Es war einmal ein gefeierter Regisseur aus Italien, der für seinen neuesten Film drei Geschichten aus der Märchen-Sammlung Pentameron verfilmte und dabei ein eigenwilliges Werk vollbrachte.
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Das Märchen der Märchen
(Il racconto dei racconti; Originaltitel) (Tale Of Tales; internationaler Titel)
Fantasyfilm Italien/Frankreich/UK 2015. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 134 Minuten. Kinostart: 27. August 2015.
Mit: Salma Hayek, Vincent Cassel, Toby Jones, Christian Lees, Jonah Lees, Hayley Carmichael, Shirley Henderson, Bebe Cave, Guillaume Delaunay, Stacy Martin, Franco Pistoni, Alba Rohrwacher u.a. Regie: Matteo Garrone. Drehbuch: Matteo Garrone, Edoardo Albinati, Ugo Chiti, Massimo Gaudioso. Nach Erzählungen aus dem Pentameron von Giambattista Basile.
Märchen mal anders
In benachbarten Ländern spielen sich die drei folgenden Geschichten ab. Der König (John C. Reilly) und die Königin (Salma Hayek) von Longtrellis versuchen seit Jahren ein Kind zu bekommen, doch es funktioniert nicht. Ein Magier (Franco Pistoni) gibt ihnen den Rat, dass die Königin das von einer Jungfrau gekochte Herz eines Seeungeheuers verspeisen soll. Unter großem Opfer gelingt es dem König das Monstrum zu töten. Nach dem Verzehr des Herzens wird aber nicht nur die Königin, sondern auch die jungfräuliche Magd schwanger und beide bringen je einen Sohn zur Welt. Als Jugendliche gleichen sich die beiden weißhaarigen Jungen Elias (Christian Lees) und Jonas (Jonah Lees) wie eineiige Zwillinge und sind unzertrennlich. Die Königin versucht ihrem Sohn, der als Thronfolger ausersehen ist, den Umgang mit seinem niederen Doppelgänger zu verbieten.
Der König von Highhills (Toby Jones) vernachlässigt seine Tochter Prinzessin Violet (Bebe Cave), weil er seine ganze Aufmerksamkeit einem Floh schenkt. Dank reichlicher Nahrung wächst das Tier auf ungeheure Größe an, bis es schließlich stirbt. Um der Forderung seiner Tochter nach einer Heirat nachzukommen, unterstellt der König die Freier einer Prüfung. Wer diese besteht, darf die Prinzessin ehelichen.
Der König von Strongcliffe (Vincent Cassel) ist ein Ladykiller und Hedonist wie er im Buche steht. Keine attraktive Frau ist vor seiner Libido sicher. Als er aus der Ferne eine wunderschöne Stimme singen hört, ist er völlig verzaubert. Natürlich versucht der potente Herrscher die Frau zu finden und für sich zu gewinnen. Bei seiner Angebeteten handelt es sich jedoch um die hässliche alte Dora (Hayley Carmichael), die mit ihrer gleichsam unansehnlichen Schwester Imma (Shirley Henderson) im Verborgenen lebt. Als der König nicht locker lässt, willigt Dora ein, sich ihm hinzugeben, allerdings nur in völliger Dunkelheit.
Elias und sein “Bruder” Jonas
Märchen, Sagen und Fabeln gehören nicht nur zu den Konstanten in der Literatur. Auch in Kino und Fernsehen haben sie sich einen festen Platz erobert. Egal ob nun die verkitschten Disney-Adaptionen, die eigenständigeren Märchenfilme aus Osteuropa oder die ARD-Neuauflagen (“Sieben auf einen Streich”), Märchen sind überall präsent. Inhaltlich erfrischend erscheint auf jeden Fall Matteo Garrones Märchen der Märchen.
Bisher hat sich der Italiener hauptsächlich einen Namen mit dem Mafia-Drama Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra (2008) gemacht. Nach dem Dokusoap-Drama Reality (2012) adaptierte Garrone für seine dritte Regie-Arbeit drei Erzählungen aus dem Pentameron (“Fünftagewerk”), einer Sammlung bekannter Märchen, veröffentlicht vom italienischen Schriftsteller Giambattista Basile im 17. Jahrhundert. In der Anthologie finden sich auch frühe Fassungen von Aschenputtel, Rapunzel, Der Gestiefelte Kater, Dornröschen sowie Hänsel und Gretel. Garrone und seine drei Co-Autoren verwendeten für das Skript aber drei wenig bekannte Geschichten. Diese beinhalten zwar gängige Märchenmotive, haben aber ansonsten nicht viel mit den bekannten Erzählungen gemein. Das wird aber sehr zum Vorteil genutzt, weil die Geschichten dadurch nicht unbedingt vorhersehbar sind. Im Gegensatz zu vielen Fabeln oder Märchen verzichtet die vorliegende Adaption auf die gängige „Moral von der Geschicht‘“. Stattdessen wird die Interpretation des Gesehenen dem Zuschauer überlassen.
Die zweite große Stärke des Films sind die Schauplätze. Obwohl sie alle sehr surreal und irgendwie sogar etwas künstlich aussehen, handelt es sich nicht um Studiosets. Gedreht wurde ausschließlich an Originalschauplätzen in Italien, verschiedenen Burgen und Schlössern sowie Tuffsteinhöhen in der Toskana. Diese Schauplätze und die teils opulenten Kostüme verleihen Märchen der Märchen etwas Magisches, zugleich wirkt die Inszenierung aber auch bodenständig. Kein Bilderrausch, aber doch eine illustre Märchen-Gesellschaft.
Obwohl Märchen der Märchen nicht vor Düsternis und Brutalität zurückschreckt, so wirkt der Film in seiner Gesamtheit dann doch ein wenig bieder. Vor allem die Story um die Doppelgänger (deren Motiv sich z.B. auch in Mark Twains Roman Der Prinz und der Bettelknabe wiederfindet) hätte eine bessere inhaltliche Ausarbeitung verdient.
Fazit: Märchen der Märchen vermittelt eher unbekannte Geschichten mit einer düsteren sowie surreal-schönen Inszenierung ohne Moralkeule. 7 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 11. September 2015. Bilder: Concorde.
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