Birdman

Neben Richard Linklaters einmaligem „12-Jahre-Projekt“ Boyhood ist auch Birdman einer der Top-Favoriten bei den diesjährigen Oscars und das sicherlich zu Recht. Ein ehemaliger Superheldendarsteller versucht sich als Künstler zu beweisen, indem er eine ambitionierte Theateraufführung inszeniert.

9-10Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
(Birdman or The Unexpected Virtue Of Ignorance)
Satire USA 2014. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 120 Minuten. Kinostart: 29. Januar 2015.
Mit: Michael Keaton, Zach Galifianakis, Edward Norton, Andrea Riseborough, Amy Ryan, Emma Stone, Naomi Watts, Lindsay Duncan u.a. Regie: Alejandro González Iñárritu. Drehbuch: Alejandro González Iñárritu, Nicolás Giacobone, Alexander Dinelaris Jr., Armando Bo.

 

Birdman_Poster 

Ein Star dreht durch und hebt ab

Vor etwa zwanzig Jahren wurde Schauspieler Riggan Thomson (Michael Keaton) als Darsteller des Superhelden „Birdman“ in der gleichnamigen Comicverfilmung weltberühmt. Nach drei Filmen hat Riggan jedoch das Vogelmannkostüm an den Nagel gehängt und ist seitdem ziemlich in der Versenkung verschwunden. Mit der Bühnenadaption von Raymond Carvers Kurzgeschichte „What We Talk About When We Talk About Love“, bei welcher er Hauptrolle und Regie stemmt, will Riggan allen und vor allem sich selbst beweisen, dass er nicht nur ein Filmstar, sondern ein ernst zu nehmender Künstler ist. Doch kurz vor der Premiere häufen sich die Schwierigkeiten. Riggans Freundin Laura (Andrea Riseborough), die ebenfalls im Stück mitspielt, teilt ihm mit, sie sei schwanger. Außerdem taucht Ex-Frau Sylvia (Amy Ryan) immer wieder auf. Die gemeinsame Tochter Sam (Emma Stone) fungiert nach ihrem Drogenentzug als Assistentin ihres Vaters. Sorgen bereitet Riggan vor allem der kurzfristig für einen verletzten Kollegen eingesprungene Method Actor und Broadway-Star Mike Shiner (Edward Norton), dessen Lieblingsbeschäftigung es zu sein scheint, ständig bei der Inszenierung dazwischen zu funken und Riggan die Show zu stellen. Zu allem Überfluss hört Riggan ständig die Stimme seines „Alter Egos“ Birdman, welcher ihm ins Gewissen redet…

Birdman_Birdman Birdman nanananananana….

Unterschiedlicher als die beiden Top-Favoriten der diesjährigen Oscar-Verleihung könnten zwei Filme nicht sein. Boyhood von Regisseur Richard Linklater (Before-Trilogie) erzählt völlig unaufgeregt und authentisch von einem Jungen, der vom Grundschüler zum jungen Mann heranwächst. Dagegen ist Birdman von Alejandro González Iñárritu eine theatralische Satire über Starkult und die Unterhaltungsindustrie.

Man könnte argumentieren, dass Michael Keaton sich hier selbst spielt. Der ehemalige Batman-Darsteller (Batman, Batmans Rückkehr) verkörpert den Schauspieler Riggan Thomson, der als Darsteller des Superhelden Birdman vor über zwanzig Jahren berühmt wurde, hinterher aber nicht an diesen Erfolg anknüpfen konnte. Nun versucht Riggan vor seinem bevorstehenden Karriereende noch einmal auf sich aufmerksam zu machen. Er inszeniert ein anspruchsvolles Theaterstück am Broadway und verzweifelt dabei fast. Dabei gewährt der Film einen intimen Blick hinter den Vorhang eines renommierten Theaters. Kurz vor der Premiere geht alles drunter und drüber. Die Egos der mitwirkenden Darsteller prallen aufeinander, die Atmosphäre ist gespannt. Diesem bunten Treiben folgt die Kamera von Oscar-Preisträger Emmanuel Lubezki (Gravity) fast ohne erkennbare Schnitte, umschwirrt die Akteure wie eine beinahe lästige Fliege. Der Zuschauer ist dadurch den Figuren so nahe, als wäre er im gleichen Zimmer anwesend. Er wird Zeuge wie Riggan Zwiegespräche mit seinem fiktiven Ich führt, dessen dunke Stimme aus dem Off kommt. Wie Riggan Dinge scheinbar durch die Luft schweben lassen kann. Und wie er am Ende selbst abhebt.

Doch nicht nur der Protagonist durchlebt eine Krise. Auch seine Schauspielkollegen haben so ihre Probleme. Die Broadway-Debütantin Lesley (Naomi Watts) hat mit Lampenfieber und großen Selbstzweifeln zu kämpfen. Ihr Freund und Spielpartner Mike ist zwar ein begnadeter Method Actor, im richtigen Leben aber nicht mehr zu wirklichen Emotionen fähig. Und Riggans affektierte Geliebte Laura zieht ohnehin ihre eigene Show ab. Schauspieler sind eben auch nur Menschen.

Der neue Film von Alejando González Iñárritu (Babel) begnügt sich nicht damit, lediglich die Seelenwelt der Bühnenstars zu beleuchten. Die Mechanismen von Ruhm und Starkult sind hier auch Thema. So muss sich Riggan von einer gehässigen Theaterkritikerin anhören, dass er doch nur ein Promi und kein richtiger (Theater-)Schauspieler sei. Von Töchterchen Sam erhält er die bittere Lektion, dass Berühmtheit heuzutage nicht mehr von exklusiven Theateraufführungen sondern von der Präsenz in den sozialen Medien abhängt. Die Klickzahlen auf Facebook und Twitter sind das wichtigste. Eine weitere ernüchternde Erkenntnis durch den Vogelmenschen erfolgt kurz vor dem Ende. Der kulturelle Genozid ist in vollem Gange. Die Menschen wollen keine Kultur erleben, sondern lieber einen Superheldenfilm nach dem anderen konsumieren.

Fazit: Virtuos gefilmter Trip hinter die Kulissen von Hollywood-Starkult und Broadway-Glamour, der mit selbstreflexiver Bissigkeit die Schattenseiten des Schauspielerdaseins reflektiert. 9 von 10 Punkten.

Birdman_Riggan und Mike
Riggan und Mike geraten aneinander
 Birdman_Riggan und Freundin
Riggan und seine Freundin Laura

 

Marius Joa, 21. Februar 2015. Bilder: Fox Searchlight.


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