Farewell Paradise

Filmemacherin Sonja Wyss versucht anhand von Gesprächen die Geschichte ihrer Familie zu entschlüsseln, in der Doku Farewell Paradise, die auf der Internationalen Filmwoche in Würzburg gezeigt wurde.

Farewell Paradise
Dokumentation Niederlande 2020. 97 Minuten. Kinostart: unbekannt. Regie: Sonja Wyss.

 



Familienpuzzle

Urplötzlich endet für eine Schweizer Familie das süße Leben auf den sonnigen Bahamas. Denn die Mutter muss mit ihren vier Töchtern zurück in die Schweiz. Weil es an Wohnraum und Geld fehlt werden die Kinder eine Zeitlang bei Pflegefamilien untergebracht. Doch was ist eigentlich genau passiert? Sonja Wyss, Filmemacherin und die jüngste der vier Töchter, entschlüsselt nach und nach die Geschichte der Familie, in Gesprächen mit ihren Eltern und Schwestern…

 Sonja Wyss

Sonja Wyss wurde 1967 auf den Bahamas geboren. Sie studierte Kunst in Zürich, Amsterdam und Rhode Island. Ihre Videoinstallationen und Experimentalfilme werden weltweit in Museen, Galerien und auf Festivals gezeigt. Für ihren ersten Langfilm Winterstille (2009) gewann Wyss beim Niederländischen Filmfestival das Goldene Kalb für das beste Sounddesign. Farewell Paradise ist ihr erster Dokumentarfilm. Als ihre Familie 1970 auseinandergerissen wurde war Sonja Wyss erst drei Jahre alt. Um herauszufinden was damals und im Zuge der Trennung bzw. Scheidung ihrer Eltern alles passiert ist hat die in den Niederlanden lebende Filmemacherin nacheinander an jeweils zwei Tagen ihre Mutter Dorine, ihren Vater Ueli sowie die Schwestern Kathrin, Christine und Bettina befragt und dies mit der Kamera festhalten lassen. Sie bat ihre Familienmitglieder auch, im Vorfeld der Aufzeichnung nicht über die betreffenden Vorgänge von damals zu reden, um die indivuellen Perspektiven nicht zu verwässern.

Das Ergebnis dieser “Dreharbeiten” ist bewegend, spannend, verblüffend zugleich. Die einzelnen Gesprächsabschnitte wurden nicht nacheinander geschnitten sondern im häufigen Wechsel zwischen den fünf Personen zusammengeführt, wodurch sich die Geschichte chronologisch entfaltet. Auf faszinierende Weise setzt sich so mit der Zeit ein komplexes Familienpuzzle zusammen, fernab jeglicher Überdramatisierung oder Sentimentalitäten, obgleich immer wieder dezent sichtbar wird, dass es den Beteiligten nicht unbedingt leichtfällt, über einzelne Aspekte vor der Kamera zu sprechen. Natürlich dient der Film Sonja Wyss und ihrer Sippe als therapeutische Aufarbeitung, offenbart sich aber auch als Paradebeispiel für die langfristigen Folgen einer gescheiterten Ehe.

Besonders erstaunt haben mich zwei Dinge an Farewell Paradise. Zum einen die ruhige, besonnene Art der Gespräche. Die jüngste Tochter bohrt in den Einzelgesprächen zwar immer wieder bei ihren Eltern und Schwestern nach, doch wird hier niemand an den Pranger gestellt. Außerdem haben alle Familienmitglieder das Erlebte anders wahrgenommen und bewertet. Am Ende erforscht die Doku noch, ob und inwieweit die Geschehnisse der Vergangenheit das Leben der vier Schwestern im Allgemeinen und besonders in Bezug auf ihre eigenen Partnerschaften/Ehen beeinfluss(t)en.

Fazit: Spannende Aufarbeitung einer turbulenten Familiengeschichte, die von den Beteiligten unterschiedlich wahrgenommen wird. 9 von 10 Punkten.

 

Marius Joa, 5. Februar 2021. Bilder: Basalt Film/Periscoop Film.

 


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