Einem dunklen Kapitel in der Geschichte Irlands widmet sich Tomás Ó Súilleabháins Langfilmdebüt als Regisseur. Arracht, der auf dem 48. Internationalen Filmwochenende in Würzburg gezeigt wurde, spielt während der Hungersnot auf der grünen Insel im 19. Jahrhundert.
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Arracht
aka Monster (internationaler Titel)
Drama Irland 2019. 90 Minuten. Kinostart: unbekannt.
Mit: Dónall Ó Héalaí, Saise Ní Chuinn, Dara Devaney, Elaine O’Dwyer, Dudura Ó Gionnáin, Michael McElhatton u.a. Drehbuch und Regie: Tomás Ó Súilleabháin.
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Gewalt und Hunger
Connemara, an der irischen Atlantikküste im Jahre 1845. Cólman Sharkey (Dónall Ó Héalaí) ist verheiratet mit Maggie (Elaine O’Dwyer) und die beiden haben einen kleinen Sohn, Dónal (Dudura Ó Gionnáin), der gerade laufen gelernt hat. Gemeinsam mit seinem Bruder Séan (Eóin Ó Dubhghaill) bestellt er ein Kartoffelfeld. Außerdem bestreiten die beiden ihren Lebensunterhalt zusätzlich durch Fischfang. Vorübergehend nimmt Cólman den desertierten Soldaten Patsy (Dara Devaney) bei sich auf. Als die Kartoffelfäule über das Land hereinbricht stehen schwere Zeiten bevor. Noch dazu hat der englische Landbesitzer (Michael McElhatton) die Pacht angehoben. Cólman, Séan und Patsy sprechen beim Landbesitzer vor, um eine Erhöhung der Abgabe zu verhindern. Doch es kommt zur Katastrophe. Patsy tötet den unnachgiebigen Engländer und seine Gefolgsleute. Zwei Jahre später sind Millionen Iren verhungertet oder ausgewandet. Cólman hat alles verloren und versteckt sich auf einer kleinen Insel, weil er für die Morde fälschlicherweise verantwortlich gemacht wird. Da trifft er zufällig ein Mädchen, Kitty (Saise Ní Chuinn). Sie hält sich in seinem alten Haus versteckt. Die beiden Verlassenen helfen sich gegenseitig. Kann Kitty Cólman neuen Lebensmut geben?
Das Joch der englischen Besatzer und durch Kartoffelfäule ausgelöste Missernten sorgten zwischen 1845 und 1852 für die Große Hungersnot in Irland. Eine Million Menschen (was zwölf Prozent der Bevölkerung entsprach) starben an Hunger und Krankheiten, weitere zwei Millionen Iren wanderten aus, vor allem in die USA. Von diesem Bevölkerungsverlust hat sich das Land bis heute nicht erholt. Tomás Ó Súilleabháin hat diese schaurige Zeit als Handlungsort für sein Langfilmdebüt als Regisseur ausgesucht. Der 1973 in Dublin geborene Ire hat bisher überwiegend als Schauspieler gearbeitet und vor allem in diversen irischen Fernsehserien mitgespielt, meist unter seinem anglisierten Namen Tom Sullivan. Seit gut zehn Jahren inszeniert Súilleabháin auch Kurzfilme und Serien-Episoden.
Arracht, was im Irisch Gälischen “Monster” bedeutet, zeigt die schrecklichen Auswirkungen der Hungersnot anhand eines kleinen Fischerdorfes in der irischen Grafschaft Galway in der Region Connemara mit Fokus auf wenige Figuren. Nach dem folgenschweren Vorfällen im Haus des Landbesitzers, der hier “Lieutenant” genannt (=Statthalter, nach der ursprünglichen Bedeutung des Wortes) und von Michael McElhatton (Roose Bolton aus Game of Thrones; The Fall – Tod in Belfast) gespielt wird verfinstert sich die Situation für Protagonist Cólman und seine Mitmenschen. Ähnlich wie Robinson Crusoe haust er in einer Höhle auf einer kleinen Insel. Da er für die Verbrechen, die Patsy begangen hat, verantwortlich gemacht wird, hält er sich meist versteckt und sucht nur vorsichtig das Festland auf. Nicht mehr viele Menschen sind im Dorf verblieben, viele sind gestorben, andere weggegangen. Cólman scheint immer wieder mit Selbstmord zu liebäugeln, die Stimmen seiner toten Frau und seines toten Sohnes spuken durch seinen Kopf. Im Gegensatz zu anderen weiß er sich in der Extremsituation zu helfen, nicht nur durch den Fischfang, sondern auch mit Kräutern, Moos und Algen. Mehr ist im gottverlassenen Brachland auch nicht geblieben. Dann trifft er auf das Mädchen Kitty. Wie er hat auch sie all ihre Lieben verloren.
Der Film zeigt deutlich welche Auswirkungen die unmenschlichen Bedingungen haben können. Cólman ist erfindungsreich und weiß sich in vielen Situationen zu helfen. Andere Figuren sind entweder hilflos oder reagieren mit Gewalt, je nachdem wie ihre bisherigen Erfahrungen aussehen. Die Kamera von Kate McCollough (Normal People) fängt das alles fast dokumentarisch ein. Authentizität wird natürlich auch durch die Verwendung der irischen Sprache erzeugt. Hauptdarsteller Dónall Ó Héalaí hat sich für seine Rolle sichtlich heruntergehungert. Außerdem fällt das atmosphärische Sounddesign von Peter Blayney, Alan Scully und Brendan Rehill positiv auf. Die irische Band Kíla (Das Geheimnis von Kells, Melodie des Meeres) hat dazu einen düsteren Score komponiert. Arracht präsentiert sich insgesamt von einer morbiden Schönheit und in seiner Geschichte kompromisslos, schießt dabei aber zu keiner Zeit über das Ziel hinaus oder driftet in Kitsch um. Súilleabháins Werk war der von Irland eingereichte Beitrag für den Auslandsoscar bei der Verleihung 2021, wurde allerdings nicht nominiert.
Fazit: Naturalistisches, kraftvolles Drama über Überlebenskampf und menschliche Abgründe im Irland zur Zeit der Hungersnot. 8 von 10 Punkten.
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Das Unheil naht
Cólman versteckt sich
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Marius Joa, 3. Februar 2022. Bilder: Macalla Teoranta.
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