Im preisgekrönten britischen Drama All Of Us Strangers von Regisseur Andrew Haigh trifft ein einsamer Autor auf seinen einzigen Nachbarn und seine längst verstorbenen Eltern.
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All Of Us Strangers
Drama UK, USA 2023. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 105 Minuten. Kinostart: 8. Februar 2024.
Mit: Andrew Scott, Paul Mescal, Jamie Bell und Claire Foy. Nach dem Roman Sommer mit Fremden von Taichi Yamada. Drehbuch und Regie: Andrew Haigh.
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Von der Einsamkeit und den Geistern der Vergangenheit
Adam (Andrew Scott) ist ein einsamer TV-Drehbuchautor, der in einem fast komplett leerstehenden Apartment-Block in London lebt. Eines Abends klingelt sein einziger Nachbar Harry (Paul Mescal) in angetrunkenem Zustand. Die beiden kommen sich näher. Etwa zur gleichen Zeit besucht Adam sein Elternhaus in einem kleinen Vorort. Seine Eltern (Claire Foy und Jamie Bell) starben vor über 30 Jahren, als Adam zwölf Jahre alt war. Doch zu seiner Überraschung findet er sie eines Tages wieder im Haus vor und zwar genau wie in seiner Erinnerung. Immer wieder kehrt Adam zurück und erzählt von seinem Leben nach ihrem Tod…
Was wäre wenn man plötzliche verstorbenen Familienangehörigen, Verwandten oder Freunden wieder begegnen würde und mit Ihnen darüber reden könnte, wie das eigene Leben nach deren Tod verlaufen ist? Dieser Fragestellung geht Andrew Haigh (u.a. 45 Years, Looking [Serie]) in seinem neuesten Film nach. Der 50jährige britische Filmemacher stellt die Begegnung des Protagonisten mit seinen toten Eltern und seine aufkeimende Beziehung zu seinem Nachbarn gegenüber. Dabei kann er sich vor allem auf sein großartiges Ensemble verlassen.
Das Leben des homosexuellen Adam ist von Einsamkeit geprägt. Das zeigt sich überdeutlich daran, dass er fast allein in einem riesigen mehrstöckigen Mietshaus wohnt, das zwar noch lange nicht heruntergekommen wirkt, aber in welchem früher sicherlich wesentlich mehr Menschen gelebt haben. Sein einziger Nachbar ist der ebenfalls queere Harry, der eines Abends angetrunken vor Adams Wohnungstür steht. Die meiste Zeit verbringt Adam alleine in seiner Wohnung, schaut Musikvideos aus seiner Kindheit/Jugend in den 1980ern und versucht mit seinem neuesten Skript voranzukommen, welches anscheinend von seiner eigenen Vergangenheit inspiriert wird.
Diese Vergangenheit ist plötzlich wieder sehr präsent, als Adam seine seit Jahrzehnten verstorbenen Eltern wieder in deren altem Haus antrifft. Mutter und Vater sehen so aus wie sie Adam in Erinnerung hat wobei er sie altersmäßig mittlerweile „überholt“ hat. So offenbart er ihnen auch seine sexuelle Orientierung, mit unterschiedlichen Reaktionen. Auch die Gespräche zwischen Adam und Harry drehen sich überwiegend um die Erfahrungen damit wie ihr Umfeld auf ihre Homosexualität reagiert, welche vor allem durch den Altersunterschied der beiden Männer variiert.
Die Inszenierung dieser beiden miteinander verwobenen Geschichten bleibt den ganzen Film über sehr leise und unaufgeregt. Aus meiner Sicht macht diese Herangehensweise wichtige Szenen umso bewegender und eindringlicher. Die andere große Stärke von All Of Us Strangers findet sich im Schauspieler*innen-Quartett. Andrew Scott, bekannt geworden als James Moriarty in Sherlock und als Hot Priest in Fleabag, brilliert als einsamer Adam, der durch die Begegnungen mit seinen verstorbenen Eltern und dem einzigen Nachbarn Lektionen fürs Leben lernt. In Person von Paul Mescal, der für seine Performance als unglücklicher Vater in Charlotte Wells‘ Aftersun (2022) eine Oscar-Nominierung erhalten hatte, als Harry wurde der perfekte Spielpartner für den Protagonisten gefunden. Überaus bewegend agieren auch Claire Foy (The Crown: Staffel 1 und Staffel 2, Unsane) und Jamie Bell (Billy Elliot – I Will Dance, Rocketman) als Adams liebevolle Eltern. Schade, dass es für keine dieser Performances für eine Oscar-Nominierung gereicht hat.
Fazit: Leises, bewegendes, stark gespieltes Drama über Einsamkeit und die Erinnerung an verstorbene Familienmitglieder. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 24. Februar 2024. Bilder: Searchlight.
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