In Einsamkeit und Sex und Mitleid untersucht Regisseur Lars Montag die Befindlichkeiten von einem Dutzend Figuren, auf Basis des gleichnamigen Romans von Helmut Krausser…
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Einsamkeit und Sex und Mitleid
Drama/Komödie Deutschland 2017. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 119 Minuten. Kinostart: 4. Mai 2017.
Mit: Bernhard Schütz, Rainer Bock, Lilly Wiedemann, Maria Hofstätter, Hussein Eliraqui, Peter Schneider, Eva Löbau, Katja Bürkle, Jan Henrik Stahlberg, Friederike Kempter, Eugen Bauder, Lara Mandoki, Aaron Hilmer u.a. Regie: Lars Montag. Drehbuch: Helmut Krausser und Lars Montag. Nach dem Roman von Helmut Krausser.
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Montags Reigen
Ekki (Bernhard Schütz) ist zerknirscht. Nicht nur, dass der Lateinlehrer wegen des falschen Vorwurfs der sexuellen Belästigung durch eine Schülerin entlassen wurde, der Supermarkt seines Vertrauens ignoriert zudem seine Kundenwünsche. Die verantwortliche Schülerin ist Swentja (Lilly Wiedemann), die von dem jungen Araber Mahmud (Hussein Eliraqui) ein mehr als eindeutiges sexuelles Angebot erhält. Die Beziehung ihrer Eltern läuft dagegen nur noch so nebenher. Vater Robert (Rainer bock) fühlt sich unwichtig und missverstanden. Seine Ehefrau Mascha (Maria Hofstätter) versucht ihn aus der Reserve zu locken. Supermarktleiter Uwe (Peter Schneider) ist so grade frisch geschieden. Während seine Ex-Frau Julia (Eva Löbau) den Callboy Vincent (Eugen Bauder) engagiert, trifft sich Uwe mit der Künstlerin Janine (Katja Bürkle), der wiederum Robert Model für ihr neues Werk steht. Der rassistische Polizist Thomas (Jan Hendrik Stahlberg) will seiner Bekannten Carla (Friederike Kempter), die in einer Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge arbeitet und Opfer eines möglicherweise sexuellen Übergriffs war, dabei helfen, die Angst zu besiegen. Dabei verprügelt er den zufällig anwesenden Mahmud. Swentja indes hat einen weiteren Verehrer in Johannes (Aaron Hilmer), der als Angehöriger einer strengen christlichen Sekte mit seiner erwachenden Sexualität so überhaupt nicht zurecht kommt…
Als Kinozuschauer mit gewissen Ansprüchen bin ich immer äußerst dankbar, wenn ein deutscher Film ins Kino kommt, der nicht auf den Zug der endlosen Betroffenheits-Dramen oder niveaulos-redundanter Komödien à la „Schweigerhöfer“ aufspringt. Denn man glaubt es kaum, aber deutsches Kino hat auch über diese beiden Dauerklischees hinaus so Einiges zu bieten, darunter das Kinodebüt des bisher ausschließlich fürs Fernsehen tätigen Regisseurs Lars Montag: Einsamkeit und Sex und Mitleid.
Montags erste Leinwand-Arbeit adaptiert den 2009 erschienenen, gleichnamigen Roman von Autor Helmut Krausser (Der große Bagarozy, Fette Welt) und präsentiert so einen kleinen Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft. Es geht – wie der Titel im Versmaß des Deutschlandliedes von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben andeutet – um Liebe und Sexualität in der heutigen Zeit, gescheiterte Existenzen und die allgegenwärtige Suche nach dem Sinn. Lehrer Ekki ist nach seiner Entlassung am Boden zerstört und benötigt fortwährende psychologische Betreuung. Zwar betreibt er erfolgreich einen Anger Room, bei welchem auch Familienvater Robert und die Ärztin Julia nach Herzenslust Möbel sowie Alltagsgegenstände demolieren, aber seine Wohnung gleicht einem Messie-Schlachtfeld. Robert findet nur noch im Pflegen seines Bienenstammes, den er im Zuge des bevorstehenden Umzugs bald aufgeben muss, Erfüllung, fühlt er sich doch in seiner Familie nur noch wie eine lediglich zur Arbeit und Fortpflanzung benötigte Drohne. Gelungen sind auch die Szenen mit dem eher langweiligen Marktleiter Uwe, der nach dem ersten Date mit der Künstlerin Janine, sogar versucht, etwas in seinem Job zu ändern, wenngleich vergeblich.
Diese und andere Geschichten, die sich immer wieder leicht überschneiden, präsentiert der Film mit viel Freizügigkeit, schwarzem Humor und absurder Situationskomik. Auch wenn die Geschehnisse bisweilen ein wenig übertrieben wirken, von einer richtigen Satire, die ihr Szenario total ausreizt, kann man bei Einsamkeit und Sex und Mitleid nicht wirklich sprechen. Obwohl im Vergleich zur Romanvorlage die Personenzahl um zwei Drittel reduziert wurde und der Film knapp zwei Stunden dauert, so hätte man dem ein oder anderen Thema eine etwas detailliertere Ausarbeitung gewünscht. Das bunte Darsteller-Ensemble überzeugt durch die Bank, allen voran Eva Löbau (bekannt aus der ZDF-Sendersatire Lerchenberg) mit vollem Körpereinsatz, Bernhard Schütz (Finsterworld, Eichwald MdB) als melancholisch-desillusionierter Lehrer sowie Jan Hendrick Stahlberg (Mogadischu) als rassistischer Polizist, dessen Geschichte besonders entlarvend erscheint.
Einsamkeit und Sex und Mitleid läuft seit dem 4. Mai 2017 in den deutschen Kinos und erscheint am 26. Oktober 2017 auf DVD.
Fazit: Lars Montags Kinofilmdebüt gefällt als schwarzhumoriger, melancholisch-absurder Reigen aktueller deutscher Befindlichkeiten, der inhaltlich leider etwas zu kurz kommt. 7 von 10 Punkten.
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Janine bemalt und fotografiert Robert…
…und trifft sich zum blauen Date mit Uwe
Uwes Ex-Frau Julia untersucht
Mahmud und Swentja
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Marius Joa, 15. Juni 2017. Bilder: X-Verleih.
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