Didi (2024)

Für sein Spielfilmdebüt Dìdi gewann Sean Wang den Publikumspreis beim diesjährigen Sundance Film Festival im Januar 2024. Das autobiographisch geprägte Drama erzählt von einem 13jährigen Jungen auf der Suche nach seinem Platz im Leben.    

Dìdi
Jugenddrama USA 2024. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 93 Minuten. Kinostart: 15. August 2024.
Mit: Izaac Wang, Joan Chen, Shirley Chen, Chang Li Hua, Raul Dial, Aaron Chang, Mahaela Park, Chiron Denk, Sunil Maurillo, Montay Boseman u.a. Drehbuch und Regie: Sean Wang.



Asian-American Boyhood

2008. Chris Wang (Izaac Wang), genannt Dìdi oder Wang-Wang, ist ein 13jähriger Junge aus einer taiwanesischen Einwandererfamilie. Während der Vater zum Arbeiten in Taiwan weilt lebt Chris mit seiner Mutter (Joan Chen), Nai Nai (Chang Li Hua), der Oma väterlicherseits, und seiner älteren Schwester Vivian (Shirley Chen), die bald aufs College gehen soll, im kalifornischen Fremont. Nicht nur die Anfänge sozialer Netzwerke wie Facebook und Youtube prägen seinen Sommer vor dem Beginn der Highschool, sondern auch die Zeit mit seinen Freunden Fahad (Raul Dial) und Soup (Aaron Chang). Zwischenzeitlich versucht Chris auch bei der 15jährigen Madi (Mahaela Park) zu landen und lernt eine Gruppe älterer Jungs kennen, deren Skater-Aktivitäten er mit der Kamera festhält. Die Spannungen im Hause Wang nehmen unterdessen zu…

Bisher hatte Filmemacher Sean Wang Kurzfilme und Dokumentationen gedreht, darunter Lady of the Harbour (2019), über den Umgang von seit Jahrzehnten in Griechenland lebender Chines*innen mit der aktuellen Flüchlingskrise, und Chinas Marmorträume: Eine Globalisierungsodyssee (2021), über die griechisch-chinesische Marmor-Produktionskette. Nai Nai & Wai Po (2023), Wangs Kurzdoku über seine beiden Großmütter, erhielt eine Oscar-Nominierung. Mit Dìdi hat er sein erstes abendfüllend-fiktionalenes Werk geschaffen, das ich mir ehrlich gesagt auch deswegen diese Woche auf der großen Leinwand angesehen habe, weil zwei andere Kinostarts der Woche (Cuckoo von Tilman Singer und Schirkoa: In Lies We Trust) in den beiden Kinos der Stadt leider nicht gezeigt werden.

Familie Wang beim Essen

Sean Wang verarbeitet in seinem autobiographischen Drehbuch die eigene Jugend. Denn auch er stammt aus einer taiwanesischen Immigranten-Familie, wuchs in Fremont auf und drehte als Teenager Skateboarding-Videos. Bei den Dreharbeiten im Juli und August 2023 kamen überwiegend junge Menschen ohne bisherige Schauspielerfahrung zum Einsatz. Nai Nai, die Oma des Titelhelden, wurde von Chang Li Hua, Wangs eigener Großmutter mütterlicherseits, gespielt. Dìdi überzeugt nicht nur mit einer lebensechten Story, sondern auch durch den gesamtheitlich authentischen Ansatz.

Desöfteren wechselt das Bildformat zwischen den Clips der albernen Jungenstreiche, den Skater-Videos und der normalen Spielhandlung, was für eine irgendwie rastlose, aber auch fassbare Atmosphäre sorgt. Die Bilder von Kameramann Sam A. Davis (Nai Nai & Wai Po) wirken bisweilen etwas unscharf, passend zum vor eineinhalb Jahrzehnten verfügbaren Equipment. Sean Wang nimmt die Zuschauer*innen zurück in eine Zeit als Youtube und Facebook sowie Smartphones noch ziemlich in den Kinderschuhen steckten und man noch sehr viel über Messenger-Dienste wie AIM kommunizierte. Ein nicht unerheblicher Teil der Handlung wird über Chat-Bildschirme erzählt.

Inhaltlich gestaltet sich der Film auch deswegen so lebensecht, weil Autor und Regisseur Sean Wang hier kein großes Drama inszeniert oder abgedroschene Plot Points zelebriert. Man hätte die Geschichte von Chris sicherlich an manchen Stellen etwas weiter ausarbeiten können, aber gerade diese bewusst unvollständige Momentaufnahme in Form der Erlebnisse des letzten Sommers vor der Highschool wirkt organisch.

Der 13jährige Protagonist, kein Kind mehr und noch lange kein Erwachsener, stößt die Menschen in seinem Umfeld immer wieder vor den Kopf. Seiner Mutter wirft er vor, dass sie ihn vor anderen bloßstelle, mit seiner Schwester streitet er sich und auch langjährige Freunde scheinen sich von ihm abzuwenden. Am Ende hat Chris einige falsche Entscheidungen getroffen, die ihn zwar nicht komplett aus der Bahn werfen, aber doch als Lektionn fürs Leben dienen.

Mit seiner ungebremsten Unmittelbarkeit wirkt Dìdi fast dokumentarisch, auch dank eines authentischen, in Sundance ebenfalls preisgekrönten Ensembles um den zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 15jährigen Izaac Wong (Raya und der letzte Drache) als Chris, Joan Chen (bekannt u.a. aus Twin Peaks und Marco Polo) als Mutter, Shirley Chen (Quiz Lady) als Vivian sowie Chian Lu Hua als resolute Oma.                   

Fazit: Überaus authentisches Coming-of-Age-Drama über den 13jährigen Sohn einer taiwanesischen Einwandererfamilie in Kalifornien der späten Nullerjahre. 8 von 10 Punkten.



Chris filmt die älteren Jungs beim Skaten
Chris und sein Schwarm Madi
Fastfoodessen mit Mama



Marius Joa, 31. August 2024. Bilder: Universal.


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