Schon Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam hat gezeigt, dass Filme mit einem langen Titel nicht unbedingt großes Kunstkino sein müssen, sondern jeder Zuschauer, der sich von der Länge eines Filmtitels abschrecken lässt, selbst schuld ist, wenn er deshalb einen guten Film verpasst. Doch trifft das auch auf Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford zu?
Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford (The Assassination of Jesse James by the coward Robert Ford)
Drama, USA 2007. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 160 Minuten.
Mit: Brad Pitt, Casey Affleck, Sam Rockwell, Sam Shepard, Mary-Louise Parker u.a.
Regie: Andrew Dominik
Mensch oder Mythos?
War Jesse James ein Held? Ein amerikanischer Robin Hood? Oder ein skrupelloser Verbrecher? Und wie wirken sich die Antworten auf diese Fragen auf das Ansehen seines Mörders aus?
Als Robert, genannt Bob, Ford (Casey Affleck) zu der legendären Bande von Jesse James (Brad Pitt) und dessen Bruder Frank (Sam Shepard) stößt, sind deren Zeiten mit großen Überfällen und nicht minder großen Schlagzeilen schon fast vorbei. Einen letzten Zugüberfall soll es noch geben, dann wollen sich die James-Brüder zurückziehen. Bob Ford, der jüngere Bruder des schon lange mit Jesse James umherziehenden Charley Ford (Sam Rockwell), will sich dabei unbedingt beweisen und mit seinen großen Vorbildern reiten. Jesse findet Gefallen an dem Jungen und nimmt ihn in seine neue Truppe auf, die er nach dem Austritt seines Bruders Frank gründet. Doch schon bald gibt es interne Streitigkeiten, Festnahmen und Jesse entwickelt eine starke Paranoia gegenüber seinen Kameraden. Zu Recht, wie sich herausstellen soll …
Der Mythos Jesse James wird gespielt von Brad Pitt.
Bei einem Film von einer Länge über zweieinhalb Stunden mit einem derart elegischen Titel geht man doch recht skeptisch in eine Spätvorstellung und da der Filmtitel auch nicht unbedingt Überraschungen verspricht, ist eine einschläfernde Wirkung nicht eben unwahrscheinlich. Doch Regisseur Andrew Dominik, der wie bei seinem ersten Film Chopper auch das Drehbuch geschrieben hat, schafft es trotz all dieser Schlafmittelfaktoren, dem Film eine innere Spannung mitzugeben, die den Zuschauer bis zum Schluss fesselt.
Die Ermordung des Jesse James zeichnet eine detaillierte Charakterstudie sowohl von Jesse James als auch von Bob Ford und löst beide aus dem Mythos, der sie seit über einem Jahrhundert mit einer Schicht aus Verfälschungen bedeckt. Jesse James, so wird deutlich, ist keineswegs ein Held, sondern neigt aufgrund seiner Paranoia neben sadistischen Übergriffen auch zu einem schnellen Finger gegenüber seinen Bandenmitgliedern. Selbst im Kreis seiner Familie wirkt er immer grüblerisch und angespannt, die Angst vor einer Verhaftung und vielleicht noch mehr vor dem Verrat treibt ihn in die Anfänge einer Depression. Deshalb wird allerdings Bob Ford nicht zum verkannten Helden stilisiert, sondern auch er wird äußerst ambivalent dargestellt. Als Kind noch ein glühender Verehrer von Jesse James wächst bei ihm mit seiner Angst vor der Übermacht und Willkür des Bandenführers eine Art Hass-Liebe, die ihn schließlich dazu bringt, James nicht nur zu verraten, sondern ihn auch gleich zu ermorden. Gleichzeitig wird bei ihm, dem jüngsten von fünf Brüdern, ein starkes Geltungsbedürfnis offenbar, dass er mit dem Mord am meistgesuchten Verbrecher seiner Zeit stillen will. Doch der Ruhm, nach dem er sich so sehnt, wird nicht ihm zuteil, sondern seinem Opfer.
Diese Figuren voller innerer Widersprüche verlangen nach hervorragenden Schauspielern, um die Geschichte nicht flach werden zu lassen. Brad Pitt (Babel, Oceans Thirteen) und Casey Affleck (The Last Kiss, Oceans Thirteen) überzeugen beide in ihren Rollen, doch besonders letzterer erhält mit der steten Wandlung seiner Gesichtszüge vom schmeichelnden Untergebenen über den aufmüpfigen Rebellen bis hin zum überheblichen Mörder die Spannung des Films. Nicht zu vergessen ist auch Sam Rockwell (Per Anhalter durch die Galaxis), dessen zu Beginn tumbe Figur sich immer mehr zum moralischen Fixpunkt entwickelt.
Die vielen wiederkehrenden Spielereien mit Licht und Kameraeinstellungen wirken zwar teilweise etwas konstruiert, aber nie störend und befördern mit ihren ständigen Gegensätzen von dunklen, engen Häusern und der weiten Landschaft die beinahe lyrische Dramaturgie des Films. Auch wenn Die Ermordung des Jesse James in der Zeit und dem Milieu eines typischen Westerns spielt, so ist es doch mehr ein Psychogramm wenn nicht sogar eine Parabel auf heutige Mythenbildung, was nicht zuletzt in der Verkörperung des Jesse James durch Brad Pitt, einem der großen Stars der Gegenwart, angelegt ist.
Doch es gibt auch einige Schwachstellen: Zum einen scheinen die Amerikaner vergessen zu haben, dass nicht jeder Europäer mit der Legende Jesse James vertraut ist. Zu schnell werden am Anfang wichtige Informationen abgehandelt, wenn der Zuschauer sich noch nicht in den Film eingefunden hat und diese deshalb nur am Rande wahrnimmt. Außerdem werden einige Erzählstränge zu ausführlich erzählt; sie sind zwar nie überflüssig, aber etwas weniger epische Ausmaße hätten dem Verständnis des Films keinen Abbruch getan. So kommt es dazu, dass es in den zweieinhalb Stunden ab und zu längere Szenen gibt – langweilig wird der Film jedoch nie.
Fazit: Lyrische und fesselnde Charakterstudie. 7 von 10 Punkten.
Jesse (Brad Pitt) vertraut Bob (Casey Affleck)…
… doch der ist zu allem bereit.
Lena Stadelmann, 25. November 2007. Bilder: Warner.
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