihrer Bücher.
Das Leben außerhalb der Universität stellt Xavier auf harte Proben. Seine Freundin Martine macht per Telefon mit ihm Schluss, er verliebt sich in die Frau eines verheiratet Neurologen und beginnt mit ihr eine heiße Affäre, fühlt sich aber andererseits auch zu Isabelle hingezogen, die allerdings dem männlichen Geschlecht nicht gerade zugeneigt ist.
In 122 Minuten Film verpackt durchlebt der Zuschauer ein Jahr in Xaviers Leben. Schauspielerisch weis der junge Franzose Romain Duris zu überzeugen. Die weiteren Darsteller sind deutlich in den Hintergrund gedrängt, zeigen aber auch eine gute Leistung.
Das reizvolle dieses Filmes liegt sicher darin, die verschiedenen Kulturen in dieser Situation aufeinander prallen zu lassen. Alle sind sich hier gleich fremd und kommen sich auch so vor. Sprachliche Barrieren und Einbindungsprobleme bestimmen den Alltag. Jeder musste dies durchmachen und Xavier ist nun der Nächste. Humorvoll und locker leicht zeigt Klapisch die Stärken und Schwächen der WG-Bewohner auf, wobei man es ihm sogar verzeihen kann, das er auf jeglichen National-Klischees herumreitet und sie gleichzeitig verurteilt. Das beste Beispiel bietet hier der „ordentliche und organisierte Deutsche“. Das nervt manch mal, trifft aber auch oft auf einen wahren Kern.
Fazit: Ein Film für Studenten, die schon immer einmal erfahren wollten, wie es bei Auslandssemestern außerhalb der Uni so abgeht. Ein schöner und auch ansprechender Film für einen netten Kinoabend, der immer wieder für einige Lacher gut ist.

Johannes Michel, 29.11.2003

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