Mit Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung liefert der junge Regisseur Oliver Kienle seinen Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg ab, der nun auch deutschlandweit im Kino läuft. Marius Joa hat das professionelle Regiedebüt des unterfränkischen Filmemachers gesehen.
Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung
Jugenddrama Deutschland 2010. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 109 Minuten. Kinostart: 23. September 2010.
Mit: Jacob Matschenz, Burak Yigit, Balder Beyer, Aylin Tezel, Manuellsen, Liv Lisa Fries, Simone Thomalla, Peter Lohmeyer u.v.a. Drehbuch und Regie: Oliver Kienle.
Jugendkriminalität in der Provinz
Tommy (Jacob Matschenz), unehelicher Sohn einer deutschen Mutter (Simone Thomalla) und eines US-Soldaten, und der Türke Sule (Burak Yigit) sind seit frühester Jugend wie Brüder füreinander. Ihre berufliche Perspektivlosigkeit verdrängen sie durch Drogenkonsum und gelegentliche Deals. Bis Tommy erwischt wird und ins Gefängnis muss. Als er sechs Monate später, von seinen Zellengenossen gepeinigt und traumatisiert, aus dem Knast entlassen wird, schwört er sich, mit dem Drogendealen aufzuhören und seinen Schulabschluss zu machen. Doch Sule hält weiterhin an seinem großen Traum fest, eines Tages mit Tommy eine gemeinsame Tuningwerkstatt zu eröffnen. Die Kontakte sind vorhanden, das nötige Startkapital soll durch ein paar Deals beschafft werden. Immer wieder geraten Tommy und Sule durch ihre unterschiedlichsten Zukunftspläne in Streit. Nebenbei versucht Tommy heraus zu finden, wer ihn damals bei der Polizei verpfiffen hat. War es „Keiler“ (Balder Beyer), der eine Karriere als Rapper anstrebt? Während Tommy versucht, seine Beziehung zu Sina (Aylin Tezel) wieder aufleben zu lassen, lernt Sule die rebellische Weinkönigin Caro (Liv Lisa Fries) näher kennen. So sehr er auch versucht, sich vom Drogensumpf fern zu halten, der Kontakt mit seinen alten Freunden bringt Tommy immer wieder in einschlägige Kreise, die besonders von der Polizei beobachtet werden.
Bereits vor seinem Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg bei Stuttgart drehte der aus dem Landkreis Kitzingen stammende Oliver Kienle (28) einige Kurzfilme und zwei abendfüllende Spielfilme. Ein immer wiederkehrendes Thema in diesen Werken war der gnadenlose Alltag im Gangster-Milieu. Davon handelt auch Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung, ein intensives Drama über Jugendkriminalität. Der Film spielt nicht wie andere ähnliche gelagerte Werke in Metropolen wie Berlin oder Hamburg sondern in der unterfränkischen Provinzstadt Würzburg, wo im April und Mai 2009 hauptsächlich gedreht wurde. Waren Kienles Frühwerke aufgrund der prominenten Vorbilder noch etwas verklärt, so präsentiert sich sein Abschlussfilm trotz eines etwas überstilisierten visuellen Stils als authentische Milieustudie.
Die Bilder des Films werden immer wieder visuell und akustisch „verzerrt“, wie beim Scratchen von Schallplatten. Dies verstärkt die von Hip-Hop-Beats getragene Atmosphäre und verleiht dem ganzen einen leicht surrealen Touch. Die Eingangscollage, von Tommys und Sules erstem Treffen bis zu der in fragmentarischen Schnipseln präsentierten Gefängnis-Tortur, ist fast durchgehend wie ein Videoclip gestaltet. Dieser visuelle Kniff wird beibehalten, aber im Verlauf des Films kaum noch verwendet, auch um zu verhindern, dass das Publikum genervt wird oder das Ganze ins Lächerliche abdriftet. Außerdem kennzeichnend für Bis aufs Blut ist die sehr enge, fast klaustrophobische Kameraführung. Der Film spielt zwar in Würzburg und gelegentlich bekommt man die charakteristischen Wahrzeichen der Stadt zu sehen, aber im Grunde ist die Location gegen jede andere ähnliche Kleinstadt in Deutschland austauschbar. Das Augenmerk liegt hier auf der visuellen Umsetzung der fast ausweglosen Situation der Protagonisten, die im trostlosen Kleinstadtmief kaum eine Perspektive haben. Auch wenn die allgegenwärtige Hip-Hop-Musik je nach Geschmack so manchen Zuschauer nervt, so ist sie doch als Soundtrack enorm wichtig. Etwas weniger Fäkalsprache bei den Dialogen wäre allerdings besser gewesen.
In den Hauptrollen sind Jacob Matschenz (Neandertal, Vorstadtkrokodile) als Tommy und Burak Yigit als Sule zu sehen, der seine Figur fast als Karikatur eines türkischstämmigen Möchtegerngangsters anlegt. Auch die weiteren Figuren haben ihr Päckchen zu tragen. Tommys ehemalige Freundin Sina hat sich früher ins Handgelenk geschnitten, während die Weinkönigin Caro gegen das Umfeld ihrer biederen Eltern rebelliert. Da wäre auch noch Clay (Manuellsen), ein afroamerikanischer Ex-GI, der trotz des Abrückens der US-Streitkräfte in Deutschland geblieben ist und etwas verloren wirkt. Auch Tommys Mutter, gespielt von Simone Thomalla (Tatort), hat mit den Problemen ihres Sohnes zu kämpfen, und wirkt trotz ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit als Eheberaterin, alles andere als glücklich. Eine kleine Rolle als Schuldirektor hat Peter Lohmeyer (Das Wunder von Bern, Vorne ist verdammt weit weg).
Nicht nur inhaltlich, auch was die Gewaltdarstellung betrifft, ist sich Regisseur Oliver Kienle treu geblieben. Intensiv und mitunter richtig brutal sind die „Kampfszenen“ inszeniert. Getreu dem Titel fließt auch immer wieder Blut und eine scheinbar harmlose Situation kann durch die innerlich angestauten Aggressionen in einer Katastrophe enden. Fern jeder Sozialromantik präsentiert Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung die triste Existenz perspektivloser Jugendlicher, die aus ihrem Trott als Drogenkonsumenten und Dealer nicht herauskommen.
Fazit: Intensives und authentisches Jugenddrama, über weite Teile im fragmentarisch anmutenden Hip-Hop-Videoclipstil inszeniert. 8 von 10 Punkten.
Marius Joa, 23. September 2010. Bilder: Camino Filmverleih.
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