Cinderella the Cat – La Gatta Cenerentola

Ein retro-futuristisches Kreuzfahrtschiff, ein hinterhältiger Drogenbaron, eine Edel-Prostituierte, ihre Kinder und ein stummes Waisenmädchen. Das sind die zentralen Personen im italienischen Animationsfilm Cinderella the Cat, frei nach bekannten Märchenmotiven.

Cinderella the Cat
(Gatta Cenerentola)
Animationsfilm Italien 2017. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 86 Minuten. OmdU. Kinostart: 27. September 2018.
Originalsprecher: Massimiliano Gallo (Salvatore Lo Giusto), Maria Pia Calzone (Angelica Carannante), Alessandro Gassman (Primo Gemito), Antonio Brachi (Dottore Cozza), Chiara Baffi (Barbara), Anna Trieste (Sofia), Federica Altamura (Anna), Ciro Capriello (Luigi), Maricarla Norall (Mia Basile), Mariano Rigillo (Vittorio Basile) u.a. Regie: Ian Capiello, Marino Guarnieri, Alessandro Rak, Dario Sansone.

 

 

Niedergang in Neapel

Vittorio Basile (Mariano Rigillo), ein visionärer Wissenschaftler, möchte Neapels Hafen in ein großes Zentrum für Fortschritt und Wohlstand verwandeln, mit ausreichend Arbeitsplätzen für alle Einwohner. Dazu hat Basile das gigantische Schiff „Megaride“ bauen lassen, auf welchem dank modernster Technik alles aufgenommen wird, was dort so passiert. Auch um seiner dreijährigen Tochter Mia ein besseres Leben zu ermöglichen heiratet der in seiner Arbeit aufgehende Witwer die Edel-Prostituierte Angelica (Maria Pia Calzone), welche sechs eigene Kinder, fünf Töchter und einen Sohn, mit in die Ehe bringt. Doch noch während der Hochzeitsfeier wird Vittorio von Angelicas Geliebten, dem Drogendealer Salvatore Lo Giusto (Massimiliano Gallo), ermordet. 15 Jahre später liegt die Megaride immer noch im Hafen Neapels. Das verfallene Schiff wurde von Angelica in ein Bordell umgewandelt, wo sich auch ihre mittlerweile erwachsenen Töchter und der transsexuelle Sohn prostituieren. Salvatore hat sich unterdessen ein Drogenimperium aufgebaut, als Tarnung dient ein Unternehmen, welches exklusive Damenschuhe herstellt. Mit der Hilfe internationaler Investoren möchte der Gangster und passionierte Sänger die Stadt als nie dagewesene Verbrecher-Hochburg neu aufbauen. Doch zuvor muss Mia, die seit dem traumatischen Tod ihres Vaters kein Wort mehr gesprochen hat, an ihrem bevorstehenden 18. Geburtstag einen Vertrag unterschreiben, mit welchem sie ihr Erbe an Angelica und Salvatore übergibt. Angelica und ihre Töchter behandeln das stumme Mädchen, welches mit seiner Katze durch die Gänge und Schächte des Schiffes streunt, als ungeliebte Dienstmagd. Primo Gemito (Alessandro Gassman), der frühere Leibwächter Basiles, arbeitet mittlerweile für die Polizei und versucht durch einen Undercover-Einsatz Beweise für Salvatores Verbrechen zu finden…

Nach seinem mit dem Europäischen Filmpreis als bester Animationsfilm ausgezeichneten Debüt The Art of Happiness (L’arte della felicitá, 2013), in Deutschland bisher unveröffentlicht, erschuf Alessandro Rak gemeinsam mit seinen drei Weggefährten Ian Capiello, Marino Guarnieri und Dario Sansone das moderne Zeichentrick-Märchen Cinderella the Cat, Originaltitel: Gatta Cenerentola, zu deutsch etwa „Katzen-Stiefkind“. Der Stoff basiert zum einen auf der italienischen Variante des bei uns bekannten Märchens Aschenputtel aus den Pentamerone, eine Geschichtensammlung von Giambattista Basile aus dem 17. Jahrhundert (siehe Das Märchen der Märchen). Außerdem war das 1976 veröffentlichte Musical La Gatta Cenerentola, welches von Roberto De Simone in neapolitanischer Sprache verfasst wurde, eine weitere Inspirationsquelle. Dem Regie-Quartett, welches auch maßgeblich an der Drehbuchentwicklung beteiligt war, gelingt mit ihrem formalen und materiellen Stilmix eine zumindest außerhalb der Stiefel-Halbinsel sehr neuartige Cinderella-Version, gnädigerweise völlig frei von Disneykitsch.

Schauplatz des Geschehens ist fast ausschließlich das titanichafte Kreuzfahrtschiff, das bezeichnenderweise nie in See sticht, mit seinen retro-futuristischen Design. Flirren zu Beginn noch die Hologramme von Fischen und anderen Meeresbewohnern durch die Räume so sorgt der Verfall des Giganten für die geisterhaften Erscheinungen von Szenen aus der Vergangenheit, welche durch die unsichtbaren Kameras über die Jahre aufgenommen wurden. Als ob der Film eine Art auf abendfüllende Länge erweitere Story aus der Animatrix wäre. Was die gesamte Szenerie betrifft so meint man sich hier in den 1940er oder 1950ern zu befinden, würden nicht ab und zu manche der Figuren ihr Mobiltelefon zücken. Dass sowohl klassisch gezeichneten als auch am Computer animierten Bilder dann ein wenig unfertig aussehen gehört zum Kalkül der Macher. Dank Motion-Capture sind die Bewegungen der Figuren absolut photorealistisch.

Inhaltlich könnte man in diesem Gangsterdrama à la Der Pate und Konsorten nur kaum weiter von einem richtigen Märchen entfernt sein. Vor allem das Schattendasein der Frauen wird durch Liebeslieder illustriert, die in Anbetracht der inhärenten Realität einfach blanker Hohn sind. Salvatore himself, gleichzeitig Antagonist und einer der Hauptfiguren, darf die weiteren musikalischen Höhepunkte liefern, etwa wenn er ironisch-poetisch den Dreck und Müll Neapels besingt. Die im Stile klassischer volkstümlicher italienischer Schlager gehaltenen Songs verleihen Cinderella the Cat eine schwelgerische Note. Man träumt von besseren Zeiten. Die Regisseuren, allesamt aus Neapel, thematisieren dabei auch die andauernden Probleme ihrer Heimatstadt wie Korruption, organisiertes Verbrechen, hohe Arbeitslosigkeit und das massive Müllproblem.

Einen besonders ausgeklügelten Plot besitzt der Animationsstreifen sicherlich nicht, was allein der kurzen Laufzeit von kaum mehr als 75 Minuten ohne Abspann geschuldet sein dürfte. Gekonnt spielt das Skript jedoch mit den Erwartungen der Zuschauer und gestaltet die Handlung recht abwechslungsreich. So mancher Zuschauer dürfte sich allerdings wünschen, die offizielle Inhaltsangabe und das Poster hätten etwas weniger Spoilerpotenzial.

Fazit: La Gatta Cenerentola verarbeitet eine surreal-moderne Aschenputtel-Variante als Gangsterballade in impressionistischer, retro-futuristischer Optik, fernab von allzu glatten CGI-Animationen aus Hollywood. 8 von 10 Punkten.

Salvatore der Sänger

Angelica und ihre Stieftochter

Die Nachtigall schweigt

 

Marius Joa, 18. November 2018. Bilder: missingFilms.

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