Annette

Ein umstrittener Comedian und eine gefeierte Opernsängerin werden ein Paar. Nach der Hochzeit wird die kleine Tochter Annette geboren, doch das Familienglück hält nicht lange an, in Leos Carax gleichnamigem Filmmusical, welches dieses Jahr in Cannes ausgezeichnet wurde.


Annette
Musical/Drama Frankreich, Belgien, Deutschland, Japan, Mexiko, Schweiz, USA 2021.
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 141 Minuten. Kinostart: 16. Dezember 2021.
Mit: Adam Driver, Marion Cotillard, Simon Helberg u.a. Musik: Sparks. Drehbuch: Ron Mael, Russell Mael, Leos Carax. Regie: Leos Carax.

 

 


Die singende Puppe

Hollywood ist ganz aus dem Häuschen als bekannt wird, dass der provokante Stand-Up-Comedian Henry McHenry (Adam Driver) und die gefeierte Opernsängerin Ann Defrasnoux ein Paar sind sowie wenig später auch heiraten. Das Glück scheint perfekt als ihre Tochter Annette zur Welt kommt. Doch Henry verfällt immer mehr den eigenen Dämonen und zieht verstärkt den Zorn seines Publikums auf sich. Bei einer Segeltour der Familie kommt es zur Katastrophe. Ann ertrinkt und Henry muss sich von nun an alleine um die kleine Annette kümmern. Zu seiner Verblüffung beginnt das Kleinkind wundervoll zu singen. Gemeinsam mit Anns früherem Pianisten (Simon Helberg) und ihrem Vater startet Annette eine kometenhafte Sangeskarriere. Doch Henrys selbstzerstörerische Ader kehrt zurück…

Leos Carax (geboren am 22. November 1960 als Alexandre Oscar Dupont) gilt in der Filmwelt als schwierig und schweigsam. In seiner mittlerweile vier Jahrzehnte umfassenden Karriere hat der französische Filmemacher bisher lediglich sechs abendfüllende Spielfilme (neben Kurzfilmen und Musikvideos) gedreht. Sein neuester Film ist eine Zusammenarbeit mit dem seit 50 Jahren aktiven amerikanischen Pop-und-Rock-Duo Sparks, bestehend aus den Brüdern Ron Mael (geboren 1945) und Russell Mael (geboren 1948), die dem Mainstream allenfalls durch ihren Hit When Do I Get to Sing ‚My Way‘ von 1994 ein Begriff sein könnten. Edgar Wright (Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt, Last Night in Soho) widmete den Brüdern die Dokumentation The Spakrs Brothers, welche am 7. Oktober 2021 in die Kinos kam. Bei Annette schrieben Sparks Songtexte und Musik, sowie gemeinsam mit Carax das Drehbuch.

Das weltweite Kritiker-Echo zu Annette ist überwiegend positiv. Auch die Kollegen von Filmstarts.de vergaben eine gute Bewertung und bezeichnen den Film gleich in ihrer Überschrift als einen „Publikumsspalter wie er im Buche steht“ (Michael Meyns). Auch in anderen Rezensionen wird der eigensinnige Stil von Carax nicht selten in den Vordergrund gestellt. Zu meiner ziemlichen Überraschung musste ich beim Kinobesuch am Donnerstagabend feststellen, dass ich wohl einen anderen Film gesehen haben muss. Denn für mich entpuppte (pun intended!) sich das Werk über weite Strecken als überaus herkömmliches Filmmusical, mit geradezu klassischen Charakteristika des spezifischen Mediums. Die Geschichte und die Emotionen werden fast ausschließlich über die Songs transportiert. Gesprochene Dialoge gibt es sehr wenige, was die deutsche Synchronfassung ziemlich unsinnig macht. Ungewöhnlich scheint eigentlich nur die Titelfigur, welche während fast ihrer gesamten Screentime von einer beweglichen Puppe verkörpert wird und erst in der Schlussszene in menschlicher Form auftaucht. Wenn Baby Annette ihre Karriere startet und dabei von ihrem Vater quasi „gepusht“ wird dann fühlt man sich in einer merkwürdigen Mischung aus Phantom der Oper und Pinocchio.

Der zweite interessante Aspekt: die sehr wahrscheinliche Verknüpfung zu Carax eigener Biographie. Der Regisseur hat den Film seiner jungen Tochter Nastya Golubeva Carax gewidmet, die zu Beginn kurz zu sehen ist. Ihre Mutter, die Schauspielerin Yekaterina Golubeva, starb 2011 mit nur 44 Jahren unter ungeklärten Umständen. Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass Carax hier eine autobiographisch gefärbte Story erzählt und der selbstzerstörerische Henry sein Alter Ego darstellt. Hierüber lässt es sich hinterher auch trefflich diskutieren.

Mit seinem dünn gesähten Inhalt wirkt Annette trotz der gängig inszenierten Musical-Einlagen (bei denen wie in der als aufwändige Plansequenz aufgezogenen Anfangsszene bisweilen die vierte Wand durchbrochen wird) insgesamt recht sperrig. Das macht es dem soliden Darsteller-Trio Adam Driver (Star Wars-Sequeltrilogie, Paterson, The Man who Killed Don Quixote) als Henry, Marion Cotillard (La Vie en Rose, Nine) als Ann und Simon Helberg (The Big Bang Theory) als Pianist, der in dem Biopic Florence Foster Jenkins (2016) bereits eine ähnliche Rolle gespielt hatte, nicht unbedingt einfach. Mit viel Hingabe versuchen sie ihren wenig ausgearbeiteten Figuren Profil zu verleihen. Während der Abspann läuft bleibe ich etwas ratlos zurück. Das soll jetzt ein besonderer Arthouse-Film mit eigenwilligem Stil gewesen sein?

Annette läuft derzeit in den deutschen Kinos und wird am 22. April 2022 auf DVD bzw. BluRay erscheinen.

Fazit: Trotz teils eigenwilliger Elemente wenig außergewöhnlicher, sondern recht mittelmäßiger Musicalfilm. 6 von 10 Punkten.


Ann ist eine begnadete Opernsängerin

Comedian Henry vor dem Abgrund

 


Marius Joa, 18. Dezember 2021. Bilder: Alamode Film.

 

 

 

 

 


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