Nach der ersten Verfilmung der Novelle von Martin Walser durch Peter Beauvais 1983 unternahm Rainer Kaufmann im vergangenen Jahr den zweiten Versuch, Ein fliehendes Pferd filmisch umzusetzen. Dabei stößt er allerdings an Grenzen, denn: Die Vorlage bietet nicht viel Stoff für über anderthalb Stunden Film. Johannes Michel schreibt, wie Regie und Drehbuch damit umgehen und warum sie scheitern.
Ein fliehendes Pferd
Drama, Deutschland 2007. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 96 Minuten. Deutscher Kinostart: 20. September 2007.
Mit: Ulrich Noethen, Katja Riemann, Ulrich Tukur, Petra Schmidt-Schaller; Regie: Rainer Kaufmann. Nach einer Novelle von Martin Walser.
Hier ist sie wieder: Die Schwierigkeit, eine literarische Vorlage zu verfilmen
Warum nur tun sich Regisseure und Drehbuch-Autoren schwer, eine Buchvorlage ansprechend zu verfilmen? Über die Jahre sind uns viele Versuche untergekommen, die perfekte Symbiose zu finden. Zumeist zeigen sich gerade diejenigen enttäuscht, die zuvor das Buch gelesen haben. Im Fall von Ein fliehendes Pferd ist das nicht anders.
Studienrat Helmut Halm (Ulrich Noethen) verbringt mit seiner Frau Sabine (Katja Riemann), wie jedes Jahr, die Sommerferien am Bodensee. Zufällig begegnen die beiden Klaus Buch (Ulrich Tukur), einem längst vergessenen beziehungsweise verdrängten Jugendfreund von Helmut, der sich zusammen mit seiner jungen Partnerin Helene (Petra Schmidt-Schaller) einfach nicht abschütteln lässt. Über die Tage baut sich zwischen den beiden Paaren eine Spannung auf: Während Helmut, der längst das sexuelle Interesse an seiner Frau Sabine verloren hat, sich mehr und mehr auf Helene fixiert, scheint Sabine in Klaus ein Abenteuer zu entdecken. Als Klaus und Helmut beim Segeln in ein Unwetter geraten, geht Klaus über Bord …
Helmut interessiert sich für Helene.
Es ist nicht gerade üblich, Filmkritiken mit persönlichen (Lese-)Erfahrungen zu würzen. In diesem Fall ist dies aber angebracht. Nun denn: Als ich die Verfilmung von Ein fliehendes Pferd im September vergangenen Jahres im Kino ansah, hatte ich – Schande über mein Haupt – Walsers Novelle noch nicht gelesen. Zum damaligen Zeitpunkt machte mir der Film Spaß und auch Lust darauf, mir die Novelle endlich vorzunehmen.
Nach der Lektüre allerdings rückte für mich der Film in ein vollkommen neues Licht, denn: er basiert zwar auf der literarischen Vorlage, glaubt aber, sich durch das Hinzudichten diverser Szenen und Erlebnisse spannender machen zu müssen. In keinster Weise liegt hier eine 1:1-Verfilmung vor. Gut, manchen Vorlagen mag dies dienlich sein, in unserem Fall allerdings wird die Novelle in vielen Bereichen völlig entstellt. Es würde zu weit führen, detailliert auf die Situationen einzugehen, nur so viel: Die Vorlage erwähnt mit keinem Wort ein sexuelles Verhältnis zwischen Klaus und Sabine beziehungsweise Helmut und Helene. Auch das Ende der Novelle, das gerade das „Weiter so“ symbolisieren soll, wird uminterpretiert.
Nun aber weg von den Leseerfahrungen und zurück zum Film. Rainer Kaufmann ist es gelungen, drei hervorragende Schauspieler sowie eine Neuentdeckung an Bord zu holen. Petra Schmidt-Schaller gibt eine erstklassige Helene, die mit ihren Blicken den konservativen Helmut immer weiter aus der Reserve lockt. Auch Ulrich Tukur brilliert als Klaus, indem er dem Zuschauer in vielen Szenen deutlich sympathischer und offener erscheint als der zurückgezogene Helmut, der mit Ulrich Noethen ebenfalls gut besetzt wurde. Katja Riemann beweist in ihrer Rolle als Sabine einmal mehr, dass in ihr mehr steckt als nur romantische Fernsehkomödien.
Die zentralen Szenen wurden ebenfalls gut umgesetzt. Da ist zum einen die Pferde-Szene, in der Klaus Buch ein entflohenes Pferd einfängt und damit seine Männlichkeit und seinen Mut unter Beweis stellt. Gerade ab diesem Zeitpunkt wird er für Sabine interessant, die Szene vermittelt dies glaubwürdig. Noch entscheidender ist allerdings der Segeltörn, bei dem sich die Spannungen zwischen Helmut und Klaus auf einen Höhepunkt bewegen.
Fazit: Am Ende ist es wirklich schwierig, eine sinnvolle Bewertung zu vergeben. Wer das Buch von Martin Walser nicht gelesen hat, dürfte Gefallen an der Verfilmung finden – viel mehr als ein etwas überdurchschnittlicher Film bleibt allerdings nicht übrig (etwa 7/10). Walser-Freunde und Novellen-Experten allerdings sei höchstens aus Interesse zum Kauf der DVD geraten. Die Enttäuschung ist ansonsten vorprogrammiert. Auf schauspielerischer Seite allerdings ist der Film absolut sehenswert. Dennoch nur 5 von 10 Punkten.
Die Halms (Mitte) und die Buchs (links und rechts).
Sabine ist von Klaus angetan, Helmut (rechts) wäre am liebsten wo anders.
Lebensfreude pur – so scheint es zumindest: Klaus und Helene.
Johannes Michel, 20. Mai 2008. Bilder: Concorde.
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