|
INKUBATION
Psychothriller Deutschland 2003. Regie: Oliver Kienle. 108 Minuten.
Darsteller: Oliver Kienle, Özgür Akdemir, Romy Höckelmann, Bettina Weidt u.a.
Die Geschichte besteht aus drei Teilen: Teil 1 – Schokolade Dani, ein junger Kleinkrimineller der mit seinen beiden
Kumpels mit Drogen versetzte Schokolade an den Mann bringt, erfährt, dass er einen Zwillingsbruder hatte, der nach jahrelangem Aufenthalt in der Psychatrie nun gestorben sei. Sein Bruder hinterlässt Dani eine
mysteriöse Halskette. Dani beginnt sich zu verändern und wird aus unerklärlichen Gründen aggressiv und gewalttätig... Teil 2 – Musik Romy, ein junges Mädchen ist für ein paar Tage allein. Als ihre
spanische Brieffreundin sie nach einem Besuch
wieder gen Heimat verlässt, findet Romy vor ihrer Wohnungstür einen Zettel mit einer Nachricht und einer mysteriösen Kette. Nach mehrmaligem Streit und Versöhnung mit ihrem Freund bekommt Romy plötzlich Angstzustände...
Teil 3 – Sex Die Studentin Bianca, die so eben ihren langjährigen Freund aus der Wohnung geworfen hat, trifft auf einem Lese-Abend den undurchsichtigen Fabian, der sich selbst als Landstreicher
bezeichnet und erzählt, dass auch er von seiner Freundin herausgeworfen wurde. Er bittet Bianca um Unterschlupf für die Nacht und sie willigt ein. Beim gemeinsamen Abendessen erzählt er ihr von einem Buch, an dem er
gerade schreibt. Bianca verliebt sich in ihn...
Oliver Kienle, 21jähriger Nachwuchsregisseur aus dem Raum Kitzingen, liefert mit „Inkubation“ seinen Debütfilm in Spielfilmlänge ab, den er mit geringen
finanziellen Mitteln und Aufwand, Handkamera sowie der Mitarbeit von Freunden und Bekannten realisiert hat. Vorher drehte der Student bereits einige Kurzfilme. Ich hatte die Möglichkeit, den Film in einer exklusiven
Premiere am 20. Juli im Roxy-Kino in Kitzingen zu sehen. „Inkubation“ stützt sich als mit einfachen Mitteln gedrehter Film zum sehr großen Teil auf die Fähigkeiten und Ideen des Regisseurs, der außerdem für
Drehbuch, Ton, Schnitt und gemeinsam mit seinem Bruder Johannes für die Musik verantwortlich war. Obwohl die meisten der Charaktere im Film zu Beginn eher flach wirken, bekommen sie durch die überzeugenden
Nachwuchsschauspieler Leben eingehaucht. Telefonate sind ein wichtiger Bestandteil der Handlung, wobei der Gesprächspartner fast nie zu sehen ist und die Gespräche dadurch wie Monologe wirken, was die Charaktere an
Tiefe gewinnen lässt. Die Dialoge sind flüssig, wenn man auch teilweise nicht alles akustisch komplett versteht, und wirken auch dann nicht hölzern oder holprig, wenn sie in eine etwas höhere Ebene wechseln. Das
Drehbuch lässt den Darstellern Raum zur Entfaltung der Charaktere und so wirken diese lebendig und lebensnah. Die Geschichte ist zwar teilweise verwirrend, aber in sich schlüssig und zusammenhängend. Ein Mittel,
um dies zu erreichen, sind die Rückblenden im 3.Teil. Eine äußerst große Rolle spielt die Musik von Johannes und Oliver Kienle. Die zum großen Teil eher elektronischen Stücke, die aber auch durch klassische
Instrumentalmusik und eine gesungene Ballade ergänzt werden, sind ein wichtiger Bestandteil der Stimmung, da sie die verstörende Intensität der verschiedenen Szenen perfekt untermalen und sogar noch steigern.
Charakteristisch für „Inkubation“ sind einige Szenen, in denen nur Bilder und Musik, ohne jeglichen Hintergrundton, auf den Zuschauer, ähnlich wie eine Zeitlupe, wirken. Ohne Musik würde dieser Film niemals sein
volles Potenzial ausschöpfen können. Unverkennbares Stilmittel des Film sind die Kameraeinstellungen, die den Szenen einen sehr surrealen Charakter verleihen. Die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit
verschwimmen und für den Zuschauer ist es nicht ganz einfach, zu unterscheiden, ob manche Szenen sich nur in der Einbildung der Figur abspielen. Außerdem werden manche Szenen durch die Schnitte beschleunigt und
andere wieder verlangsamt. Die Kameraführung wirkt trotz der Verwendung einer Handkamera sehr professionell und nicht wirklich amateurhaft. Es werden stimmungsvolle Bilder erzeugt. Anscheinend perfekt scheint Oliver
Kienle das Editing-Handwerk zu beherrschen, denn die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen sind fast nahtlos zusammengefügt. FAZIT: Verstörende und zugleich exzellent untermalende Musik, überzeugende
Nachwuchsdarsteller (allen voran der Meister höchstpersönlich), surreale Kameraeinstellungen, hervorragendes Editing und eine tiefgründige Story. "Inkubation" zeigt, was ein paar junge Leute mit
geringen Mitteln, einer Handkamera und angeführt vom superkreativ-visionären Kopf Oliver Kienle, alles erschaffen können, ein kleines Meisterwerk! Solche Leute braucht der Deutsche Film.
Anmerkung: In der
Ausgabe vom 26. Juli der „Kitzinger Zeitung“ werden Oliver Kienle und seinem Film eine ganze Seite gewidmet und ich außerdem zitiert. Kontakt zum Regisseur Oliver Kienle über E-Mail an palm_x@vieraugen.com.
Marius Joa, 27.07.2003
INTERVIEW MIT OLIVER KIENLE
Kino-Redakteur Marius Joa im Gespräch mit Nachwuchsfilmemacher Oliver Kienle (21), der im Juli seinen ersten Film in
Spielfilmlänge vorstellte, „Inkubation“.
F: Hallo erst mal. Danke, dass du dich für ein Interview zur Verfügung stellst. Und gleich die erste Frage. Wie bist du dazu
gekommen, Filme zu drehen? A: Ich wollte schon immer Filme machen, schon seit Kindesalter. Weil ich ja nicht die Möglichkeit hatte, Filme zu drehen, habe ich mit 16 angefangen Bücher zu schreiben, u.a. einen
Drehbuchentwurf, aber ich hatte nicht die Absicht, irgendetwas zu verfilmen. Als ich eine Kurzgeschichte begonnen habe, die sich dann zu einem Roman entwickelt hat, wurde mir klar, dass das Schreiben auch eine
Möglichkeit ist, eigene Visionen zu verwirklichen, eben über ein anderes Medium.
F: „Inkubation“ ist ja ein Psychothriller. Was hat dich zur Story des Films inspiriert? A: Ursprünglich war die
Story eine Idee für ein Buch, die ich schon vor zwei, drei Jahren hatte, als ich noch keinen einzigen Film gedreht hatte. Der Grundgedanke mit den Pheromonen bestand schon im Buch, das aber jedoch das mystische
Auftauchen einer Art Todesengel beinhaltete. Erst im Film wurde aus der Idee ein Psychothriller.
F: Wovon bzw. von wem (welchen Vorbildern) lässt du dich allgemein bei deinen Projekten inspirieren? A:
Inspirationen bewirken bei mir keine konkreten Vorstellungen. Ich nehme Stimmungen aus anderen Filmen auf und nutze sie, um meine Vorstellungen zu verändern. Damit erreicht man seinen eigenen Stil, weil man nicht in
Gefahr läuft, einen fremden zu kopieren.
F: Was für Filme außer „Inkubation“ hast du noch gemacht und was für Bücher geschrieben? A: Ich habe fünf Kurzfilme, zwei Videoclips und zwei Dokus gemacht.
Außerdem neun Bücher geschrieben: zwei Dramen, viele Kurzgeschichten sowie Drehbuchentwürfe. Sowohl Filme als auch Bücher unterliegen meiner ewigen Qual, dass alles sehr komplex, tiefgründig und trotzdem irgendwie
noch unterhaltsam sein muss, wobei Letzteres die größte Problematik darstellt.
F: Worum dreht sich dein nächster Film? A: Um meiner Größenwahnsinnigkeit gleich mal Ausdruck zu verschaffen (lacht),
drehe ich derzeit einen Kriegsfilm, der keinen einzigen Cent kosten soll, außer Geld für Mini-DV-Tapes und Benzin. Der episodenhaft erzählte Film ist eine fiktive Story, über zwei dem Krieg nahestehenden
Nachbarländer, in denen jeder den Krieg zu verhindern versucht und damit den Ausbruch des Krieges eigentlich unfreiwllig anschürt.
F: Wird man deinen Film „Inkubation“ auch käuflich erwerben können?
A: Er wird im Super-VCD-Format mit Trailer und Making-Of erhältlich sein.
F: Was machst du eigentlich, wenn du keine Filme drehst, mit was beschäftigst du dich noch? A: Ich mache derzeit
ein Praktikum bei einer Videofilmproduktionsfirma. Dadurch, dass ich Filme drehe, will ich mir im Laufe des nächsten Jahres Klarheit darüber verschaffen, ob es sich lohnt, für den Beruf des Regisseurs zu kämpfen
bzw., schlicht gesagt, ob ich es wirklich kann oder nicht.
MJ: Danke für das Interview. OK: Gern geschehen.
Marius Joa, 29.08.2003, palm_x@vieraugen.com
|