Drei ungleiche Brüder, ein toter Vater, eine getürmte Mutter, eine hübsche Zugbegleiterin, eine gefähliche Giftschlange, ein überfoderter Assistent mit einem Laminiergerät, ein ramponiertes Gesicht, ein Kurzfilm & zwei Kurzgeschichten (von einer aber nur das Ende), eine Beerdigung in Schwarz, eine Beeerdigung in Weiß, drei Pfauenfedern, eine Sonnenbrille mit falscher Sehstärke, jede Menge Hustensaft, eine aufeinander abgestimmte Loius Vitton Kofferkollektion mit Tiermotiven … und ein quietschbunter Zug names Darjeeling Limited, auf dessen Schienen all das durch wunderschöne indische Landschaften gefahren wird.
Darjeeling Limited (The Darjeeling Limited)
Tragikomödie, USA 2007. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 92 Minuten.
Mit: Owen Wilson, Adrien Brody, Jason Schwartzman, Angelica Houston, Bill Murray u.v.a.
Regie: Wes Anderson. Drehbuch: Wes Anderson, Jason Schwartzman, Roman Coppola.
Eine Zugfahrt, die ist lustig
Wes Anderson ist einer der Regisseure, bei denen man sich schon beim Verlassen des Kinosaals auf seinen nächsten Film freut. Lange genug hat er gebraucht, um nach Die Tiefseetaucher und The Royal Tennenbaums wieder einen seiner abendfüllenden Spielfilme ins Kino zu bringen. Der Stil des Regisseurs dominiert alle seine Filme und setzt sich irgendwie aus verträumt-märchenhaften, philosophisch-melanchonischen und provozierenden Elementen zusammen, ohne jedoch an einer Stelle einen irritierenden Stilbruch zu verursachen. Wer sich mit diesem Stil, etwa in den beiden oben genannten Filmen schon nicht recht anfreunden konnte, sollte sich einen Kinobesuch gut überlegen. Es ist wie mit Tim Burton, dessen Filme man alle schon auf den ersten Blick an der unverwechselbaren optischen Handschrift des Regisseurs erkennt. Auch Wes Anderson bleibt seinem Stil treu, verfeinert ihn allerdings und legt mit The Darjeeling Limited einen großartigen Film vor.
Der Inhalt: Die drei Brüder Francis (Owen Wilson), Jack und Peter (Adrian Brody) haben vor rund einem Jahr ihren Vater beerdigt. Weil der Kontakt seitdem eingeschlafen ist, versammelt Francis alle drei Brüber zu einer „spirituellen Reise“ in Indien. Ihr Gepäck besteht nicht nur aus der speziell angefertigten Loius Vitton Kofferkollektion ihres Vaters, sondern auch aus ihren eigenen Problemen.
Peter ist glücklich verheiratet, hat aber, wie er sagt, eigentlich nie mit einem Erfolg der Ehe gerechnet. Jetzt ist seine Frau schwanger und er von der Situation völlig überfordert. Den Tod des Vaters verarbeitet er, indem immer er dessen alte Sonnenbrille (mit falscher Sehstärke) trägt.
Jack ist Schriftsteller und läuft permanent vor seiner dominaten Exfreudin (Natalie Portman) davon, die ihn bereits (wie ein vor dem eigentlichen Film gezeigter „Kurzfilm“ verrät) in Paris aufgespürt hat. Jetzt ist er nach Indien geflohen, hört aber ständig über Telefon ihren AB ab. Er überlegt, sich mit ihr in Italien zu treffen.
Der schwerreiche Francis hat sich bei einem Unfall (oder auch keinem Unfall) sein Gesicht verletzt und trägt die ganze Reise über Bandagen. Er hat seinen Assistenten irgendwo im Zug untergebracht, der die von Francis verlangten Pilgerfahrten und spirituellen Sitzungen koordiniert. Er verheimlicht seinen Brüdern das eigentliche Ziel der Reise: Er hat ihre nach dem Tod des Vaters verschwundene Mutter (Angelica Houston) in einem indischen Kloster aufgespürt.
Schon allein Wes Andersons wunderschöne Bildsprache macht den Film mehr als sehenswert. Wenn es geht, sollte man Darjeeling Limited auf einer großen Leinwand sehen, da allein die leuchtenden Farben des Films einen würdigen Rahmen verdienen. Der Regisseur greift wieder auf Schauspieler zurück, mit denen er bereits mehrfach zusammengearbeitet hat: Owen Wilson und Angelica Houston waren bereits mehrfach in Anderson-Filmen zu sehen und auch Bill Murray wird mit einer kleinen Nebenrolle als reisender Geschäftsmann versehen. Jason Schwartzman übernimmt nicht nur eine der drei Hauptrollen, sondern hat auch das Drehbuch mit verfasst (ob das wohl der Grund ist, warum Jack gleich zwei Sexszenen hat, während die anderen Figuren alle leer ausgehen…?)
Die beachtliche Running-Gag Dichte sorgt für viele sichere Lacher, etwa Peters Sonnenbrille oder Francis’ Gürtel. Vor allem aber sind die väterlichen hellbrauen Lederkoffer ein einziger Blickfang, nicht zuletzt wegen der Tiermotive. Jeder der drei Brüder besitzt ein paar Teile des Sets, die Koffer tragen noch die Initialen des Vaters und begleiten die Brüder überall hin (wunderbare Szene: die Männer fahren zu dritt auf einem kleinen Mofa durchs Bild, ihnen folgt ein schwer beladenes Auto mit allen Koffern) – erst am Ende werden sie stellvertretend für den Ballast der Vergangenheit auf dem Bahnsteig zurückgelassen.
Über den Schriftsteller Jack arbeitet Anderson vergangene Erlebnisse in den Film ein. Jack hat seine neue Kurzgeschichte namens „Luftwaffe Automobile“ dabei, die er seinen Brüder zu lesen gibt. Die Geschichte ruft vor allem bei Peter starke Emotionen hervor, der Zuschauer erfährt jedoch nur in Andeutungen, wovon die Geschichte handelt und dass es einen realen Bezug zu dem Erlebnis geben muss. Erst in der zweiten Hälfte des Films wird ein Rückblick eingeschoben, bei dem die Brüder gerade zur Beerdingung des Vaters in New York fahren und währenddessen in einer deutschen Autowerkstadt namens „Luftwaffe Automobile“ den kaputten Sportwagen des Verstorbenen abholen wollen. Diese Episode ist sehr schön in die laufende Filmhandlung eingebaut: Dort befinden sich die Brüder gerade bei der Beerdigung eines indischen Jungen. Das Bild verwandelt sich dabei von einer Großaufnahme der drei Brüder, die ganz in Weiß (indische Trauerfarbe) gekleidet nebeneinander sitzen, zu einem identischen Bild auf der väterlichen Beerdigungsfahrt in New York, nur dass die drei nun Schwarz tragen und andere Frisuren (und in Francis Fall: ein unversehrtes Gesicht) haben. Auch die Vorgeschichte von Jack und seiner Exfreundin in Paris, die in einem Kurzfilm namens „Hotel Chevalier“ dem eigentlichen Film vorgeschoben ist, wird am Ende von Jack in einer neuen Kurzgeschichte aufgearbeitet.
In der Synchrosation wurde im Übrigen an Nationalitäten gedreht: Im Zug begegnen die Brüder zwei unfreundlichen Schweizer Damen. Die haben interessanterweise allerdings erst in der Synchronisation ihre EU-Mitgliedschaft verloren, im Abspann sind sie noch als „German Lady“ #1 und#2 aufgeführt.
Fazit: Bunt, verrückt und weise. 8 von 10 Punkten.
Ungleiche Brüder: Jack, Francis und Peter.
Sarah Böhlau, 19. Januar 2008. Bilder: Fox.
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