Bevor es im Mai 2012 zum großen Zusammentreffen der Superhelden in The Avengers kommt, hat Marvel Studios seinen ersten „Rächer“ auf die Kinoleinwand geschickt. Doch ist der amerikanischste aller kostümierten Kämpfer heutzutage überhaupt noch zeitgemäß?
Captain America: The First Avenger
Comicverfilmung USA 2011. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 124 Minuten. Kinostart: 18. August 2011.
Mit: Chris Evans, Tommy Lee Jones, Hugo Weaving, Hayley Atwell, Sebastian Stan, Dominic Cooper, Neal McDonough, Stanley Tucci, Toby Jones, Samuel L. Jackson u.v.a. Regie: Joe Johnston. Drehbuch: Christopher Markus und Stephen McFeely. Nach Joe Simon und Jack Kirby.
HYDRA statt Hitler
Inmitten des zweiten Weltkrieges kreierten die beiden Comic-Autoren/Illustratoren Joe Simon (* 1913) und Jack Kirby (1917-1994) die Figur des Captain America. Nach Pearl Harbor und dem Kriegseintritt der USA diente das wandelnde Sternenbanner als Belustigung und um das amerikanische Volk in schweren Zeiten bei der Stange zu halten. Knapp siebzig Jahre später findet sich nun diese plumpe Propaganda-Figur im Kino. Das diese nicht mehr zeitgemäß ist, dürfte klar sein. Captain America: The First Avenger vermeidet es allerdings, in irgendeiner Form provokativ zu sein und wirkt daher zu brav, um wirklich interessant zu sein.
1942. Der junge Steve Rogers (Chris Evans) möchte der US Army beitreten, die wegen des Zweiten Weltkrieges händeringend nach neuen Rekruten sucht. Weil er aber kränklich und schmächtig ist, wird Steve mehrere Male abgelehnt. Durch ein vom deutschen Wissenschaftler Dr. Erskine (Stanley Tucci) entwickeltes Supersoldatenserum wird aus dem Milchbubi ein muskulöser Soldat. Doch kurz nach der Verwandlung von Steve wird das Projekt durch einen deutschen Spion gravierend sabotiert. Nachdem sich Steve als im Sternenbannerkostüm gekleideter Captain America als Werbeträger für Kriegsanleihen verkauft hat, nimmt er in Italien den Kampf gegen HYDRA auf, die „Wissenschaftsabteilung“ der Nazis. Deren Leiter Johann Schmidt alias Red Skull (Hugo Weaving) hat mittlerweile eigene Pläne, was die Weltherrschaft betrifft. Mithilfe der britischen Agentin Peggy Carter (Hayley Atwell) versucht Steve seinen alten Freund James „Bucky“ Barnes (Sebastian Stan) aus den Klauen der HYDRA zu befreien.
Steve Rogers vor der Verwandlung
Eigentlich dürfte sich mit der anarchischen Puppentrick-Satire Team America: World Police (2004) das Thema Captain America als ernstzunehmender Superheld erledigt haben. Doch dennoch wollten die Marvel-Bosse ihren Nationalhelden beim großen Ensemble-Finale The Avengers (2012) dabei haben. Und deshalb musste für den muskelbepackten Schönling ein eigener Film her. Daher wirkt der Streifen als ob man eine eher lästige Pflichtübung über die Bühne bringt. Treu nach Schema F werden die nötigen Punkte abgearbeitet, so dass man sie dann auf einer Liste abhaken kann. Am Ende muss der Captain aus seinem fast siebzigjährigen „Winterschlaf“ erwachen und auf SHIELD-Direktor Nick Fury (Samuel L. Jackson) treffen, damit dieser ihn rekrutieren kann. Eine kurze Szene nach dem Abspann bietet eine kleine Vorschau auf The Avengers im nächsten Jahr.
Es wäre wohl wesentlich interessanter gewesen, den Captain bereits im früh im Film ins ewige Eis abstürzen zu lassen und dann seine mühevollen Versuche sich an das 21. Jahrhundert anzupassen als Hauptgeschichte zu erzählen, ähnlich wie in Forever Young (1992). Doch dazu hat es den Machern um Regisseur Joe Johnston (Jurassic Park III) sowie den Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeely (Die Chroniken von Narnia) wohl am kreativen Mut gefehlt. Lediglich in den Bühnenrevues, in denen Captain America als Werbeträger für die Kriegspropaganda auftritt, deuten sich eine Richtung an, in die der Film hätte gehen können.
Eine Konfrontation mit Nazis erlebt Captain America überhaupt nicht. Stattdessen kämpft er mit seinen Mitstreitern gegen die Organisation HYDRA, die so schlimm und böse ist, dass sich sogar der Führer selbst von ihr distanziert. Der Superbösewicht ist hier Johann Schmidt, der übrigens das gleiche Supersoldatenserum wie der Captain injiziert bekam, dadurch allerdings größenwahnsinnig wurde. Wegen seines entstellten Kopfes wird er Red Skull genannt. Die Marschroute der Geschichte geht also nicht in Richtung Kriegsfilm, sondern es wird munter in die Science-Fiction abgedriftet. Bei all den gesichtslosen Soldaten von HYDRA und deren Strahlenwaffenarsenal fühlt man sich in einer Mischung aus Hellboy und Star Wars: Episode II. Nur, dass die Actionszenen nicht so überladen und unübersichtlich sind, wie man es vielleicht befürchtet hat.
Die Darsteller befinden sich im Autopilot. Chris Evans ist zwar als Steve Rogers/Captain America besser als in seiner faden Rolle bei den Fantastic Four, aber mit einem besseren Schauspieler hätte man aus der Figur mehr rausholen können. Tommy Lee Jones gibt den knorrigen Colonel, während Hayley Atwell (Die Säulen der Erde) als britische Agentin und Quotenfrau verschenkt wird. Der einzige Charakter mit ein wenig Tiefe, Dr. Erskine, gespielt von Stanley Tucci (Der Teufel trägt Prada), stirbt vorlagengetreu sehr früh und wird schnell vergessen. Hugo Weaving spult sein Schurkenprogramm runter, fast so als würde er nur seine Rolle als Agent Smith aus Matrix fortsetzen. Im Lauf des Films kämpft der Captain übrigens an der Seite einer internationalen Elite-Truppe mit dem Quoten-Franzosen, dem Quoten-Iren, dem Quoten-Briten und dem Quoten-Amerikaner japanischer Abstammung.
Man glaubt es kaum, aber ausgerechnet bei den 3D-Effekten überrascht uns Captain America: The First Avenger. Denn obwohl es sich hier um einen erst hinterher umgewandelten Streifen handelt, überzeugt die Optik halbwegs und bietet einige Tiefeneffekte. Das rettet das Machwerk aber auch nicht vor dem hinteren Mittelmaß. Im Hinblick auf die immer schwächere Qualität ihrer neuen Filme (Thor, Captain America) sollten sich die Oberen bei Marvel fragen, ob es Sinn macht, nach den Avengers noch weitere Produktionen zu stemmen.
Fazit: Statt ein halbwegs tiefgründiges Szenario für Amerikas patriotischsten Helden zu liefern, driftet der Film in halbgare Science-Fiction ab und vermeidet so jegliche Auseinandersetzung. 4 von 10 Punkten.
Steve Rogers nach der Verwandlung
Iron Mans zukünftiger Daddy
Agentin Peggy Carter
Marius Joa, 28. August 2011. Bilder: Paramount/Marvel.
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