Nach Hereditary (2018) und Midsommar (2019) hat Ari Aster mit Beau Is Afraid seinen dritten Spielfilm veröffentlich. Das Psychodrama dreht sich um die absurde Odyssee des von Joaquin Phoenix gespielten Titelhelden.
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Beau Is Afraid
Psychodrama/Satire USA 2023. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 179 Minuten. Kinostart: 11. Mai 2023.
Mit: Joaquin Phoenix, Armen Nahapetian, Patti LuPone, Zoe Lister-Jones, Nathan Lane, Amy Ryan, Stephen McKinley Henderson, Kylie Roger, Denis Ménochet, Richard Kind, Julia Antonelli, Parker Posey, Hayley Squires u.a. Drehbuch und Regie: Ari Aster.
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Beau und wie er die Welt sah
Der Mittvierziger Beau Wasserman (Joaquin Phoenix) leidet schon lange an einer psychischen Erkrankung mit diversen Angststörungen. Beaus Therapeut (Stephen McKinley Henderson) verschreibt ihm ein neues Medikament. Kurz vor einer geplanten Reise zu seiner Mutter Mona (Patti LuPone), der Chefin eines Firmenimperiums, werden Beau Wohnungsschlüssel und Koffer gestohlen. Schließlich bricht das komplette Chaos aus und Beau wird überfallen sowie von einem Auto angefahren. Er erwacht Tage später bei Chirurg Roger (Nathan Lane) und dessen Ehefrau Grace (Amy Ryan), die den Verletzten für einige Tage bei sich aufgenommen haben. Der Sohn des Paares ist im Afghanistan-Krieg gefallen, einen Verlust den auch die rebellische Tochter Toni (Kylie Roger) nur schwer verkraftet. Beau setzt seine Reise nach einigen Tagen fort und trifft dabei auf eine kuriose Theatertruppe um die schwangere Penelope (Hayley Squires), in deren Stück er sich verliert. Zwischenzeitlich erinnert sich Beau immer wieder an seine Kindheit, vor allem eine Kreuzfahrt, die er als Junge (Armen Nahapetian) mit seiner Mutter (Zoe Lister-Jones) unternommen und auf welcher er mit Elaine (Julia Antonelli) die Liebe seines Lebens getroffen hatte…
Ari Aster (geboren 1986) hat sich dank seiner ersten beiden abendfüllenden Filme, Hereditary (2018) und Midsommar (2019), einen Namen im Bereich anspruchsvolles Horror-Kino gemacht. Der amerikanische Filmemacher behandelte in ersterem Werk die Trauer einer dysfunktionalen Familie und im zweiten das Ende einer Liebesbeziehung vor dem Hintergrund eines heidnischen Kultes in Schweden. Seine dritte Regie-Arbeit war ursprünglich als vierstündiges Epos unter dem Titel „Disappointment Blvd.“ geplant. Stattdessen ist der fertige Film „nur“ drei Stunden lang und trägt den einfachen, aber aussagekräftigen Titel Beau Is Afraid. Oscar-Gewinner Joaquin Phoenix (bester Hauptdarsteller für Joker [2019]) spielt den titelgebenden Antihelden, dessen Leben von einer psychischen Erkrankung und Angstzuständen geprägt wird.
Psychologische Erkrankungen werden in Filmen, wie etwa beim Mathematiker-Biopic A Beautiful Mind (2001), meist so dargestellt, dass die Zuschauer*innen Realität und Wahn irgendwie voneinander unterscheiden können. Die Inszenierung wechselt dabei zwischen der Wahrnehmung der psychisch erkrankten Figur und den realen Vorgängen innerhalb der Handlung. Nicht so bei Beau Is Afraid. Die Geschichte wird konsequent aus der Perspektive des gebeutelten Protagonisten erzählt. Und zwar mit solcher Intensität und in magisch realistischer bzw. surrealistischer Art, dass man nicht mehr unterscheiden kann, was von den teils absonderlichen Ereignissen sich Beau nun einbildet und was nicht. Denn für den zentralen Charakter scheint alles real, egal wie unwahrscheinlich oder wahnwitzig das Geschehen wirken mag.
Dieser besondere Ansatz (ähnlich wie ihn Noah Hawley für David Haller, den Protagonisten der einmaligen Serie Legion, wählte) lässt das Publikum die labile psychische Disposition und die Angststörungen Beaus auf unmittelbare Weise miterleben. Die Handlung wirkt dabei bisweilen wie ein außer Kontrolle geratener Bewusstseinsstrom. Denn was Beau durchlebt, lässt sich am besten als albtraumhafte Odyssee beschreiben, die zudem stolze 179 Minuten dauert und den Film zu einem anstrengenden cineastischen Erlebnis macht. Man muss sich auf diese Irrfahrt durch Leben und Psyche Beaus einlassen. Denn sonst wird Ari Asters dritter Spielfilm eher zur Qual.
Manche der Stationen auf Beaus absurder Reise funktionieren als Reminiszenz an die antike Odyssee, jenem Versepos in welchem der Dichter Homer von den Irrfahrten und Abenteuern von Odysseus, dem König von Ithaka, der nach dem zehnjährigen Krieg gegen Troja weitere zehn Jahre für die Heimreise benötigt, erzählt. Das Ehepaar Roger und Grace, welches Beau zwischenzeitlich aufnimmt, erinnert etwas an König Alkinoos und Königin Arete, Herrscher der Phaiaken bei Homer. Und die schwangere Frau von der Theatergruppe, welche Beau im Wald aufgreift, trägt den gleichen Namen wie Odysseus‘ Gattin. Wenn Beau plötzlich in seiner Fantasie zur Hauptfigur des Theaterstücks wird und sich seine Umwelt in bunte animierte Szenerien verwandelt dann kommt ein bisschen Der Zauberer von Oz-Feeling auf.
Auch wenn es gut hundert Jahre nach Freuds Psychoanalyse recht abgedroschen klingt, so sind Beaus psychische Leiden in der Beziehung zu seiner übergroßen Mutter begründet. Sein Vater ist laut den Erzählungen der Mutter vor Beaus Geburt verstorben, weshalb Mama lange Zeit die einzige Bezugsperson für den Jungen war. Die meiste Zeit über sehen wir Mama Wasserman nur als junge Frau in Rückblenden zu Beaus Kindheit, wo sie von Zoe Lister-Jones (Alex und Whitney – Sex ohne Ehe, Life in Pieces) gespielt wird. Erstaunlich mit welcher surrealen Präsenz Armen Nahapetian den jungen Beau verkörpert. Als herausragend im illustren Ensemble erweist sich die überwiegend auf der Musicalbühne beheimatete Patti LuPone (Der einzige Zeuge, Penny Dreadful) als ältere Mona Wasserman, die es nicht lassen kann ihrem ohnehin schon massiv gebeutelten Sohn ständig Vorwürfe zu machen.
Trotz aller überbordender Szenen und der epischen Laufzeit wird Beaus Geschichte nicht im Detail durchdekliniert, sondern bleibt passenderweise etwas unvollständig. Hätte Hauptdarsteller Joaquin Phoenix nicht schon einen Oscar gewonnen so wäre der Goldjunge nach seiner Performance in Beau is Afraid absolut fällig. Vor allem weil der 48jährige US-Schauspieler völlig eins mit seiner Rolle wird und die zunehmende „Verwahrlosung“ Beaus umso authentischer wirkt. Beim nächsten Filmprojekt wird Ari Aster „nur“ als Produzent tätig sein. Dream Scenario, mit Nicholas Cage in der Hauptrolle, wird das englischsprachige Debüt des norwegischen Regisseurs Kristoffer Borgli (Sick of Myself).
Fazit: Entfesselte, absurd-irrwitzige und überaus sperrige Odyssee eines Mannes mit ständigen Angstzuständen, mit einem völlig in seiner Hauptrolle aufgehenden Joaquin Phoenix. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 18. Juni 2023. Bilder: Leonine/A 24.
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