Bei der Flut von unnötigen Sequels und Reboots, auch von teilweise lang zurückliegenden Filmen, kommt es wie eine Wohltat, wenn es dann doch ausnahmsweise eine wahrlich würdige Fortsetzung gibt: Blade Runner 2049, von Regisseur Denis Villeneuve.
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Blade Runner 2049
Science-Fiction-Film USA, UK, Kanada 2017. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 163 Minuten. Kinostart: 5. Oktober 2017.
Mit: Ryan Gosling, Sylvia Hoeks, Ana de Armas, Robin Wright, Mackenzie Davis, Carla Juri, Harrison Ford, Dave Bautista, Jared Leto u.a. Regie: Denis Villeneuve. Drehbuch: Hampton Fancher und Michael Green. Nach Charakteren und Motiven von Philip K. Dick.
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Von Wundern und Erinnerungen
2049. Replikanten, künstlich erzeugte Menschen, sind mittlerweile zentraler Bestandteil der Gesellschaft. Officer K (Ryan Gosling), selbst ein Replikant der neuesten Generation, hat von seiner Vorgesetzten, Lieutenant Joshi (Robin Wright), den Auftrag erhalten, ältere Modelle zu jagen und „in den Ruhestand“ zu versetzen. Außerhalb von Los Angeles findet K den einsamen Farmer Sapper Morton (Dave Bautista), ein Modell der Serie Nexus 8. Nachdem Morton liquidiert wurde, durchsucht der neue Blade Runner die Umgebung und findet die sterblichen Überreste einer Frau, deren Existenz die Grundfesten der Gesellschaft zu erschüttern vermag. Auch der blinde Niander Wallace (Jared Leto), Unternehmenschef des Weltmarktführers in der Replikanten-Produktion, hat von dem Fund erfahren und beauftragt seine gnadenlose Assistentin Luv (Sylvia Hoeks) mit der Angelegenheit. K und seine Freundin Joi (Ana de Armas), eine künstliche Hologramm-Intelligenz, verfolgen die Spur der Überreste, die 30 Jahre in die Vergangenheit zurück reichen…
Versuche, eine Fortsetzung zu Blade Runner auf die Beine zu stellen, begannen schon Ende der 1990er, nachdem die inoffiziellen Fortsetzungsromane von Schriftsteller K.W. Jeter erschienen waren. 2007 plante Regisseur Ridley Scott unter dem Titel „Metropolis“ selbst eine Weiterführung seines Meisterwerkes. Aber weder aus den genannten Anläufen, noch aus den Planungen von Scott und seinem mittlerweile verstorbenen Bruder Tony, eine Webserie zu produzieren, wurde etwas. Im Februar 2015 wurde die Fortsetzung offiziell bestätigt, mit Scott als ausführendem Produzenten und dem kanadischen Filmemacher Denis Villeneuve (Enemy, Arrival) auf dem Regiestuhl. Das Drehbuch schrieben Hampton Fancher (Co-Autor des Originalfilms) und Michael Green, der mit Alien: Covenant (ebenfalls von Ridley Scott), Logan und dem Remake von Mord im Orientexpress (Kinostart: 9. November 2017) die Skripts zu gleich drei weiteren Großproduktionen verfasste und außerdem den Neil-Gaiman-Roman American Gods als Serie mit adaptierte. Die Dreharbeiten zu Blade Runner 2049 fanden von Juli bis November 2016 in Ungarn statt.
Obwohl Villeneuve von vorneherein als Glücksgriff für den Regie-Posten galt, so gab es (vor allem meinerseits) große Bedenken, ob auch dieser Nachfolger nicht dem hollywoodschen Gesetz namens „höher, schneller, weiter“, also mehr Action, mehr Effekte, mehr leere Designhülle (siehe Tron Legacy), unterliegt. Doch alle diese Bedenken konnten bereits nach ersten Kritikerstimmen abgelegt werden. Blade Runner 2049 könnte kaum näher an Körper und Geist des Originalfilms sein, auch wenn die Inszenierung zeitgemäß ist. Die inhaltliche Reduzierung wird fortgeführt und nicht wie 1982 über knapp zwei, sondern mehr als zweieinhalb Stunden ausgeweitet. Das macht Vielleneuves Beitrag in Teilen vermutlich noch sperriger als den Vorgänger, aber mal ehrlich: hätte man als Fan von Blade Runner wirklich etwas anderes gewollt?
Inhaltlich erweitert „2049“ das Worldbuilding, indem die Situation zwischen „natürlichen“ Menschen und Replikanten verändert wurde. Letztere sind ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft geworden, wobei die Grenzen zwischen natürlich geborenem und künstlichen Personen immer weiter verschwimmen. Protagonist K ist ein Replikant ohne Namen, aber mit Seriennummer. Nach getaner Arbeit unterzieht er sich regelmäßig einem „Basis-Test“, um seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen. K stößt durch die Jagd nach älteren Modellen auf ein unfassbares Geheimnis, dass die gesellschaftlichen Strukturen aufzulösen vermag.
Auch wenn die Optik einem technischen Update unterzogen wurde, so atmet Blade Runner 2049 mit jeder Pore die eigenwillige Bildgewalt und dystopische Schönheit des Vorgängers. Teilweise hat man (im positiven Sinne) das Gefühl, das ein oder andere düstere Hochhauspanorama sei einfach aus altem Filmmaterial etwas aufgehübscht worden. Dazu kommt das nächtlich-surreale Ambiente des Wallace-Konzerns, durch dessen kaum beleuchteten Hallen der Firmenchef wie ein blinder Totengott geistert. Selten waren auch die Actionszenen so handlungstragend. Die Musik von Vielkomponierer Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch (ihre zweite Zusammenarbeit in diesem Jahr nach Dunkirk) lehnt sich zwar an den Originalscore von Elektro-Apollon Vangelis an, erreicht aber selten dessen Subtilität, auch wenn Musik und Soundkulisse wirkungsvoll miteinander verschmelzen.
Schauspielerisch überzeugt nicht nur Ryan Golsing als anfänglich kühler Blade Runner, der allmählich seine Menschlichkeit entdeckt, auch die späte Rückkehr von Harrison Ford als Rick Deckard verleiht dessen Figur mehr Tiefe. Darüber hinaus bietet die Besetzung eine illustre Anzahl von unterschiedlichsten weiblichen Charakteren auf, von Ana de Armas als virtuelle Joi (in unterschiedlichen Erscheinungen), Mackenzie Davis (Der Marsianer) als Prostituierte bis zur Niederländerin Sylvia Hoeks (Berlin Station) als Killer-Replikantin und Robin Wright (The Congress) in der Rolle der grimmigen Polizeichefin.
Fazit: Blade Runner 2049 führt die Geschichte des Originalfilms auf angemessene Weise fort und steht diesem in punkto Bildsprache, Atmosphäre und Sperrigkeit in wenig nach. 9 von 10 Punkten.
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Robin Wright als Lt. Joshi
Was plant Niander Wallace?
K findet Deckard
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Marius Joa, 15. Oktober 2017. Bilder: Sony.
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