1968 fiel der demokratische Senator Robert Kennedy, Bruder des fünf Jahre zuvor erschossenen Präsidenten, ebenfalls einem Attentat zum Opfer. Der Schauspieler-Regisseur Emilio Estevez hat sich in einem Episodendrama diesem Kapitel amerikanischer Geschichte angenommen, um eine Parabel für Toleranz und Nächstenliebe zu schaffen. Sarah Böhlau beurteilt, ob ihm dies überzeugend gelungen ist.
Bobby
Episoden-Drama, USA 2006.
Regie & Drehbuch: Emilio Estevez.
Darsteller: u. A. Anthony Hopkins, Harry Belafonte, Laurence Fishburne, Emilio Estevez, Lindsay Lohan, Heather Graham, Helen Hunt, Ashton Kutcher, Elija Wood. 117 Minuten. FSK ab 12.
Hotel California
4. Juni 1968.
Ein Vorspann berichtet von der kürzlichen Ermordung Martin Luther Kings und der zunehmenden (Vietnam-)Kriegsmüdigkeit der amerikanischen Bevölkerung. Von der Wahl des Senators Robert Kennedy, so werden wir weiter informiert, erhoffen sich viele Amerikaner ein Ende des Krieges und der ethnischen Unruhen. Und damit sind auch schon die Grundthemen des Films ermittelt: Toleranz, Frieden und Hoffnung.
Tragisches Ende eines Abends: Miriam (Sharon Stone) und Paul (William H. Macy).
Der 4. Juni 1968 also, in Los Angeles: Normaler Hotelalltag im exklusiven Ambassador Hotel. Eben ist das Wahlkampfteam von Senator Kennedy eingetroffen, der vom Hotel aus seinen Wahlkampf in Kalifornien koordiniert. Die Angestellten gehen ihren Arbeiten nach, während sich die reichen Gäste am Pool aalen. Und alle schlagen sich mit ihren Problemen herum. Da ist zum Beispiel die alternde Musikdiva Virginia Fallon (Demi Moore), deren Alkoholprobleme sie die bedingungslose Liebe ihres Ehemanns (Regisseur Emilio Estevez) zu kosten drohen. Beim Schminken für ihren großen Auftritt am Abend teilt sie ihre bittere Philosophie über das Älterwerden mit der gleichaltrigen Hotel-Stylistin Miriam (Sharon Stone). Diese hat ihre eigenen Lebenskrise zu bewältigen: Ihr Mann, der Hotelmanager Paul (William H. Macy) betrügt sie mit einer Telefonistin (Heather Graham). An diesem Tag hat Paul den rassistischen Küchenchef Timmons (Christian Slater) gefeuert, und der steckt aus Rache Miriam die Affäre ihres Mannes. Unten in der Küche, wo sich die Kündigung Timmons noch nicht herumgesprochen hat, leidet derweil der mexikanische Küchenjunge José (Freddy Rodriguez) darunter, dass der unfaire Küchenchef ihn daran hindert, ein großes Baseball-Spiel an diesem Abend zu besuchen. Der weise Koch Robinson (Lawrence Fishburne) jedoch, dem er die Karten aus Großzügigkeit überlässt, prophezeit dem gutherzigen Jungen eine große Zukunft.
Und dann gibt es da noch den pensionierten Hotelportier (Anthony Hopkins), der den Ruhestand hasst und lieber in der Hotellobby Schach spielt, oder das gut situierte Ehepaar (Helen Hunt und Martin Sheen), das zwischen ihren materiellen Besitztümern ihre Liebe wieder finden muss. Die Liste der kleinen Episoden und ihrer Verknüpfungen ist lang, so manche geht dabei etwas verloren. In seinem Versuch, möglichst viel Kennzeichnendes der Epoche darzustellen, wirkt einiges zu bemüht, wie zum Beispiel die beiden jungen Wahlhelfer, die ihren ersten LSD-Trip bei einem Hippie-Drogendealer (wer könnte es anders sein: Ashton Kutscher) einschmeißen.
Die Besetzung von „Bobby“ liest sich wie die Gästeliste einer Oscarverleihung. Es ist in der Tat unglaublich, wie viele hochkarätige Schauspieler sich in den kleinen Episoden gegenüber sitzen. Ein weiterer Hinweis darauf, wie wichtig politische Dramen in den letzten Jahren geworden sind.
Die eigentliche Hauptfigur Robert Kennedy taucht nicht durch die Verkörperung eines Schauspielers auf, sondern wird durch alte Filmaufnahmen in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt. Reden des Senators, in denen er von einem gerechten Amerika spricht, durchziehen den gesamten Film. Ganz ähnlich gingen letztes Jahr George Clooney und Steven Sonderberg vor, als sie in „Good Night, and Good Luck“ McCarty als Feind der freien Presse in alten Fernsehmitschnitten für sich selbst sprechen ließen.
Am Ende der meisten Episoden stehen Einsicht und Versöhnung. Timmons reagiert nicht mit Bestrafung, als er José mit seinem Kumpel in der Speisekammer erwischt, wie sie das Spiel heimlich per Radio verfolgen, sondern setzt sich zu ihnen. Und als der Küchenchef von einer der Kugeln erwischt wird, die bei dem Attentat abgefeuert werden, ist es Paul, der sich um ihn kümmert.
Dieser Grundhaltung folgend, endet „Bobby“ vor dem Ambassador Hotel, wo die Menschen geschockt dem Krankenwagen mit dem sterbenden Senator nachsehen, ihre eigenen Probleme als unwichtig begreifen und sich weinend in die Arme fallen. Und über ihnen weht die amerikanischen Flagge mit – das ist die pathetische Grundaussage des Films – ungebrochener Hoffnung für ein gerechteres Amerika.
Als Nicht-Amerikaner betrachtet man dieses Pathos mit einer gewissen kritischen Distanz. Aber obwohl es ziemlich blauäugig ist, wie Estevez Frieden und Toleranz auf sein Transparent gemalt hat und den ermordeten Politiker zur Symbolfigur stilisiert, kommt trotzdem Rührung auf.
Fazit: Liebevoll verknüpftes, hochkarätig besetztes Episodendrama. 8 von 10 Punkten.
José (Freddy Rodriguez).
Filmdiva Virginia (Demi Moore).
Der Mann vor und hinter der Kamera: Emilio Estevez.
Sarah Böhlau, 19. März 2007. Bilder: Kinowelt.
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