1001 Nacht – Teil 1: Der Ruhelose

Ein Jahr lang drehte der portugiesische Regisseur Miguel Gomes um in einer eigentümlichen Version von 1001 Nacht Geschichten aus einem Land zu erzählen, das von Wirtschaftskrise und sozialem Raubbau schwer gezeichnet ist.

7-101001 Nacht – Teil 1: Der Ruhelose (As Mile E Uma Noites – Volume 1: O Inquieto)
Drama/Parabel Portugal, Deutschland, Frankreich, Schweiz 2015. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 125 Minuten. OmU. Kinostart: 28. Juli 2016.
Mit: Crista Alfaiate, Miguel Gomes, Adriano Luz, Rogerio Samora u.a. Regie: Miguel Gomes. Drehbuch: Miguel Gomes, Mariana Ricardo, Telmo Churro.


1001 Nacht_Teil 1 Poster

 

Von der Poesie des Niedergangs

Scheherazade erzählt von den Sorgen, die das Land plagen: „Oh glückseliger König, ich vernahm, dass sich in einem traurigen Land unter vielen Ländern, wo man von Walen und Meerjungfrauen träumt, die Arbeitslosigkeit rasch ausbreitet. An manchen Orten brennt der Wald in der Nacht trotz des Regens und an anderen Orten können Männer und Frauen es kaum erwarten, sich mitten im Winter ins Wasser zu stürzen. Manchmal sprechen die Tiere, obwohl es unwahrscheinlich ist, dass jemand ihnen zuhört. In diesem Land, in dem die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen, reiten die Mächtigen auf Kamelen und verbergen ihre schmachvolle Erektion. Sie erwarten sehnlichst die Steuerzahlungen, um einen Zauberer bezahlen zu können, der…“. Und als der neue Tag anbricht, verstummt Scheherazade.

Von August 2013 bis Juli 2014, also über ein ganzes Jahr, dauerten die Dreharbeiten zu 1001 Nacht von Regisseur Miguel Gomes (Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld, Our Beloved Month Of August). In dieser mit der Hilfe von Produktionsfirmen und Filmfonds aus vier Ländern (u.a. von ZDF und Arte) erschaffenen Filmtrilogie werden aber nicht die klassischen Geschichten aus „Tausend und einer Nacht“ wie von Aladdin und der Wunderlampe, Seefahrer Sindbad oder Ali Baba und den 40 Räubern neu adapteirt. Stattdessen bedient man sich nur der Erzählstruktur und nutzt sie um neue Geschichten aus dem heutigen Portugal, das in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise steckt, einzufangen.

Doch bevor die portugiesische Sheherazade (Crista Alfaiate) überhaupt beginnen kann, dem König von Shahryar/Sultan die erste Geschichte zu erzählen, durchbricht Regisseur Gomes die vierte Wand und teilt dem Zuschauer seine Selbstzweifel bezüglich dieses wahnsinnigen Filmprojektes mit und ob er überhaupt die geistigen Fähigkeiten besitzt, diesen Stoff umzusetzen. Anschließend flüchtet Gomes, verfolgt von seiner eigenen Filmcrew. Währenddessen thematisieren Stimmen aus dem Off (und teilweise bewegte Bilder) von dem Niedergang einer ehemals erfolgreichen Schifswerft und der immer größer werdenden Wespenplage. Nach knapp einer halben Stunde beginnt mit „Männer mit einem Steifen“ endlich die erste Erzählung. Sie handelt von den Verhandlungen über die Schulden-Situation zwischen der portugiesischen Regierung und Unterhändlern der Europäischen Union. Als den überwiegend männlichen Politikern ein mysteriöser Schamane ein Wundermittel gegen ihre chronische Impotenz anbietet verschärft sich die Schuldenkrise noch mehr. Eine zynische und absurde Parabel über die Eitelkeiten derer „da oben“.

1001 Nacht_Teil 1 Sheherazade Sheherazade

„Die Geschichte vom Hahn und dem Feuer“ dreht sich um das titelgebende Tier, das getötet werden soll, weil es/er mit seinem „Schreien“ die Nachbarn seiner Besitzerin in der kleinen Gemeinde Resende (im Norden Portugals) aufweckt. Es kommt zur Gerichtsverhandlung bei welcher der Hahn in den Zeugenstand tritt. Eine geheimnisvolle Serie von Brandstiftungen in den bewaldeten Bergen, deren Ursache kurioser ist als man vermuten würde, fordert unterdessen die örtliche Feuerwehr.

Im Mittelpunkt von „Das Bad der Prächtigen“ steht die Tradition, am Neujahrstag ins Meer zu gehen um so das neue Jahr zu begrüßen. Der desillusionierte Gewerkschaftler Luis (Adriano Luz) setzt all seine Hoffnungen in gutes Wetter, um den Menschen, die zu ihm kommen, weil sie ihre gesamte Existenz verloren haben, einen neuen Sinn zu geben.

1001 Nacht will einzelnen oder kollektiven Schicksalen, die durch die Finanz- und Wirtschaftskrise des Landes verursacht wurden, das seit dem 10. Juli 2016 den aktuellen Fußball-Europameister stellt, ein Gesicht geben. Dennoch ist der Film (und vermutlich auch die gesamte Trilogie) kein tränenreiches Betroffenheitsdrama. Vielmehr gelingt es anhand der episodischen Struktur eine sicherlich nicht unanstrengende, aber im kleinen Rahmen epische Mischung aus Doku-Drama, Parabel und Märchen mit authenischen Begegnungen, absurden Elementen (die EU-Politiker reiten auf Kamelen, die portugiesischen Minister müssen sich mit Pferden begnügen) und gelegentlich auch surrealen Szenen (siehe der gestrandete Wal) zu erschaffen. Man ist sich als Zuschauer nie sicher, ob Gomes hier bisweilen nicht nur Leute interviewt und sie dabei aus ihrem Leben erzählen lässtoder ob es sich doch um Schauspieler handelt, die nach einem Skript spielen. Ein Panorama Portugals voller Wahrhaftigkeit. Auf den zweiten Teil (Kinostart: 11. August) sowie den letzten Akt (ab 25. August 2016) dieser Trilogie bin ich jedenfalls sehr gespannt.

Fazit: Trotz der Selbstzweifel von Regisseur Miguel Gomes ist ihm und seinem Team mit dem ersten Teil der „1001 Nacht“-Trilogie eine eigenwillige Mischung aus absurder Parabel und wahrhaftigem Drama über die Lebenswirklichkeit in Portugal gelungen. 7 von 10 Punkten.

 

 

02A

Der Hahn soll sterben

 

016

Gewerkschaftler Luis hat Sorgen

 

Marius Joa, 7. August 2016. Inhaltsangabe und Bilder: Real Fiction Filmverleih.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner