Neben The Ordinaries von Sophie Linnenbaum bot das 49. Internationale Filmwochenende in Würzburg mit Alex Schaads Aus meiner Haut ein weiteres, absolutes Highlight des aktuellen deutschen Kinos.
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Aus meiner Haut
Mystery-Drama Deutschland 2022. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Kinostart: 2. Februar 2023.
Mit: Mala Emde, Jonas Dassler, Dimitrij Schaad, Maryam Zaree, Thomas Wodianka, Edgar Selge u.a. Drehbuch: Alex Schaad und Dimitrij Schaad. Regie: Alex Schaad.
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Mehr als hautnah
Das junge Paar Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) erreichen eine abgelegene Insel. Dort hat Leylas Freundin Stella eine Kommune gegründet, in welcher jeder der Gäste durch ein schamanisches Ritual seinen Körper mit einem anderen tauschen kann. Stella selbst steckt im Körper (Edgar Selge) ihres verstorbenen Vaters. Als Tauschpartner werden Leyla und Tristan das Ehepaar Fabienne (Maryam Zaree) und Mo (Dimitrij Schaad) zugelost. Während sich Leyla in Fabiennes Körper wohlfühlt und erstmals seit einer langen Depression wieder Freude empfindet bricht Tristan nach irritierenden Ereignissen das Experiment nach wenigen Tagen ab. Leyla entschließt sich darauf, mit Roman (Thomas Wodianka) zu tauschen, dem gebeutelten früheren Lebensgefährten Stellas. Doch wie wird Tristan damit zurechtkommen, dass seine geliebte Leyla nun im Körper eines Mannes steckt?
Alex Schaad (geboren 1990) gewann für seinen Erstling, den 30minütigen Kurzfilm Invention of Trust (2016) den Studenten-Oscar in Gold. Es folgten weitere Shorts bis zu Aus meiner Haut, Schaads Langfilmdebüt. Das Drebuch schrieb er zusammen mit seinem fünf Jahre älteren Bruder, dem Schauspieler und Autor Dimitrij Schaad (bekannt aus den Känguru-Chroniken und Hauptdarsteller in „Invention“) der hier eine der sechs zentralen Rollen spielt. Gedreht wurde im September und Oktober 2021 auf dem Gut Wahlstorf bei Preetz in Schleswig-Holstein. Im September 2022 folgte die Uraufführung beim Filmfestival in Venedig. Ich war während und direkt nach der Vorstellung im Kino sehr bewegt und beeindruckt. Denn neben dem bereits erwähnten The Ordinaries zählt Aus meiner Haut zu den besten deutschen Filmen, die ich in letzter Zeit und generell gesehen habe.
Der Regisseur war auch beim Filmwochenende zugegeben und erzählte von der Entstehung seines Werkes. Am Anfang stand der Wunsch einen Film über Körpertausch zu machen, aber im Gegensatz zu Big (1988) und Freaky Friday (1976 bzw. 2003) nicht als Komödie, sondern als ernsthafte Auseinandersetzung mit dem phantastischen Thema. Im Verlauf der insgesamt 37 Skriptfassungen änderte sich die Ausrichtung der Geschichte laut Schaad immer wieder, mal ging es um Unsterblichkeit oder futuristische Science-Fiction. In der Endfassung wird nur minimal angedeutet, wie der Körpertausch funktioniert. Es handelt sich um ein spirituelles Ritual, allerdings mit ein paar Regeln.
Laut Alex Schaad entstand der Film zu großen Teilen im Schneideraum. Und das merkt man dem fertigen Werk auch an, im positiven Sinn. Denn die Laufzeit von 104 Minuten erweist sich als perfekt, die Handlung zu entwickeln, wobei hier höchst gekonnt mit Aussparungen gearbeitet wird. Kein Moment, keine Szene erscheint überflüssig. Man könnte das Thema noch ausführlicher behandeln, aber das Gezeigte genügt vollkommen. Noch dazu wird das Ganze äußerst ruhig und behutsam inszeniert.
Dass die Körpertausch-Sache so gelungen umgesetzt werden konnte daran tragen natürlich die Darsteller einen entscheidende Anteil. Gleich nach dem ersten Tausch bemerkt man wie sich die Figuren in ihren anderen Hüllen verhalten, was zu Beginn auch ein paar humorvolle Momente mit sich bringt. Die Performances, egal ob von Mala Emde (Meine Tochter Anne Frank, Charité), Jonas Dassler (Werk ohne Autor, Der Goldene Handschuh), Dimitrij Schaad, Maryam Zaree (4 Blocks, Undine), Edgar Selge (Das Experiment, Poll) und dem großartigem Thomas Wodianka (Snowman’s Land, Lollipop Monster), sind unglaublich stark und einfühlsam. Alle Akteure sorgen mit nuancierter und eindringlicher Darbietung für Emotionalität. Maßgeblich für die besondere Atmosphäre erweist sich auch die Musik von Richard Ruzicka, mit ihrem abstrakt-geheimnisvollen Chorgesang.
Die Geschichte von Aus meiner Haut soll die Zuschauer*innen zum Nachdenken anregen. Können wir einen geliebten Menschen dann noch lieben, wenn er/sie plötzlich in einem anderen Körper steckt? Lieben wir wirklich nur/überwiegend die Persönlichkeit des anderen oder spielt das Äußerliche auch eine entscheidende Rolle? Neben offensichtlichen Konzepten wie Identität und Gender, so Alex Schaad, gehe es ihm auch darum wie eine neue Lebenssituation (etwa durch Jobwechsel, Krankheit usw.) den Menschen und seine Beziehung verändern kann.
Aus meiner Haut startet diese Woche (2. Februar 2023) in den deutschen Kinos.
Fazit: Bewegend, stimmungsvoll, nachdenklich machend und famos gespielt. Alex Schaad hat mit Aus meiner Haut ein absolut grandioses Stück Film geschaffen, welches noch lange nachhallt. 10 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 31. Januar 2023. Bilder: X-Verleih/Warner.
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